Das Lieblingslied von Dirk Speer
Es kommt ein Schiff, geladen

Organisten aus dem Bistum Hildesheim stellen ihr Lieblingslied der Advents- und Weihnachtszeit vor. Dirk Speer, Organist in Braunschweig, hat das Lied: „Es kommt ein Schiff, geladen“ (Gotteslob Nr. 236) ausgewählt.
Gespielt von Lukas Speer an der Orgel im Hildesheimer Mariendom.
Die älteste Niederschrift des Liedes stammt aus der Mitte des 15. Jahrhunderts in einer Handschrift von Johannes Tauler aus dem Straßburger Inselkloster „St. Nicolaus in undis“. Es handelt sich um ein Marienlied, das sich in der Folgezeit in Mystikerkreisen am Ober- und Niederrhein verbreitete und 1608 im Andernacher Gesangbuch die uns bekannte Melodie erhielt.
In Daniel Sudermanns Straßburger Gesangbuch erschien das Lied unter dem Titel „Es kommt ein Schiff geladen“, womit erstmals aus dem Marienlied ein Weihnachtslied wurde. Seit 1835 wurde dann Sudermanns Text mit der Andernacher Melodie verbunden und um 1899 fand es Eingang in die Gesangbücher zum Gebrauch im Gottesdienst.
Der Text ist sehr metaphorisch und gleicht einer Bildmeditation über die Menschwerdung des Herrn. Schon beim Beginn der ersten Zeile wird das Bild eines lautlos auf uns zu treibenden Schiffes gezeichnet (es „geht still im Triebe“). Das Schiff ist randvoll („bis an sein höchsten Bord“) beladen mit einer kostbaren Fracht, der „teuren Last“ – Gottes Sohn, das ewige Wort des Vaters, das bei uns Fleisch werden soll. Und das ganze Wirken des dreifaltigen Gottes bei der Menschwerdung wird im Bild des Schiffes untergebracht: Der Vater hat uns den Sohn gesandt, der Heilige Geist bewirkt Mächtiges und ist der Mast des Schiffes, an dem die treibenden Segel hängen, die Liebe Gottes, welche tiefster Antrieb des Erlöserwerkes ist und das Schiff zu uns treibt. Hier wirft es Anker, hier legt es an, hier wird das Wort Fleisch. Das unfassbare geschieht: Der Sohn Gottes wird in die Armut der Menschen geboren, in Betlehem, in einem Stall. Damit dies geschehen kann, dazu muss sich im Menschen erst etwas vollziehen, was in Strophe fünf und sechs verdeutlicht wird. Wir müssen wie Christus vorher mit ihm leiden, sterben und auferstehen. Dann erst kann er in uns geboren werden.
Die Melodie ist ganz vom Inhalt der ersten drei Strophen geprägt. Die beiden ersten Textzeilen wirken durch den 6/4-Takt wie ein ruhiger Wellenschlag. Auf dem Grundton schwingt die Melodie ein und erreicht in Ganztonschritten die Quinte, fällt zum Ausgangston zurück und bleibt danach auf der offenen Terz stehen. Nun schlägt die Bewegung plötzlich in einen voranschreitenden 4/4-Takt um. Nach einem aufwärts geführten Dreiklang bis hin zur Oktave des Grundtons, perlt eine Achtelfigur abwärts und und wird schließlich wieder in sicheren Schritten zum Ausgangston zurückgeführt.
Tonal vollzieht sich also ein Vorgang im Spiegelbild: Ausgehend von Moll bzw. in Dorisch, mündet der erste Teil in das parallele Dur. Der zweite Teil greift dieses in dem ansteigenden Dreiklang auf und leitet dann wieder in die Basistonart zurück. So unterstreicht die Melodie zusätzlich die Textstruktur, das heißt die Gegenüberstellung von Bild und Ausdeutung.
Schon in meiner Anfangszeit als Organist hat mich dieses Lied wegen der rhythmischen Besonderheit der metrischen Zweiteilung in 3er- und 4er-Takt beeindruckt. Wenn man sich dann noch des genialen Zusammenspiels von Text und Melodie bewusst wird, hat man ein kleines Juwel alter aber zeitloser Musik entdeckt.
Es kommt ein Schiff, geladen
1. Es kommt ein Schiff, geladen
bis an sein‘ höchsten Bord,
trägt Gottes Sohn voll Gnaden,
des Vaters ewigs Wort.
2. Das Schiff geht still im Triebe,
es trägt ein teure Last;
das Segel ist die Liebe,
der Heilig Geist der Mast.
3. Der Anker haft‘ auf Erden,
da ist das Schiff am Land.
Das Wort will Fleisch uns werden,
der Sohn ist uns gesandt.
4. Zu Bethlehem geboren
im Stall ein Kindelein,
gibt sich für uns verloren;
gelobet muß es sein.
5. Und wer dies Kind mit Freuden
umfangen, küssen will,
muss vorher mit ihm leiden
groß Pein und Marter viel,
6. danach mit ihm auch sterben
und geistlich auferstehn,
das ewig Leben erben,
wie an ihm ist geschehn.