Maria begegnet Elisabet

Familien wie im Bilderbuch

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Zwei Vorzeigefamilien: der Tempelpriester Zacharias mit seiner frommen Frau Elisabet und Johannes – und Josef, Maria und Jesus, der Sohn Gottes. Doch wenn man genauer hinschaut, läuft es auch in diesen Familien alles andere als rund.

Von Theresa Brandl

Maria macht sich auf den Weg. Sie will ihre Cousine Elisabet besuchen, die sie lange nicht gesehen hat. Das Evangelium dieses Sonntags erzählt von der Begegnung der Frauen. Beide sind schwanger. Elisabet, die Frau eines angesehenen Priesters, erwartet im hohen Alter unerwartet ihr erstes Kind. Doch nicht nur deshalb ist die Freude groß. Elisabet, so erzählt es der Evangelist Lukas, ahnt, dass Maria den Menschensohn in ihrem Leib trägt. „Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes!“, ruft sie.
 
Maria und Elisabet: Das klingt nach Bilderbuchmüttern mit Bilderbuchfamilien. Doch ist das so? Dem damaligen gesellschaftlichen Ideal entsprechen die beiden nicht. Maria – jungfräulich und schwanger. Das Kind ist nicht von Josef, dem Zimmermann, mit dem sie verlobt ist. Zur damaligen Zeit ein Affront und eigentlich Grund genug, die Frau für immer zu verstoßen und ihrem Schicksal zu überlassen. Doch Josef erscheint im Traum ein Engel: „Das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist“, heißt es bei Matthäus. Und so bleibt Josef – trotz des inneren Konflikts.
 
Die erste Krise ist überstanden. Und nun wird alles gut? Nein. Der Evangelist Lukas erzählt, dass Kaiser Augustus eine Volkszählung beauftragt. Josef und die hochschwangere Maria müssen sich in Betlehem in Steuerlisten eintragen. Statt in einem warmen Haus kommt Jesus in einem Stall zur Welt, weil in der Herberge kein Platz war. Und dann müssen sie fliehen, weil König Herodes aus Angst um seine Herrschaft alle Jungen im Alter von bis zu zwei Jahren töten lassen will. 

Und Zacharias und Elisabet? Beide sind doch eigentlich viel zu alt, um noch Eltern eines Kindes zu werden. Deshalb verwundert es nicht, dass Zacharias zunächst nicht fassen kann, was ihm im Tempel der Erzengel Gabriel verkündet: dass Elisabet einen Sohn gebären wird. Sein Name soll Johannes sein. „Woran soll ich das erkennen?“, fragt Zacharias ungläubig. Er wird sofort dafür bestraft, dass er die Größe des Herrn nicht erkennt, und muss bis zur Beschneidung seines Sohnes verstummen.

Beide sterben einen qualvollen Tod

Auch später verläuft das Leben der Familien von Jesus und Johannes nicht wie das einer typischen Bilderbuchfamilie. Als Josef, Maria und Jesus zum Passahfest nach Jerusalem reisen, verschwindet der zwölfjährige Jesus. Drei Tage suchen die Eltern nach ihm, ehe sie ihn in einem Tempel finden. Anstatt sich zu entschuldigen, reagiert Jesus auf die Sorgen seiner Eltern eher vorwurfsvoll und fragt: „Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ Das muss sich für Josef wie eine Ohrfeige angefühlt haben. Sein Sohn, den er Zeit seines Lebens behütet und beschützt hat, wirft ihm nun vor, dass er nicht sein richtiger Vater sei?
 
Und auch Johannes sondert sich ab. Bei Lukas heißt es: „Das Kind wuchs heran und wurde stark im Geist. Und es lebte in der Wüste bis zu dem Tag, an dem es seinen Auftrag für Israel erhielt.“ Die Bibel sagt nicht, was Elisabet und Zacharias von dieser Entscheidung halten. Aber vermutlich ist es für sie nicht einfach, dass ihr Sohn allein in der Wüste lebt. Dass er sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährt und mit einem Gewand aus Kamelhaar und Ledergürtel umherläuft. Stellen sich Eltern so das Leben für ihr Wunschkind vor?

Die nächste Begegnung der beiden Söhne Jesus und Johannes, von der wir wissen, ist erst im Erwachsenenalter. Johannes ist mittlerweile bekannt. Er kündigt das Kommen Gottes an, predigt das nahende Gericht und ruft die Menschen zur Umkehr auf. Und er tauft die Menschen am Jordan. Auch Jesus. 

Nach seiner Taufe wird Jesus selbst zum Prediger. Bald schon kommen unzählige Menschen zusammen, wann immer er spricht. Als sich einmal in einem Haus so viele Menschen treffen, dass sie nicht einmal mehr essen können, kommen seine Angehörigen vorbei, um ihn mit Gewalt zurückzuholen. Markus berichtet, dass sie sagen: „Er ist von Sinnen.“ Rückhalt und Unterstützung sieht anders aus.
 
Am Ende gipfeln die Schicksale der beiden Söhne darin, dass sie einen qualvollen Tod sterben. Jesus, der gekreuzigt wird, und dessen Mutter Maria dabei zusehen muss, wie ihr eigener Sohn unter größten Qualen getötet wird. Und Johannes stirbt Jahre vorher, weil er öffentlich kritisiert, dass Herodes die Frau seines Bruders geheiratet hatte. Herodes fürchtete Johannes und traute sich nicht, ihn töten zu lassen. Doch seine Frau Herodias will Rache nehmen. Sie bittet ihre Tochter Salome, für den Stiefvater Herodes zu tanzen. Der ist so begeistert davon, dass er ihr einen Gefallen verspricht. Salome wünscht sich im Namen ihrer Mutter den Kopf des Täufers auf einer Schale. 

Heilige sind Menschen wie wir

Jesus, Maria und Josef. Johannes, Elisabet und Zacharias. Einem Bilderbuch entstammen diese Familiengeschichten wahrlich nicht. Dafür sind sie von zu vielen Konflikten und dramatischen Ereignissen durchsetzt. Doch was ist eine Bilderbuchfamilie überhaupt? Welches vermeintliche Ideal führt sie uns vor Augen? Es ist wohl ein Irrglaube, dass das Zusammenleben immer perfekt und harmonisch abläuft – auch und gerade innerhalb von Familien. Warum sollte es bei den Heiligen anders sein? Heilige sind Vorbilder für uns, in guten und schlechten Zeiten – und so glaubhaft, weil sie ganz normale Menschen waren. Elisabet, Zacharias, Josef, Maria – sie mussten ihr Leben meistern, so wie wir.

Die Familien müssen vieles erleiden, aber man spürt die Liebe, den Zusammenhalt und das Vertrauen auf Gott: Josef, der zu Maria hält, obwohl er nicht der leibliche Vater Jesu ist. Maria, die unter dem Kreuz bitterlich um ihren Sohn weint. Zacharias, der dem Herrn ein Loblied dafür singt, dass er ihn und seine Frau noch Eltern werden ließ. Johannes, der vor Freude über Jesus im Leib von Elisabet hüpft.