Der biblische Ijob und das Leid

Es bleiben Fragen

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Der biblische Ijob verliert alles: Wohlstand, Kinder, Gesundheit. Freunde wollen ihn trösten, doch Ijob verzweifelt am Leben und zweifelt an Gott. Ein Gespräch mit der Franziskanerin Katharina Kluitmann über Leiden, Last und Lebenshilfe.

Eine Heiligenfigur am Kölner Dom zeigt den biblischen Ijob.
Traurig und verzweifelt: Eine Heiligenfigur am Kölner Dom zeigt den biblischen Ijob. 

Schwester Katharina, erleben wir gerade eine Zeit der Hiobsbotschaften? 

Zumindest erleben wir in der Corona-Zeit, dass das Leben nicht nur für einen Einzelnen und in einer Episode schwierig und leidvoll ist, sondern dass das Leid ganze Gruppen von Menschen erfassen kann – und dass es zum Leben gehört.

Was ist Leid überhaupt? Ist es ein Gefühl, das jede und jeder von uns ganz unterschiedlich empfindet?

Leid hat sicher eine subjektive Seite, die mich ganz persönlich berührt und betrifft. Im Moment erleben wir aber auch eine objektive Situation, die wir gemeinsam als schlimm empfinden: wenn ich an die Bilder aus Italien denke; wenn ich an Ärzte denke, die auf den Intensivstationen arbeiten – da ist ein ungeheuerliches Ausmaß von Leid erreicht. Leid ist etwas, was mich aus der Bahn wirft, was meine Koordinaten zerstört und dafür sorgt, dass ich nicht einfach so weitermachen kann wie bisher.

Da stellt sich die Frage nach dem Warum. Welchen Sinn hat das Leid?

Wir Menschen wollen vor allen Dingen verstehen, Erklärungen finden. Etwa beim Kater-Kopfschmerz: Ich habe Schmerzen, weil ich zu viel getrunken habe. Und da weiß ich, was ich tun muss: Ruhe halten, Tabletten nehmen oder den berühmten Hering essen. Beim Leid ist es anders: Da komme ich in eine Situation, in der ich nicht mehr verstehe, warum etwas so ist. Wenn Menschen nicht verstehen, warum, konstruieren sie sich oft eine Antwort. Das ist bei Ijob auch so ...

 ... wenn die Freunde kommen und ihre Erklärungen geben für das Leiden von Ijob?

Genau. Aber wir sehen – und Ijob sieht das, dass diese Erklärungen, die so schnell Sicherheit geben wollen, nicht passen. Der Zusammenhang von Tun und Ergehen: Wer schlecht handelt, dem geht’s schlecht; wer gut handelt, dem geht’s gut – der stimmt so einfach nicht. Selbst wenn wir das ganze Buch Ijob lesen, sind wir – ehrlich gesagt – am Ende nicht schlauer als vorher. Die Fragen bleiben. Es gibt Dinge, die bleiben unerklärlich. 

Was heißt das konkret?

Ich hatte mal einen – gutartigen – Tumor am Finger. Ein Bekannter sagte: Vielleicht kommt es daher, dass du zu viel von Hand schreibst. Das hat mich richtig wütend gemacht. Er versuchte, etwas zu erklären, für das es keinen Zusammenhang gibt. Das ist bei Corona auch zu beobachten: Wir suchen nach einem entlastenden Erklärungssystem. Aber es funktioniert nicht. Und wenn es innerweltlich keine Antworten gibt, versuchen manche, es mit Gott zu erklären.

Dass Gott Leid als eine Strafe schickt?

Katharina Kluitmann ist promovierte Psychologin,  Franziskanerin im westfälischen Lüdinghausen und Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz.
Katharina Kluitmann ist promovierte Psychologin,  
Franziskanerin im westfälischen Lüdinghausen und
Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz.

Das ist ein Erklärversuch, der natürlich überhaupt nicht stimmt. Ein Aspekt des Leids ist, dass es erst einmal keinen Sinn dafür gibt. Das macht es so schwer.

Was kann ich von Ijob lernen, um mit Leid umzugehen?

Ijob bringt das Leid ins Wort, auch gegenüber Gott. Er spricht und klagt Gott an. Er benennt sein Leid: Das ist wichtig, auch wenn es keine direkte Antwort auf die Fragen gibt.

Und für die, die im Glauben keinen Zugang finden?

Das Wichtigste ist, das Leid wahrzunehmen, ganz wörtlich: die Fakten und die Gefühle anzuerkennen, wahr sein zu lassen, und sie auch zu benennen: Es gibt das schöne Wort von Friedrich Nietzsche „Wofür wir Worte haben, darüber sind wir auch schon hinaus.“ Das gilt auch für das Leid: Wir können es beim Namen nennen. Das können wir für uns selbst tun, aber zum Beispiel auch etwas aufschreiben und mit einem anderen besprechen, um es auch auf diese Weise raus- und loszulassen. Jemand, der gläubig ist, hat darüber hinaus noch Gott als Gegenüber, um das anzusprechen.

Wann ist der Glaube Trost? Und wann ist er Vertröstung?

Die Ijob-Erzählung zeigt – am Beispiel der Freunde, die schnell mit Erklärungen dabei sind – dass es ein Fehler sein kann, schnelle Antworten zu geben, ohne die Fragen einfach mal stehen zu lassen. Da gilt es auch für Seelsorgerinnen und Seelsorger heute, sehr wachsam zu sein, damit das nicht passiert. Erklärungen von außen können leicht zynisch werden. Ich erlebe es bei älteren Schwestern, denen es schlecht geht, die sagen: Ich opfere das auf für die Gemeinschaft. Das fand ich immer einen sehr schwierigen Gedanken. Das ist aber ein Versuch, wie Menschen dem Leid einen Sinn geben – und das muss ich wertschätzen. Da kann ich nicht dagegen anreden. Ich darf es aber auch niemandem einreden. Sonst wird es schnell missbräuchlich. 

Gibt es für Sie als Psychologin und Theologin auch eine gute Hiobsbotschaft, also eine gute Kernbotschaft aus dem Ijobsbuch für die Sinnfragen des Lebens und des Leidens?

Vielleicht diese: So schwer es ist, dass du keine klare Antwort bekommst, so gut ist es, dass die Fragen da sein dürfen und ausgesprochen werden können. Fragen auszudrücken kann auch helfen, sie auszuhalten. Das ist auch dem Leben angemessener, wahrer und auch erträglicher als ein starres System von Erklärungen und allzu schnellen Antworten, die keine sind.

Interview: Michael Kinnen