Wie ein Pfarrer im Ruhestand bitten lernen musste

„Es wird viel zu wenig gebeten“

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Eigentlich sind wir alle auf Selbstständigkeit bedacht. Vieles selbst zu können, ohne andere bitten zu müssen, ist ein Ideal. Jesus rät dagegen: Bittet und euch wird gegeben. Dass das funktioniert, hat auch Friedhelm Fuest erfahren, nicht nur, aber auch wegen seiner Erkrankung.

Foto: Christof Haverkamp
Nicht das Bitten, sondern ungebetene Hilfe findet Friedhelm Fuest schwierig.

Von Susanne Haverkamp

"Ich wohne sit ein paar Jahren in dieser barrierefreien Wohnung“, sagt Friedhelm Fuest, als er die Tür öffnet. „Mein Rollstuhl ist Hightech, mein Bett auch. Es gibt zum Glück jede Menge Hilfsmittel.“

Auf die ist der 79-jährige Priester auch angewiesen. Denn seine Krankheit, Einschlusskörpermyositis, greift seine Muskulatur an. „Die Diagnose habe ich 2004 bekommen, da war ich Pfarrer in Belm“, sagt er. Eigentlich hatte er sich wegen eines Ischias-Problems behandeln lassen. „Aber die Osteopatin sagte: Da ist etwas mit Ihrer Beinmuskulatur komisch.“

Tatsächlich hatte Friedhelm Fuest das irgendwie auch schon gemerkt. „Ich war 1999, zwischen zwei Pfarrstellen, auf dem Jakobsweg unterwegs und bin mehrfach gestürzt. Obwohl Wandern immer mein großes Hobby war. Offenbar konnte meine Muskulatur schon damals kleine Stolperer nicht mehr ausgleichen.“

Der Gehstock war die schwerste Hürde

Die Einschränkungen wurden mehr und mehr. „Ich konnte nicht mehr gut Treppe gehen“, sagt Fuest. Auch die Stufen zum Altarraum wurden zum Problem. Mehrfach sei er einfach hintenübergekippt. „Deshalb musste ich Messdiener bitten, ob ich mich auf sie stützen kann.“
 
War das ein Problem für ihn? Schließlich galt Friedhelm Fuest immer als sehr aktiver, kraftvoller Typ. „Als ich die Diagnose bekam, habe ich das in der Gemeinde sofort öffentlich gemacht“, sagt der Priester. Auch, weil die Krankheit nicht heilbar ist und die Symptome immer schlimmer werden. „Der schwierigste Einschnitt war für mich, als ich einen Gehstock nehmen musste. Das war das äußere Zeichen, dass nicht mehr alles geht“, sagt er. Der Umstieg auf den Rollator und noch später den Rollstuhl seien dagegen einfacher gewesen.

Bitten zu lernen, sei ihm nicht schwergefallen. „Ich konnte schon immer gut delegieren“, sagt Fuest und lacht. In der Gemeindearbeit habe er die Erfahrung gemacht: Wer um Hilfe bittet, bekommt sie auch. „Ich wollte immer weg von der versorgten Gemeinde“, sagt Fuest. Deshalb habe er oft Leute gebeten, nicht nur Aufgaben, sondern Verantwortung zu übernehmen. „Jemanden um Hilfe zu bitten, bedeutet ja auch, ihm zu signalisieren: Ich traue dir das zu“, sagt Fuest. Zu bitten, sei deshalb auch „eine Form des Respekts“. In der Gemeindearbeit, ist Fuest überzeugt, „wird viel zu wenig gebeten“. Wenn er bei irgendwem angeklopft habe, „wurde meistens auch aufgemacht“, sagt er.

Bitten ist Eine Win-win-Situation

Diese Erfahrungen aus der Gemeindearbeit haben es für den Priester vielleicht einfacher gemacht, auch um existenzielle Hilfe zu bitten. „Vor einiger Zeit“, erzählt er, „war ich am Kloster Herstelle unterwegs und bin an einer recht einsamen Stelle mit meinem Rollstuhl umgekippt“. Da lag er einige Zeit, bis ein Spaziergänger vorbeikam. „Ich habe zu dem Mann gesagt: Sie haben Glück, Sie haben jetzt die Möglichkeit, jemandem zu helfen.“ Um etwas gebeten zu werden und helfen zu können, sagt Fuest, das sei „doch irgendwie eine Win-win-Situation“.

Heute muss Friedhelm Fuest oft bitten. „Das ist auch kein Problem“, sagt er. „Das Problem ist vielmehr die Hilfe, um die ich gar nicht gebeten habe.“ Oder die Erfahrung, dass Helfende über seinen Kopf hinwegbestimmen. „Morgens kommt immer ein Pflegedienst und manchmal ist eine Praktikantin dabei“, erzählt er. „Wenn die Pflegekraft dann erklärt: Herr Fuest will das soundso, dann sage ich: Stopp!, reden Sie bitte nicht über mich als ,er‘. Ich kann noch sehr genau sagen, was ich will.“ Natürlich meine die Pflegerin das nicht böse, sagt Fuest. „Aber wenn ich nicht ernst genommen werde, kann ich stinksauer werden!“

Zumal Fuest zwar körperlich beeinträchtigt ist, aber auf geistlicher Ebene durchaus noch selbst um Hilfe gebeten wird. „Ich mache geistliche Begleitung und Einzelgespräche“, sagt er. Immer wieder würden Leute bei ihm anklopfen und um seine Zeit bitten. „Ich sage dann, was geht, und wir schauen gemeinsam, ob es passt.“ 

Seine Aufgabe versteht Fuest dann so, dass er selber bittet und anklopft. „Ich bitte die Menschen, in ihre Tiefe zu schauen; ich klopfe bei ihnen an: Was ist da noch in dir?“, sagt er. Und oft genug, öffnet sich dann das Innere. Vielleicht sagt Fuest, sei seine eigene Situation in diesem Sinne ein Vorteil. „Die Leute glauben mir mehr als früher, wenn ich sie bitte, auch das Gute in ihrem Leben zu sehen und nicht nur das, was fehlt.“

Ich habe Gott nie um Heilung gebeten

Jesus versteht die Aufforderung „Bittet und euch wird gegeben“ aber nicht nur als Tipp unter Menschen. Er rät, auch Gott zu bitten und bei ihm anzuklopfen. „Ich habe Gott nie gebeten, mich zu heilen“, sagt Fuest. „Weil das nicht sein Geschäft ist.“ Er sehe es eher umgekehrt: „Bei den Heilungsgeschichten der Bibel klopft Jesus bei den Menschen an, nimmt sie wahr und fragt: Was willst du, dass ich dir tue?“

Genauso sieht Fuest das Leben – und auch das Leben mit Gott. „Das Leben klopft an mit seinen verschiedenen Herausforderungen und ich muss darauf die Antwort geben“, sagt er. Ihm selbst seien dabei verschiedene Worte aus den Evangelien wichtig geworden; Worte, die dazu führten, dass er vor 50 Jahren Priester wurde und die „vielleicht ein leises Anklopfen Gottes“ waren. Andere Worte sind ihm in seiner jetzigen Situation besonders wichtig. „Mir kam der Satz in den Sinn: Tu, was du kannst, alles andere ist nicht dein Geschäft“, sagt er. Das gebe Gelassenheit in den Herausforderungen, die sein Leben nun stellt.

Ein Beispiel dafür ist die heilige Messe. Er feiert sie meist einmal in der Woche im benachbarten Altenheim. „Ich kann mit dem Rollstuhl unter den Altar fahren“, sagt er. Auch predigen kann er, das Wort verkünden. „Aber den Kelch hochheben und aus ihm trinken, das kann ich nicht mehr.“ So tauche er bei der Kommunion die Hostie nur noch in den Wein – und die Ordenschwester, die neben ihm steht, macht alles Weitere.

Es stimmt eben: Bittet und euch wird gegeben. Klopft an und es wird euch geöffnet. Probieren Sie es einfach mal aus!