Konsequenzen aus Missbrauchsgutachten

Folgen weitere Rücktritte?

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Das Kölner Gutachten ist nur ein erster Schritt zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der Kirche. Trotzdem ist es wertvoll – weil es tiefe Einblicke in klerikales Versagen gibt. Legt man die Kriterien des Kölner Gutachtens an, werden wohl noch mehr führende Kirchenleute gehen müssen.


Er hat dem Papst seinen Rücktritt angeboten: Stefan Heße, Hamburger Erzbischof
und früherer Personalchef und Generalvikar in Köln.

Von Ulrich Waschki 

Das Gutachten zum Umgang mit sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln könnte zu einer Zäsur im Missbrauchsskandal werden. Weil ihnen eine ganze Reihe von Pflichtverstößen zu Last gelegt wird, boten Hamburgs Erzbischof Stefan Heße, früher Personalchef und Generalvikar im Erzbistum Köln, und der Kölner Weihbischof und frühere Generalvikar Dominikus Schwaderlapp dem Papst ihren Rücktritt an. Der Papst hat über die Rücktritte noch nicht entschieden. Verlieren beide ihre Ämter, sind sie die ersten Bischöfe in Deutschland, die über den skandalösen Umgang mit sexuellem Missbrauch zu Fall kommen.

Doch das Gutachten in Köln ist nur ein weiterer Schritt auf dem Weg der Missbrauchsaufarbeitung. Der Jesuit und Kinderschutzexperte Hans Zollner nannte die bisherigen Maßnahmen in Köln „einen viel zu kleinen Schritt“. Die „rein juristische Sichtweise“ des Gutachtens sei keine umfassende Aufklärung. Die Kölner Gutachter beschränken sich auf rechtliche Fragen. Sie beurteilen nur das, was in den bekanntermaßen lückenhaften Akten steht, und zerlegen die Verfehlungen der Verantwortlichen in Einzelteile. Einzelne Fehler erscheinen dadurch relativ harmlos, alle werden am Ende undifferenziert addiert. Was fehlt, ist ein Gesamtbild, eine auch moralische Beurteilung. Das war nicht der Auftrag der Juristen und das ist das Unzulängliche am Kölner Gutachten. 

Dennoch macht es klar, dass die Kölner Bistumsleitung, wie man ja auch aus anderen Diözesen weiß, über Jahrzehnte ohne Empathie für die Opfer gehandelt hat und nur bemüht war, den Schaden für Kirche und Kleriker gering zu halten. Interessant, dass bei Laien, die des Missbrauchs beschuldigt wurden, kein einziger Pflichtverstoß der Verantwortlichen im Umgang mit den Vorwürfen festgestellt wurde. Allein mit der besonderen (kirchen)rechtlichen Stellung der Priester lässt sich das nicht erklären. 

Deutliche Worte finden die Gutachter zur unzureichenden Rechtspraxis in der Kirche, auch kritisieren sie, welche Machtfülle sich beim Bischof konzentriert, der fast ohne äußere Kontrolle schalten und walten darf. Ein „monarchisches System“ nennen das die Juristen. Das Gutachten zeichnet ein Bild einer klerikalen Elite, die ein Bistum nach Gutdünken führt, zum Teil absichtlich Missbrauch vertuscht, oft aber einfach überfordert und unprofessionell wirkt. 

Auch nach 2002 kam es weiter zu Pflichtverstößen

Das gilt nicht nur für längst vergangene Jahrzehnte, sondern auch für die Zeit ab 2002, in der sich die deutschen Bischöfe regelmäßig mit den Leitlinien für den Umgang mit Missbrauch befasst haben. Als also ausreichend Sensibilität für das Thema hätte existieren müssen, kam es weiter zu Pflichtverstößen. 

Man darf davon ausgehen, dass auch in den anderen Diözesen die Lage nicht fundamental anders war. Legt man also die Kriterien des Kölner Gutachtens an, dürften in den nächsten Jahren weitere führende Kirchenleute ihre Rücktritte anbieten müssen. Schließlich sind in fast allen Diözesen Aufarbeitungsprozesse im Gang. Zum Glück meist mit einer nicht auf die juristische Seite beschränkten Fragestellung.