Auf Gottes Hilfe verlassen - und auf die Unterstützung ihres Mannes

Er ist für sie da

„Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen“, spricht Gott in der Lesung dieses Sonntags aus dem Buch Exodus. Und das Volk kann sich auf Gottes Hilfe verlassen. So wie Monika Reiter auf die Unterstützung ihres Mannes.

Wenn Monika Reiter* morgens aufwacht, ist ihr Kopf ganz leer. Wie sie nachts geschlafen hat, ob sie gestern Besuch hatte oder unterwegs war mit ihrem Mann Georg – alles vergessen! Monika hat nach einer Gehirnblutung ihr Kurzzeitgedächtnis verloren und lebt jetzt meist in ihrer Vergangenheit.

Georg Reiter ruft sie dann mit „Guten Morgen. Das Frühstück ist fertig“ in ihre gemeinsame Gegenwart zurück. Die 63-Jährige weiß jetzt wieder: Das ist mein Mann, er ist für mich da. Das beruhigt sie und an guten Tagen lichtet sich ganz langsam der Nebelvorhang in ihrem Kopf. Zum Frühstück gibt es ihren Lieblingstee und ein Müsli. Dazu viele Tabletten und den Tagesplan. 

Monika braucht für alles viel Zeit. Auch fürs Frühstück, denn zwischendurch vergisst sie das Essen und Trinken, die Tabletten sowieso. Georg, 68, mahnt zur Eile. Er weiß zwar, dass Monika keinen Druck verträgt, aber um 11 Uhr ist Ergotherapie angesagt.

Was ist passiert, damals im November 2017? Monika hat mit ihrer Freundin Valeria ein Konzert besucht und auf dem Heimweg über starke Kopfschmerzen geklagt. Valeria begleitet sie noch bis zur Wohnungstür. Das weiß Monika aber nicht mehr, ihr Gedächtnis hat jede Erinnerung an den Abend verloren. Und an alles, was danach kommt. Bis heute.

Georg wird wohl nie vergessen, wie ihn Monika am nächsten Morgen mit großen Augen ängstlich anieht. Wer bist du? Wo bin ich? Die Ärzte diagnostizieren eine Gehirnblutung. Es ist Monikas zweiter Hirnschlag. 

„Mach dir keine Sorgen, wir stehen das durch“

Den ersten erleidet sie im September 2003. Die Sprachheilpädagogin Monika Reiter ist 48 Jahre alt, als in ihrem Kopf ein sogenanntes Aneurysma platzt und sie zusammenbricht. Ihre Kolleginnen leisten Erste Hilfe, der Notarzt ist sofort da, die Gehirnblutung kann in einer Operation gestoppt werden. Aber die sorgenvollen Gesichter der Ärzte verheißen nichts Gutes. 

Georg ringt seinem Arbeitgeber einen unbezahlten Urlaub ab. Wochenlang sitzt er am Bett seiner bewusstlosen Frau, spricht mit ihr, streichelt sie, sagt immer wieder leise: „Ich bin da, mach dir keine Sorgen, ich lasse dich nicht allein, wir stehen das durch.“ 

Manchmal schleicht er sich in die Klinikkapelle und betet: „Herr, Gott, lass mich nicht allein. Lass Monika weiterleben, dann will ich alles für sie tun.“ Und er fragt sich: Ist dieser Gott für mich überhaupt noch da? Hört der mir noch zu? Schließlich hat Georg seiner Kirche schon lange den Rücken gekehrt.

In einer ganz dunklen Stunde lernt er den Klinikseelsorger kennen. Der Pfarrer bietet sich als Gesprächspartner an – für Monika, aber auch für Georg. Kann man Ängste und Verzweiflung wegbeten? Früher hätte der bis dato rein rational denkende Georg über eine solche Frage wohl gelacht. Jetzt vermittelt ihm der Seelsorger den Glauben und die Zuversicht, dass jemand für ihn da ist, der größer ist als alle menschliche Vernunft. Das lässt Georg hoffen und tröstet ihn.

Als Monika endlich aus dem Koma erwacht, erkennt sie ihren Mann zunächst nicht wieder. Auch ist der Sprachheilpädagogin die Sprache abhandengekommen – welche Ironie des Schicksals. In einer Rehaklinik für Hirngeschädigte muss sie wieder sprechen, lesen, schreiben, laufen lernen. Monate später kehrt sie aus der Reha nach Hause in ein fast normales Leben zurück. 

Die Reiters ziehen in die Innenstadt, in eine sonnige, barrierefreie Wohnung. Georg ist als Rentner mit dem Rad oft sportlich unterwegs, Monika trifft sich gern mit Freundinnen im Kino oder Theater. Ihre kleinen Handicaps überspielt sie mit Humor und freundlicher Gelassenheit.

Der Pfarrer ist zum Freund geworden und Georg in die katholische Kirche zurückgekehrt. 2007, zu ihrem 30. Hochzeitstag, heiraten die Eheleute vor dem Altar und geben sich vor Gott das Versprechen, füreinander da zu sein – in guten und in schlechten Tagen. Zunächst sind es meist gute Tage, die sie damals miteinander verbringen können.

Bis zum zweiten Hirnschlag 2017, der alles verändert. Manchmal strahlt Monika noch wie früher. Das sind die guten Tage. An den schlechten Tagen weint sie und will nicht mehr so abhängig leben. Georg fährt sie zum Ergotherapeuten, dem Physiotherapeuten, der Logopädin, der Neurologin. Er kocht, kümmert sich um den Haushalt, sorgt für die Wäsche, misst Monikas Blutdruck, erinnert an die Tabletten. 

„Freuen Sie sich über das Erreichte“

Wie wird es weitergehen? Es sind kleine Fortschritte, die aber nur wenig Hoffnung auf Besserung erlauben. Die Neurologin hält sich bedeckt. „Freuen Sie sich über das Erreichte und versuchen Sie, den Zustand Ihrer Frau zu stabilisieren“, hat sie ihm mit auf den Weg gegeben. 

Ihrer Kirche sind beide treu geblieben. An guten Sonntagen gehen sie zum Gottesdienst. Der befreundete Pfarrer aber ist demenzkrank und für Georg nicht mehr erreichbar. Manchmal ruft Georg bei der Telefonseelsorge an. Man müsse immer mal auftanken, hat man ihm dort geraten. Also will Georg Auszeiten nehmen und Freunde um Hilfe fragen. 

Er gibt die Hoffnung nicht auf, weil er weiß, dass es jemanden gibt, der größer ist als alle Vernunft und menschliches Vermögen. Aus diesem Glauben schöpft er Kraft.

* Die Namen der Eheleute wurden auf ihren Wunsch geändert.

Marilis Kurz-Lunkenbein