Laut Jesus können alle Menschen einen guten Draht zu Gott haben, auch ohne besondere religiöse Bildung
Es lebe das Einfache!
Foto: kna/Julia Steinbrecht
Für Menschen mit einer guten Berufsausbildung oder mit einem Studienabschluss klingt das Evangelium dieses Sonntags möglicherweise arrogant bis unerträglich. Ist Jesus ernsthaft der Meinung, dass Unmündigkeit etwas Positives ist? Ist Bildung aus seiner Sicht etwa unwichtig? Stimmt er ein in den Chor derer, die ihre eigene Unwissenheit und Ignoranz für einen Wert halten? Und anders herum: Haben wir Gebildeten keine Chance, dass Gott jemals mit uns redet? Haben wir uns mit unserem Wissenshunger, mit unseren guten Schul- und Berufsabschlüssen den Weg zu Gott verbaut?
Erst beim zweiten Lesen kann man auf den Gedanken kommen, dass Jesus nicht Unmündigkeit verklärt, wenn er sagt: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du das vor den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen offenbart hast.“ Er will einen Kontrast herstellen zu denen, die sich in seiner Zeit für gebildet hielten.
Wie an vielen Stellen im Evangelium ist dieser Abschnitt auch eine Kritik gegenüber den Pharisäern und anderen theologischen Gruppen, die Menschen erklärt haben, wie man richtig glaubt, wie man richtig betet und fastet. Doch müsste es Gott nicht um mehr gehen als um korrektes religiöses Verhalten? Im Gegensatz zu den Autoritäten seiner Zeit scheint Jesus davon auszugehen, dass jeder Mensch einen Draht zu Gott hat, einfach so, ohne besondere religiöse Bildung. Schließlich sind seine Jünger Fischer,
Zöllner oder Hausfrauen.
Er sprach nicht über den Sinn, er lebte ihn
Aus meinem Leben fallen mir vier Menschen ein, die wirkten, als lebten sie mit Gott wie in einer Nachbarschaft. Unmündig waren und sind sie nicht, ganz im Gegenteil.
Einer von ihnen war mein Opa Klemens. Er wuchs in einem katholischen Dorf auf, in seiner Familie war Bildung geachtet. Opa Klemens war Landwirt. Er bewirtschaftete nicht nur seinen eigenen Hof, sondern arbeitete noch Vollzeit auf der LPG, der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, im Nachbarort.
Er sprach selten über den Glauben oder etwas, das er in der Kirche gehört hat. Grundsätzlich sprach er nur über Dinge, mit denen er sich auskannte. Zu Hause sah ich ihn nur vor und nach dem Essen beten. In seinen jüngeren Jahren hielt er manchmal die Sonntagsnachmittagsandacht in der Kirche. Er war wie alle im Dorf katholisch, ging sonntags und oft auch wochentags zum Gottesdienst. Hinten unter der Empore war sein Platz.
Je mehr Opa nicht vom Glauben sprach, desto selbstverständlicher schien er ihn zu leben. Jeden Sonntag trug er Hemd und Schlips unter dem Pullover und saß mit Oma an einem schön gedeckten Kaffeetisch. Sein Leben war mehr als die viele Arbeit und die Not vor allem zu Beginn ihrer Ehe. Ich bin mir nicht sicher, ob und was Opa geantwortet hätte, wenn man ihn gefragt hätte, was der Sinn des Lebens ist. Er lebte ihn einfach.
Eine Zweite ist die Frau, die auf der Heimfahrt von der Schule eines Nachmittags in meinem Schulbus saß. Mit ihren schwarz-grauen Haaren und dem dunkelblauen Mantel war sie auffällig unauffällig. Sie hatte ihren kleinen rollbaren Einkaufswagen neben sich gestellt, blickte leicht nach unten und ließ ihre Augen während der Fahrt geschlossen. Keine Blicke, wer noch mit ihr im Bus sitzt, kein Aufhorchen, was beim Fahrer passiert, wer noch einsteigt, was draußen los ist. Sie folgte den Geräuschen nicht und bewegte kaum sichtbar die Lippen. Der Rosenkranz, der zwischen Daumen und Zeigefingern aus ihren Händen hervortrat, klackte leicht, wenn sie betend die Perlen weiterschob. Sie organisierte ihren Alltag, fuhr in die Stadt, brachte den Einkauf mit. Doch ihr Leben überließ sie – so wirkte es – ja, wem? Kaum vorstellbar, dass sie über ihren Glauben sprach.
Was kann man in der Kirche gemeinsam tun?
So wirkte auch eine alte Ordensschwester, der ich einmal in der Kapelle ihres Schwesternhauses abends zuhörte. Sie flüsterte den Rosenkranz mit Gebeten für die unerlösten Seelen. Gott solle den Toten gnädig sein. Sie hatte in ihrem Leben wohl viel von den Strafen Gottes gehört. Das Gebet vermittelte ein altes Gottesbild, das dazu da war, Menschen gefügig zu machen. Doch ängstlich wirkte die Schwester nicht, sondern zugewandt und voller Vertrauen, dass Gott ihre Gebete entgegennimmt. Ich sah und hörte eine Ordensschwester, die ihre Liebe zu den Menschen darin ausdrückte, dass sie für sie betete – mit schrecklichen Worten.
Schließlich meine Freundin Lisa, die eigentlich anders heißt und die ich in Taizé kennenlernte. Bei den internationalen Jugendtreffen in dem Dorf in Frankreich wird täglich viel gebetet und über Bibeltexte gesprochen. Doch die Frage ist immer: Was bedeuten die Bibelworte ganz konkret im Alltag? Das ist auch Lisas Frage.
Als ich ihr von der Bibelstelle mit dem Lob der Unmündigen erzählte, wusste sie nichts damit anzufangen und sagte, dass sie sich mit Bibelstellen nicht so auskennt. Bei ihrer Sekretärinnenarbeit erlebte sie lange einen unfreundlichen Büroalltag mit einem Gehalt, das gerade so zum Leben reichte. Doch ihr Ankerplatz war und ist die Jugendkirche. Für die Organisation von Gottesdiensten, Wallfahrten und Festen für junge Leute setzt sie einen großen Teil ihrer Freizeit ein. Über Glauben redet sie nicht, nur darüber, was man in der Kirche gemeinsam tun kann.
Jesus lobt nicht die Unmündigkeit. Die gute Nachricht ist doch: Wir Menschen haben einen Draht zu Gott. Und manche, die nie über ihren Glauben sprechen, leben ihn einfach.