Antisemitismus-Eklat im Vorfeld von Frauen-Weltgebetstag

Fast alles steht infrage

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Ulrike Göken-Huismann und Brunhilde Raiser
Nachweis

Foto: kna/Michael Kinnen

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Müssen das Material überprüfen: Ulrike Göken-Huismann (l.) und ihre evangelische Vorstandskollegin Brunhilde Raiser, hier bei der Vorstellung des Weltgebetstag 2024 vor zwei Monaten

Eigentlich feiern am Weltgebetstag Frauen weltweit den gleichen Gottesdienst. Im nächsten Jahr macht Deutschland nicht mit. Denn die Vorlage aus den Palästinensergebieten gilt zum Teil als antisemitisch.

Zoff um den Weltgebetstag der Frauen (WGT) gab es schon öfter. „Aber dass es so eskaliert, habe ich noch nie erlebt“, sagt die Vorstandsvorsitzende des deutschen WGT-Komitees, Ulrike Göken-Huismann. Der Vorstand stehe nun vor der Aufgabe, das „Schiff durch schwere See“ zu steuern, sagt die katholische Theologin.

Der Weltgebetstag der Frauen ist eine globale christliche Basisbewegung. Und das seit fast 100 Jahren. In 150 Ländern findet jeden ersten Freitag im März ein ökumenischer Gottesdienst statt, die Vorlagen und weiteres Vorbereitungsmaterial werden immer von einem anderen nationalen Komitee erarbeitet. Wer an die Reihe kommt, wird schon Jahre im Voraus festgelegt. Diesmal waren die Palästinenserinnen dran.

„Informiert beten und betend handeln“, lautet der Anspruch. So hat es Göken-Huismann im September in Berlin erklärt, bei der Vorstellung des Programms für 2024. Zum Pressetermin waren Gäste von weither angereist, zum Beispiel Sally Azar. Die erste ordinierte lutherische Pas-
torin im Nahen Osten warnte ausdrücklich davor, Antisemitismus mit der Lage in Palästina zu verbinden. „Wir beten für die Menschenrechte“, sagte sie. Aber das war 16 Tage vor der Terrorattacke der Hamas auf Israel. Seither befindet sich auch der Weltgebetstag in der Kritik.

Die bisher schärfste von außen kommt aus den Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Deren Zentrale, der Deutsche Koordinierungsrat (DKR), veröffentlichte Ende Oktober eine Stellungnahme mit schwerwiegenden Bedenken. In Teilen des aktuellen WGT-Materials stecke „christlicher Antisemitismus schlimmster Art“. Das beginne damit, dass Palästina als „Wiege des Christentums“ beschrieben werde, ohne zu erwähnen, dass Jesus Jude gewesen sei. „Das finde ich schon ziemlich harten Tobak“, sagt DKR-Vorstandsmitglied Pfarrer Peter Noss. Unterschlagen werde auch, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung Israels palästinensisch sei. Die Künstlerin des zentralen Weltgebetstagsplakats, Halima Aziz, habe sich mit dem Terror der Hamas solidarisiert. Das belastete Material müsse zurückgezogen werden, der Weltgebetstag dürfe so nicht stattfinden, so die Position des DKR.

Göken-Huismann, im Hauptberuf Geistliche Leiterin der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands, lässt keinen Zweifel daran, dass sie die Vorwürfe ernst nimmt. Der Plakatverkauf wurde gestoppt, auch ein Ausmalbild für Kinder aus dem Verkehr gezogen. Auf ihrer Internetseite platzierten die deutschen Weltgebetstagsfrauen das Statement: Der Vorstand des Komitees „toleriert in keiner Weise eine wie auch immer geartete Unterstützung der Hamas oder eine Verneinung des Existenzrechts des Staates Israel“. Dieser Tage gab es deshalb schon die zweite außerordentliche Mitgliederversammlung. Von Aufregung und auch großer Traurigkeit ist die Rede. Mit den Kritikern vom DKR wurde eine Aussprache anberaumt. Doch nun haben die deutschen Weltgebetstagsfrauen Fakten geschaffen. Göken-Huismann spricht von „einer der schwersten Entscheidungen ihres Lebens“. Nach einer langen Komitee-Sitzung fiel am Abend des 9. November der Beschluss: Die in Palästina vorbereitete Gottesdienstordnung wird in Deutschland nicht mehr weiter an die Gemeinden verbreitet. Aber was ist die Alternative?

Zu den Markenzeichen des Weltgebetstags gehört, dass der einmal geplante Gottesdienst überall auf der Welt in derselben Form gefeiert wird. „Treue zur Ordnung“ nennen sie das. Ziel müsse nun sein, so viel wie möglich davon zu retten, sagt die Theologin. Allerdings müssten Lieder und auch Fürbitten überprüft werden, auch die Erfahrungsberichte von drei Palästinenserinnen bräuchten eine Einbettung. Wie das dann aussieht? „Das wissen wir auch noch nicht so genau“, sagt die 61-Jährige. Stilles Gebet, wenig Gesang und keine kulinarischen Köstlichkeiten danach wie sonst – solche Vorschläge kommen aus den Reihen der beteiligten Frauen. Und das sind nicht wenige. Etwa 800 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zählt der Weltgebetstag in Deutschland jedes Jahr.

Fast alles steht infrage, nur eines nicht, sagt Göken-Huismann: „Dass sich Frauen verschiedener christlicher Konfessionen am 1. März nächsten Jahres zu Gebet, Trauer und Klage versammeln.“ Und dass sie dabei den Glaubensschwestern aus Palästina Gehör verschaffen wollen.
Christinnen und Christen sind im Heiligen Land zu einer kleinen Minderheit geworden, die unter Druck steht. In den Palästinensergebieten und in Israel sind es vielleicht noch 50 000, nicht mehr als ein Prozent der Bevölkerung.

Auch in anderen Ländern wird über die Texte debattiert

„Wir brauchen behutsame Stimmen in diesem Konflikt“, sagt die evangelische Vorstandskollegin Brunhilde Raiser. In der Weltgebetstagsordnung fänden sich „kleine Pflänzchen, wie mit erlebten Verletzungen umgegangen werden kann“. Die palästinensische Bevölkerung sei von Traumata gekennzeichnet, durch den Krieg würden ihre Leiden potenziert.

Der Ausnahmezustand drückt sich auch in abgerissenen Verbindungen aus. Zu denjenigen Vorbereiterinnen des Weltgebetstags, die in Gaza daheim sind, gibt es keinerlei Kontakt aus Deutschland. „Jede von uns denkt jeden Tag an diese Frauen“, erzählt Göken-Huismann und klagt über die „furchtbare Gewaltspirale“. Und sie ergänzt, dass der Weltgebetstag, wie der Name sagt, in erster Linie eine Gebetsbewegung sei.

Umso dringender wünscht sich das deutsche Komitee Unterstützung von der Zentrale des Weltgebetstags in New York. Schließlich sei auch dort das Plakatmotiv ausgesucht worden. Von dort müsse nun eine Reaktion auf die Vorwürfe kommen. Denn Debatten gibt es nicht nur in Deutschland, auch in Österreich, der Schweiz, in Kanada und den USA.

Christoph Renzikowski