Sex bei Paulus

Einer so, der andere so

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In dieser und in der vergangenen Woche zeigte sich Paulus in der Lesung recht skeptisch der Ehe gegenüber. Aber liegt das an ihm? Oder eher an der Auswahl der Lesungen? Ein Blick in das gesamte siebte Kapitel des 1. Korintherbriefs.

Ein Mann und eine Frau halten einander bei den Händen. Im Hintergrund ist ein Bett zu sehen.
Sexualität als Stolperstein auf dem Weg zu Gott: So sah es die Kirche lange.

Von Susanne Haverkamp 

Als das Christentum entstand, war sein Mittelpunkt ein Glaube: Jesus ist auferstanden und wer an ihn glaubt, wird auch auferstehen. Die zweite wichtige Überzeugung war: Das mit der Auferstehung wird schon bald passieren; nur noch kurze Zeit, dann kommt Jesus wieder, die Welt, wie wir sie kennen, vergeht und Gottes Reich wird wahr.

Doch die Sache mit der Wiederkunft zog sich hin. Und damit entstand die Frage: Wie sollen wir bis dahin leben? Im Alltag, in Beruf und Familie? Und wie das so ist, wenn etwas neu ist, gab es verschiedene Strömungen – radikalere und pragmatischere. Die Radikalen verkauften alles und beteten nur noch; die Pragmatischen beteten auch, aber sonst lebten sie weiter wie bisher.

Dass die Radikalen und die Pragmatiker sich stritten, kann man sich vorstellen, auch in Korinth. Und sie stritten keineswegs nur um den Umgang mit Geld, sie stritten auch über Sexualität. Die Radikalen meinten: Haltet euren Leib rein für den Herrn. Und das hieß: kein Sex, auch nicht in der Ehe. Weil aber die Pragmatiker das anders sahen, schrieben die Radikalen an Paulus, ihren Gemeindegründer. Der war unverheiratet, sie vermuteten ihn auf ihrer Seite. Woher man das weiß? Aus dem ersten Satz des Kapitels 7: „Nun aber zu dem, was ihr geschrieben habt: Es ist gut für den Mann, keine Frau zu berühren.“

Zu dieser These nimmt Paulus nun Stellung – und zwar ziemlich ausführlich. Und erstaunlich ausgewogen. Denn er gibt dem asketischen Übereifer keineswegs recht: „Entzieht euch einander nicht, außer im gegenseitigen Einverständnis und nur eine Zeit lang, um für das Gebet frei zu sein! Dann kommt wieder zusammen ...“ (1 Kor 7,5). Auch den Unverheirateten oder Verwitweten sagt er: „Es ist besser zu heiraten, als sich in Begierde zu verzehren“ (1 Kor 7,9), denn: „Jeder hat seine eigene Gnadengabe von Gott her, der eine so, der andere so.“ 

(1 Kor 7,7). Und etwas später fasst Paulus zusammen: „Im Übrigen soll jeder so leben, wie der Herr es ihm zugemessen, wie Gottes Ruf ihn getroffen hat. Das ist meine Weisung für alle Gemeinden.“ (1 Kor 7,17)

Was nicht heißt, dass Paulus die Ehelosigkeit geringschätzt, im Gegenteil. Wenn er gefragt wird, was denn nun besser sei, Ehe oder Ehelosigkeit, und ob die korinthischen Singles sich denn nun eine Partnerin oder einen Partner suchen sollen oder nicht, dann sagt er: „Ich wünschte, alle Menschen wären unverheiratet wie ich.“ (1 Korinther 7,7)

Nicht konsequent zu Ende gedacht 

Interessant wird es bei der Frage: Warum? Denn der Grund für die Eheskepsis des Paulus ist keineswegs die Leibfeindlichkeit der ursprünglichen Fragesteller, die meinten: „Es ist gut für den Mann, keine Frau zu berühren.“ Nein, Paulus geht es nicht um Unreinheit oder die Ablehnung von Sexualität – das wurde später daraus gemacht, etwa von Clemens von Alexandrien und Augustinus. Paulus sagt: „Ich meine, es ist gut wegen der bevorstehenden Not.“ (1 Kor 7,26). Und etwas später: „Ich sage euch, Brüder: Die Zeit ist kurz“ (1 Kor 7,29) und: „Die Gestalt dieser Welt vergeht.“ (1 Kor 7,31)

Hier sind wir also wieder bei der sogenannten Naherwartung. Bald wird der Herr wiederkommen. Und dem wird, wie er selbst angekündigt hat, eine Zeit großer Not vorausgehen. Im Lukasevangelium prophezeit Jesus: „Volk wird sich gegen Volk und Reich gegen Reich erheben. Es wird gewaltige Erdbeben und an vielen Orten Seuchen und Hungersnöte geben; schreckliche Dinge werden geschehen und am Himmel wird man gewaltige Zeichen sehen.“ (Lukas 21,10–11) Und Jesus warnt: „Wehe den Frauen, die in jenen Tagen schwanger sind oder ein Kind stillen! Denn große Bedrängnis wird über das Land hereinbrechen und Zorn über dieses Volk.“ (Lukas 21,23)

Dem schließt sich Paulus an: Heiratet nicht, setzt keine Kinder in die Welt, denn das Leid und die Sorgen werden groß sein und umso größer, wenn ihr Familie habt. „Freilich werden solche Leute Bedrängnis erfahren in ihrem irdischen Dasein; ich aber möchte sie euch ersparen.“ (1 Kor 7,28)

Ein kleines Stückchen weiter steht dann die heutige Lesung, die knappen Verse 32-35. Und die sind, sagt der im Sommer an den Folgen eines Unfalls verstorbene Moraltheologe Eberhard Schockenhoff in seinem Buch „Die Kunst zu lieben“, nicht konsequent zu Ende gedacht. Denn hier wird die Hochschätzung der Ehe ganz plötzlich relativiert. „Paulus scheint anzunehmen, dass nur Ehelose ungeteilt dem Herrn gefallen können, während Verheiratete zwischen der Sorge um ihren Partner und ihrer Suche, dem Herrn zu gefallen, hin- und hergerissen sind“, schreibt Schockenhoff in dem Buch, das am 1. Februar posthum erscheinen wird.

Von der Ehe hat Paulus keine Ahnung 

Für ihn zeigt sich an diesem Satz, dass Paulus die Ehe „von außen betrachtet“, also kurz gesagt: keine Ahnung von der Ehe hat. Tatsächlich sei es aber erstens theologisch so, dass zwischen Gottes- und Nächstenliebe kein Widerspruch besteht und deshalb „die Liebe zu konkreten Menschen niemals in prinzipieller Konkurrenz zur Gottesliebe steht“. Und zweitens wüssten christliche Ehepartner sehr gut, dass es auch in der Ehe darum gehe, Gott mit ungeteilten Herzen zu suchen, weil kein Partner, sondern nur Gott die letzte Sehnsucht des Menschen erfüllen könne. Das endgültige Heil und Glück in der Ehe zu suchen, sei deshalb ohnehin unchristlich. Dass Paulus in dieser Lesung geteilt und ungeteilt so gegenüberstelle, könne deshalb, so Schockenhoff, „nur auf einer pragmatischen Ebene“ verstanden werden, „als Vorteil für die Aufgaben der Verkündigung“. 

„Der eine so, der andere so.“ Paulus achtet weder die Ehe noch die Sexualität gering. Was man merkt, wenn man das ganze Kapitel liest und nicht nur zwei kleine Abschnitte.

Buchtipp: Eberhard Schockenhoff: Die Kunst zu lieben. Unterwegs zu einer neuen Sexualethik. Herder. 488 Seiten, 48 Euro (erscheint am 1. Februar)