Bilanz einer Studienreise nach Israel

Fortschritte im jüdisch-christlichen Dialog

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Auf einer Studienreise nach Israel haben die Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum der Deutschen Bischofskonferenz sowie Vertreter der Rabbinerkonferenzen in Deutschland ihre Beziehungen im jüdischen-christlichen Dialog vertieft. Im Interview schildern Bischof Ulrich Neymeyr, Vorsitzender der Unterkommission, und der orthodoxe Rabbiner Jehoschua Ahrens ihre Eindrücke.

Foto: kna/Dominik Wolf
Zurück aus Israel: Bischof Ulrich Neymeyr nahm als Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz an der Studienreise teil. Foto: kna/Dominik Wolf

Mit welchen Erkenntnissen kehren Sie von der Studienreise nach Israel zurück?
Ahrens: Im jüdisch-christlichen Dialog hat sich in den vergangenen Jahren auch in Israel sehr viel getan. Eigentlich ist es Wahnsinn, was sich da alles entwickelt hat, welche Institutionen und Initiativen es da inzwischen gibt. Auch im jüdisch-muslimischen Austausch. An sonstigem Tempo in religiösen Dingen gemessen ist das blitzartig. Man merkt, in Israel ist heute der interreligiöse Dialog dabei, wirklich ein Mainstream-Thema zu werden. Manches wabert noch unter der Oberfläche, aber die Rabbiner sind sehr interessiert daran.

Neymeyr: Die Reise war sicher ein wichtiger Schritt für unsere christlich-jüdischen Beziehungen. Wir konnten unsere Themen auf der einwöchigen Fahrt sehr gut vertiefen - mit unseren Gesprächspartnern vor Ort, aber auch untereinander. Ich fand das auch spirituell sehr bereichernd. Wir bekamen natürlich auch Einblicke in die politische Situation. Religion und Politik lassen sich in Israel ja nicht auseinanderhalten.


Wie haben Sie die Atmosphäre vor Ort erlebt? Die neue rechtsnationale Regierung sorgt ja für reichlich Unruhe.
Neymeyr: Wir haben vor Ort große Protestkundgebungen live miterlebt. Und in vielen Gesprächen kam zum Ausdruck, wie viele Menschen unzufrieden bis entsetzt mit der neuen Koalition sind.

Ahrens: Ich bin auch sehr kritisch mit der neuen Regierung, vor allem was die religiös-zionistischen Parteien angeht, die ich - selbst ein religiöser Zionist - eigentlich nicht in der Tradition des religiösen Zionismus sehe. Die Stärke der Rechten in Israel ist natürlich auch eine Schwäche der Linken. Wir haben das ausführlich auf unserer Reise diskutiert. Es ist ja sehr komplex. Ich rate jetzt erstmal zum Abwarten, wie sich die Regierung entwickelt. Aber letztlich war das nicht das entscheidende Thema unserer Fahrt. Wir haben uns mehr auf das religiöse Leben konzentriert. Wichtig war mir, dass wir auf der Reise ein sehr ausgewogenes Programm hatten und dabei Säkulare und Religiöse, Israelis und Palästinenser getroffen haben, um ein Blick des ganzen Spektrums der israelischen Gesellschaft zu bekommen.


Nun hat aber die neue Regierung allem Anschein nach kein großes Interesse, den aufkeimenden jüdisch-christlichen Dialog weiter zu forcieren. Inwieweit waren Ihre Gesprächspartner auf der Reise diesbezüglich in Sorge?
Neymeyr: Es zeigte sich, dass die Vernetzung unserer Gesprächspartner im religiösen Dialog sehr international ist und längst nicht nur auf Israel beschränkt. Insofern war da keine allzu große Sorge zu spüren.


Schauen wir auf einige Stationen Ihrer Reise. Sie haben in einem Krankenhaus über bioethische Fragen diskutiert. Worum ging es genau?
Neymeyr: Wir haben über die religiösen Begründungen für bestimmte unterschiedliche Positionen gesprochen, etwa im Umgang mit pränataler Diagnostik und In-Vitro-Befruchtung oder dem Bereich der embryonalen Stammzellforschung. Da gibt es unterschiedliche Auffassungen.

Ahrens: Das Spannende bei diesen Themen war: Grundsätzlich gehen die jüdische und die katholische Religion beide von der Heiligkeit des Lebens aus, das zu schützen ist. Nur kommen wir dann in manchen Punkten zu anderen Schlüssen. Bei einer Befruchtung außerhalb des Mutterleibs etwa kann nach jüdischer Lehre nicht schon von Leben gesprochen werden. Auch über den Zeitpunkt, wann genau neues Leben beginnt, sind wir unterschiedlicher Auffassung. Mit Blick auf das Lebensende wiederum sind wir sehr nah beieinander.

Neymeyr: Insgesamt war das wirklich ein sehr anregender Dialog, der Augen öffnete für die Position des anderen, auch wenn man sie nicht teilt.


Sie haben sich auch über die Rolle der Frauen im Judentum informiert. Hatten Sie ein Aha-Erlebnis, Herr Bischof?
Neymeyr: Außenstehende haben oft den Eindruck, im Judentum wären Frauen weitgehend ausgeschlossen. Wir konnten das Gegenteil erleben, als wir eine Talmud-Schule für junge Frauen besucht haben. Wir hatten unter anderem ein Gespräch zum Thema "Orthodox und feministisch". Das Interessante fand ich, dass sich die Frage nach Leitungsrollen und Führungsaufgaben für Frauen nicht nur auf den Beruf bezog, sondern dass sie auch den Bereich Familie umfasste und beides auf gleicher Stufe betrachtet wird. Und dass dies religiös gewünscht ist und gefördert wird.

Ahrens: Es gibt auch im traditionellen Judentum Bemühungen, Frauen in religiöse Führungspositionen einzubinden. Viele rabbinische Aufgaben können auch Frauen übernehmen. Auf der einen Seite gibt es in der Liturgie bestimmte Beschränkungen für Frauen, aber es gibt eben auch Initiativen, dass die Frauen aktiv den Gottesdienst mitgestalten und zum Teil leiten. Wir haben solch einen Schabbat-Gottesdienst erlebt, und besonders unsere weiblichen Delegationsmitglieder waren sehr beeindruckt davon.


Wie stellt sich die Situation für die Minderheit der 185.000 Christen in Israel, knapp zwei Prozent der Bevölkerung, derzeit dar?
Neymeyr: Die Situation der Christen ist sehr vielfältig. Sie reicht von kleinen Gruppe hebräischsprachiger Christen, die voll in die israelische Gesellschaft integriert sind, über die große Gruppe palästinensischer Christen, die teils in Israel und teils in den besetzten Gebieten leben, bis hin zu Arbeitsmigranten in oft prekären sozialen Verhältnissen. Viele vor allem palästinensische Christen gehören dank des Angebots christlicher Schulen zur Bildungselite. Unter ihnen gibt es eine recht hohe Zahl, die das Land verlassen hat, weil sie in Israel oder in den besetzten Gebieten keine wirtschaftliche Zukunftsperspektive mehr sah. Auch das Miteinander der verschiedenen christlichen Kirchen, etwa in Jerusalem, ist nicht immer einfach. Vor allem wünschen sich die Christen mehr internationale Aufmerksamkeit für ihre Situation, auch in den Kirchen Europas.


Bislang ermöglicht ein jüdischer Großelternteil, die israelische Staatsbürgerschaft zu beanspruchen. Die neue Regierung plant nun eine Verschärfung des Rückkehrgesetzes. Dagegen regt sich Protest. Wie beurteilen Sie das, Herr Rabbiner?
Ahrens: Israel sollte meiner Ansicht nach ein Land für alle Jüdinnen und Juden sein. Insofern sehe ich keinen Veränderungsbedarf.


War der anhaltend hohe Antisemitismus in Deutschland während Ihrer Reise ein Thema?
Ahrens: Nicht wirklich, höchstens am Rande. Das Thema wurde auch von unseren israelischen Gesprächspartnern nicht angesprochen, obwohl man in Israel natürlich sehr aufmerksam die Situation in Deutschland wahrnimmt.

Haben Ihre Gesprächspartner Erwartungen an Deutschland formuliert?
Neymeyr: Das gab es eigentlich nicht. Zumal sich alle dessen bewusst sind, dass wir in Deutschland den Holocaust immer weiter aufarbeiten und dabei Entwicklungen durchmachen. Auch gibt es keinen Zweifel daran, dass die Bundesrepublik ein verlässlicher Partner Israels ist.

kna