Biden und die US-Katholiken

"Er hat ein Gespür für Versöhnung"

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Seit vergangener Woche ist mit Joe Biden ein Katholik Präsident der USA. Doch die amerikanische Bischofskonferenz steht ihm gespalten gegenüber: Vor allem seine Haltung zur Abtreibung sieht die Mehrheit der Bischöfe kritisch. Der Theologe Massimo Faggioli erklärt, warum der neue Präsident jetzt nicht nur das Land, sondern auch die Katholiken einen muss - und wie ihm das gelingen kann. 

 Joe Biden schwört seinen Amtseid als neuer Präsident der USA auf eine historische Familienbibel, die sich seit 127 Jahren im Besitz der Bidens befindet. 
Hält seinen Glauben nicht hinterm Berg: Joe Biden schwört seinen Amtseid als neuer Präsident der USA auf eine historische Familienbibel, die sich seit 127 Jahren im Besitz der Bidens befindet. 

Der neue US-Präsident Joe Biden ist Katholik. Wie sehr prägt ihn das? 

Joe Biden hat immer betont, dass sein Glaube ein entscheidender Teil seines Lebens ist. Er ist der erste Katholik in der Geschichte der USA, der als Präsidentschaftskandidat seinen Glauben nicht versteckt oder kleingeredet hat – anders als Al Smith 1928, John F. Kennedy 1960 und John Kerry 2004. Sie alle sagten: Mein Glaube ist nicht wichtig für mich als Politiker. 

Biden dagegen hat seinen Glauben in seiner Kampagne thematisiert.

Ja, und das war keine Taktik. Es war Überzeugung. Er hat die Päpste Franziskus und Johannes Paul II. zitiert und auch Enzykliken. Und bei seiner Amtseinführung hat ein Jesuit gesprochen. Biden ist wirklich ein überzeugter Katholik. Der Glaube steckt tief in ihm drin. 

Wie wird sich dieser Glaube auf seine Arbeit als Präsident auswirken?

Biden wird versuchen, die Interessen der USA und der katholischen Kirche einander anzunähern. Aber das wird nicht leicht, denn seine Demokratische Partei ist gespalten in einen gemäßigt konservativen und einen progressiven Flügel, und auf beiden Flügeln gibt es Katholiken. Die Frage in den USA ist nicht: Bist du katholisch? Sondern: Was für ein Katholik bist du? Das definitiv sensibelste Thema für Biden und die Katholiken ist die Abtreibungsfrage.

Inwiefern?

Als Abtreibung in den USA 1973 legalisiert wurde, stand Biden dieser ziemlich extremen Liberalisierung kritisch gegenüber. Aber in den vergangenen vier Jahren ist er stärker auf die Linie seiner Partei umgeschwenkt. Jetzt fragen sich vor allem katholische Bischöfe, wie er sich als Präsident zur Abtreibung verhalten wird. 

Erzbischof Jose Gomez, der Vorsitzende der US-Bischofskonferenz, hat Bidens Haltung zur Abtreibung in einem Statement zu seiner Amtseinführung scharf kritisiert. 

Ich fand das sehr seltsam. Das Statement der Bischofskonferenz vor vier Jahren, nach der Wahl von Donald Trump, war viel freundlicher. Dabei erinnern wir uns doch alle noch, wie Trump schon als Präsidentschaftsbewerber aufgetreten war. Ein großer Teil der US-Bischöfe ist in den letzten Jahren zu Anhängern der Republikaner geworden – egal wer deren Kandidat war. Das ist ein Problem. 

Blase Cupich, der Kardinal von Chicago, distanzierte sich in einem beispiellosen Vorgang von Gomez‘ Statement. Er sagte, es sei unüberlegt und nicht mit den zuständigen Gremien und Bischöfen abgestimmt gewesen.

Cupich hat recht mit seiner Kritik. Dieser öffentliche Streit zeigt: Die Bischofskonferenz ist total gespalten. Es gibt einige Bischöfe und Kardinäle, die sich über Bidens Wahlsieg freuen. Die Mehrheit der Bischöfe dagegen hat schlicht Panik vor seiner Präsidentschaft. Sie, die immer die Republikaner unterstützt haben, sehen Biden als Bedrohung ihrer Autorität. Zu allem Überfluss haben diese Bischöfe seit der Wahl von Papst Franziskus 2013 auch noch ein schlechtes Verhältnis zum Vatikan. In der US-Bischofskonferenz herrscht Chaos. 

Welche Seite in der Bischofskonferenz wird sich durchsetzen?

Das weiß ich nicht. Der Machtkampf, der jetzt offen zutage tritt, hat ja gerade erst begonnen. Was ich weiß, ist, dass die Bischöfe, die Papst Franziskus nahestehen und offen für einen Dialog mit Biden sind, eine kleine Minderheit sind. Die große Mehrheit der Bischöfe sind von Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. ernannt worden, sie sind absolute Hardliner und lassen in manchen Themen überhaupt nicht mit sich verhandeln. Sie übersehen total, dass der Kampf um Abtreibung in der konservativen amerikanischen Politik längst zu purer Effekthascherei geworden ist. 

Massimo Faggioli ist Professor für Theologie und Religionswissenschaft an der Universität Villanova im US-Bundesstaat Pennsylvania.
Massimo Faggioli ist Professor für Theologie
nd Religionswissenschaft an der Universität Villanova
in Pennsylvania. Soeben ist sein Buch „Joe Biden und
der Katholizismus in den USA“ erschienen,
bisher allerdings nur auf Englisch und Italienisch.

Das müssen Sie erklären.

Natürlich müssen die Bischöfe sagen: Abtreibung ist falsch. Und klar, die Abtreibungsgesetze in den USA zählen zu den liberalsten auf der Welt. Aber in den vergangenen Jahrzehnten haben sich die theoretische Diskussion über dieses Thema und die praktischen Fakten zu Abtreibungszahlen immer weiter auseinanderentwickelt. 

Das Thema wurde größer gemacht, als es ist?

Genau. Und immer wenn in den vergangenen Jahrzehnten die Demokraten an der Macht waren, haben sie eine humane Sozialpolitik gemacht, die schwangeren Frauen Optionen eröffnet hat, sich doch für ihr Kind zu entscheiden. Die Republikaner hingegen haben immer ignoriert, dass der Staat und die Gesellschaft etwas für schwangere Frauen in Not tun können. Sie haben mit ihrer grausamen Politik Frauen in verzweifelte Situationen gebracht. Und dann haben sie die Abtreibungsfrage zu einer rein persönlichen Entscheidung erklärt, nach dem Motto: Wenn du dich für eine Abtreibung entscheidest, liegt das daran, dass du ein schlechter Mensch bist. 

Öffentlich stellen sich viele Republikaner als Lebensschützer dar und tönen, die Demokraten seien die „Partei des Todes“.

Genau, und die Bischöfe übernehmen diese allzu simple Logik. Das ist töricht. Ich erwarte nicht, dass die Bischöfe sich auf die Seite der Demokraten stellen und für Abtreibung plädieren. Aber ich erwarte von ihnen, nicht die radikale Sprache der Republikaner zu kopieren und sich wie sie nur auf dieses eine christliche Thema zu fokussieren. Die Führung der Bischofskonferenz hat ihren moralischen Kompass verloren. 

Wie reagieren die Gläubigen darauf?

Die meisten Leute denken, wenn sie irgendein Statement der Bischöfe hören, automatisch: Das muss schlecht sein. Bis vor ein paar Jahren waren nur liberale Katholiken gegen die Bischöfe. Aber in den vergangenen vier Jahren haben auch konservative Katholiken gesagt: Sie sind totale Versager. Die Bischöfe haben kaum noch Freunde – auf beiden Seiten.

Wie beurteilen Sie es, dass viele Bischöfe Trump unterstützt haben, trotz seiner oft extrem unchristlichen Politik?

Viele Bischöfe glauben immer noch, dass Trump gut für sie und die Kirche war – vor allem, weil er viele konservative Richter ernannt hat. Trumps unchristliche Flüchtlings-, Umwelt-, und Arbeiterrechtspolitik ignorieren sie. Das schlimmste Unheil, das dieser Präsident angerichtet hat, aber ist: Er hat Gewalt politisch legitimiert. 

Vor Wochen hat er einen gewalttätigen Mob zum Sturm auf das Kapitol in Washington angestiftet.

Ja, und diese Legitimation der Gewalt ist auch in die Köpfe der Katholiken eingesickert. Besonders ultrakonservative Katholiken glauben mittlerweile, dass es für ihre Kirche besser wäre, nicht in einer Demokratie zu leben. In den vergangenen Jahren haben die Trump-Regierung und viele republikanische Gouverneure aktiv versucht, das Wahlrecht vieler Amerikaner zu behindern. Das hat auch Katholiken getroffen. Und die Bischöfe haben kein Wort dazu gesagt. Das ist verstörend. Die Bischöfe haben völlig aus dem Blick verloren, was die Trump-Regierung im Leben vieler Bürger angerichtet hat.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Ich bin Italiener und lebe in den USA mit einer Green Card. Ich bin also ein privilegierter Einwanderer, ich hatte nie etwas zu befürchten. Trotzdem sagte meine Tochter mir ein paar Mal: „Sei vorsichtig! Trump könnte dich aus dem Land werfen!“ Sie können sich vorstellen, was diese Bedrohung für Familien bedeutete, deren rechtlicher Status nicht so sicher war wie meiner. Millionen Einwanderer haben vier Jahre in Angst gelebt – wegen einer Regierung, die eine grausame Politik gemacht hat. Viele dieser Einwanderer sind Katholiken. Ich weiß nicht, was diese Katholiken über ihre Bischöfe denken. 

Der Jesuit James Martin hat beklagt, einige katholische Priester und Bischöfe hätten durch hetzerische Aussagen Mitschuld am Sturm auf das Kapitol. Sehen Sie das auch so?

Er hat recht. Einige katholische Geistliche, aber vor allem katholische Medien in den USA sind längst nicht mehr konservativ. Sie sind Extremisten geworden. Am dreistesten agiert EWTN; aber auch kleinere Websites wie Church Militant machen mit. Sie haben alles gutgeheißen, was Trump getan hat. Sie haben sogar den Sturm des Mobs auf das Kapitol gerechtfertigt. Man muss klar sagen: Dieser Extremismus ist nicht nur ein Problem der Evangelikalen, er ist auch ein Problem der Katholiken. Zwar einer Minderheit von ihnen, aber so klein ist diese Minderheit nicht. 

Wozu führt dieser Extremismus innerhalb der Kirche?

Mittlerweile sehen viele Katholiken andersdenkende Katholiken als Satan, als Antichrist, als das Böse. Katholiken reden übereinander nicht mehr auf eine christliche, spirituelle Art, nur noch politisch. Das ist wirklich schlimm.

Biden betont, er wolle versuchen, das Land zu heilen und wieder zu vereinen. Kann ihm das auch unter den Katholiken gelingen?

Ich glaube, möglich ist es. Denn er hat ein Gespür für Versöhnung, und sein Glaube wird ihm dabei helfen. Diese Aufgabe, die Katholiken miteinander zu versöhnen, ist enorm wichtig. Wenn es in der katholischen Kirche keine Einheit gibt, dann wird es auch keine Einheit im ganzen Land geben. 

Warum?

Weil die katholische Kirche die größte Kirche in den USA ist, und weil sie Menschen aus allen sozialen Schichten, allen Regionen und jeder Herkunft vereint. Sie hat Weiße und Latinos, Asiaten und Afroamerikaner, Reiche und Arme. Sie ist die Kirche, die am vollständigsten repräsentiert, was dieses Land ist. Sie ist ein entscheidender Teil der Gesellschaft.

Interview: Andreas Lesch