Wie das Judentum über das denkt, was uns nach dem Tod erwartet

Es bleibt eine offene Frage

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Foto: kna/Andrea Krogmann
Auferstehungssymbole wie auf christlichen Gräbern gibt es auf jüdischen Friedhöfen selten. Foto: kna/Andrea Krogmann

Im Evangelium dieses Sonntags diskutiert Jesus mit Sadduzäern über die Frage der Auferstehung. Denn was nach dem Tod mit dem Menschen geschieht, war damals im Judentum umstritten – und heute ist es das auch noch.

Von Susanne Haverkamp

Die Auferstehung Jesu ist sozusagen die Gründungsgeschichte des Christentums. Ohne Ostern wären die Jüngerinnen und Jünger Jesu auseinandergelaufen, in den Alltag zurückgekehrt, fromme Juden geblieben. Doch die Erfahrung „Jesus lebt!“ hat alles verändert.

Entscheidend neu war diese Erfahrung auch, weil im Judentum die Frage der Auferstehung sehr kontrovers diskutiert wurde. Das frühe Judentum kennt nur die Überzeugung, dass der Mensch in seinen Kindern weiterlebt. Die Verheißung Gottes an Abraham, seine Kinder werden „so zahlreich sein wie die Sterne des Himmels“, ist sozusagen die damalige Übersetzung von „ewiges Leben“.

Auch die Auseinandersetzung über Gut und Böse änderte daran nur begrenzt etwas. Zwar erwies sich die frühe Auffassung, dass Gott den Guten ein gutes Leben schenkt und den Bösen ein schlechtes, als trügerisch. Das führte zunächst aber nicht zu einem durchgehenden Konzept von Lohn oder Strafe nach dem Tod.

Ijob: Keine Entschädigung im Himmel

Wie man etwa an Ijob sieht, dem Gerechten, dem viel Unglück widerfährt. Die Behauptung seiner Freunde, für so viel Strafe müsse bei Ijob schon etwas im Argen liegen, lehnt Gott ab. Aber nirgends in dem Buch gibt es einen Hinweis auf die Idee, Ijob könne in einer zukünftigen Welt für sein schuldloses Leid entschädigt werden. Im Gegenteil: Das Buch schließt mit der Erzählung, dass weitere Kinder und neuer Besitz Ijob ganz irdisch glücklich machen.

Auch die spätere Weisheitsliteratur kommt ohne eine Verheißung eines himmlischen Paradieses aus. Der Prediger Kohelet etwa ist sehr pragmatisch: Freu dich, wenn du im Glück bist, das Unglück kommt schnell genug, rät er. Und letztlich gilt: „Windhauch, Windhauch, alles ist Windhauch.“

Erst in den letzten zwei, drei Jahrhunderten vor Christi Geburt wird die Idee eines Weiterlebens nach dem Tod greifbar. Besonders dort, wo Juden in engen Kontakt mit der griechischen Philosophie und mit Platons Konzept von der Trennung von (ewiger) Seele und (vergänglichem) Leib kommen, erkennen sie das Potenzial für den religiösen Glauben und für die Frage nach letzter Gerechtigkeit.

Makkabäer: Lohn für jüdische Märtyrer

Eines der wenigen alttestamentlichen Zeugnisse über den Auferstehungsglauben ist das Buch Daniel. Zeitlich setzt es die Makkabäeraufstände (167–163 v. Chr.) voraus. Daniel spricht vom „letzten Gericht“, bei dem „viele, die im Land des Staubes schlafen, erwachen werden, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu ewigem Abscheu“ (Dan 12,2). Gemeint mit denen, die erwachen werden, sind insbesondere jene, die im Widerstand gegen den Seleukidenkönig Antiochius IV. das Martyrium erlitten haben. So wie die Brüder, von denen im 2. Buch der Makkabäer erzählt wird, aus dem die Lesung dieses Sonntags stammt. Nirgends im Alten Testament wird die Auferstehungshoffnung so ausdrücklich formuliert wie hier.

Zur Zeit Jesu wurde der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tod mehrheitsfähig. Gerade die Reformbewegung der Pharisäer bekennt sich dazu, schreibt der jüdische Historiker Flavius Josephus im 1. Jahrhundert. Er nennt auch die Gegner: die konservative Priestergruppe der Sadduzäer. Für sie ist klar: Alles, was nicht in der Tora, also den Fünf Büchern Mose grundgelegt ist, ist eine falsche Lehre. Neumodischer Kram. Und dazu zählte die Sache mit der Auferstehung.

Auferstehung? Neumodischer Kram!

Das Streitgespräch, von dem der Evangelist Lukas erzählt, ist also sehr realistisch. Auch darin, wie die Sadduzäer argumentieren: „Meister, Mose hat uns vorgeschrieben ...“ Und Jesus lässt sich auf die innerjüdische Debatte ein, indem auch er mit der Tora argumentiert: „Dass aber die Toten auferstehen, hat schon Mose in der Geschichte vom Dornbusch angedeutet, in der er den Herrn den Gott Abrahams, den Gott Isaaks und den Gott Jakobs nennt.“ Und Gott sei doch kein Gott der Toten, folglich müssten die Patriarchen leben. Bei Gott.

Zur Zeit Jesu scheint die Auffassung der Sadduzäer bereits in der Minderheit gewesen zu sein. Die Mehrheit neigte zu der Vorstellung einer ausgleichenden Gerechtigkeit nach dem Tod. Wobei es keineswegs nur um einen moralischen Ausgleich ging. Auch bei Jesus nicht, wie man etwa an der Geschichte vom armen Lazarus erkennen kann (Lukas 16,19–31). Der hungernde Lumpenmann Lazarus wird nach seinem Tod in Abrahams Schoß gelegt – wegen seiner Armut und seines Leids. Ob er ein guter Mensch war, wird nicht erzählt.

Vorzimmer der künftigen Welt

Im Jahr 70 nach Christus zerstören die Römer den Jerusalemer Tempel, und die Zerstreuung der Juden in alle Welt beginnt. Dort in der Fremde, ohne den Tempel und seine Tempelpriester, entsteht etwas Neues: das rabbinische Judentum und seine Lehrtexte, die im Talmud und der Mischna zu finden sind. In diesen Texten wird die Erwartung von Lohn und Strafe nach dem Tod ein zentraler Aspekt. Die Mischna zitiert zum Beispiel Rabbi Jakob: „Diese Welt gleicht einem Vorzimmer zur zukünftigen Welt. Bereite dich im Vorzimmer vor, damit du in den Speisesaal eintreten kannst.“

Besonders einflussreich wird im Hochmittelalter Moses Maimonides. Der jüdische Philosoph, Arzt und Rechtsgelehrte aus Cordoba in Spanien fasst 1180 in der „Mischne Tora“ die rabbinische Rechtsauslegung systematisch zusammen. Noch nachhaltiger wirken aber wohl seine 13 Glaubensartikel, die über Jahrhunderte in die jüdische Liturgie und Gebetbücher aufgenommen werden; darunter auch solche über Lohn und Strafe nach dem Tod und die Auferstehung der Toten.

Auferstehung ist keine zentrale Lehre

Im Vergleich zur christlichen Verkündigung, die über Himmel, Hölle und Fegefeuer lange sehr genau Bescheid zu wissen glaubte, bleibt im Judentum die Rede vom Leben nach dem Tod aber immer sehr unklar, sehr offen, wenig konkret. Manche Schulen sprechen vom Weiterleben der Seelen, andere erwarten die leibliche Auferstehung der Toten in messianischer Zeit – was Jerusalem zum bevorzugten Begräbnisort machte und dafür sorgte, dass jüdische Gräber prinzipiell für immer bestehen.

Im Kern ist der jüdische Glaube aber einer, der sehr auf das reale Leben bezogen ist. Und anders als im Christentum ist die Auferstehung – heute vielleicht noch mehr als früher – keine zentrale Lehre. In jüdischen Gebetbüchern und Gottesdiensten nimmt die Dankbarkeit gegenüber Gott für das irdische Leben der Verstorbenen häufig eine weit größere Rolle ein als die Erwartung von Lohn oder Strafe und die Hoffnung auf Auferstehung.
 
Erkennbar ist das auch an jüdischen Friedhöfen. Sie sind vor allem Orte der dankbaren Erinnerung an geliebte Menschen. Nicht ewige Lichter als Zeichen der Auferstehung prägen sie, sondern Steine, die zurückgelassen werden als Zeichen des ehrenden Gedenkens.