Gebetsschule

Fünf Tage Zeit für Gott

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Singen, beten, laufen: Fußwallfahrten sind lang und anstrengend. Oft fällt es dabei schwer, konzentriert und andächtig zu bleiben. Ein erfahrener Wallfahrer gibt Tipps, wie das trotzdem gelingen kann.

Foto: Christoph Brüwer
Zwei Dinge, die jeder Pilger dabeihaben sollte: das Pilgerbuch und einen Rosenkranz. Foto: Christoph Brüwer


Schweiß und Sonnencreme haben einige Seiten im Pilgerbuch gelb gefärbt. Hier und da liegen Zettel mit Andachtsbildern, aktuellen Beschreibungen des Pilgerwegs und Notizen zwischen den Seiten. „So sieht das aus, wenn man das 25 Jahre mit sich schleppt“, sagt Herrmann Fehnker und lacht. Man erkennt, dass das Buch den 53-jährigen Mep-pener schon auf einigen Wallfahrten begleitet haben muss.

Pilgerbuch und Rosenkranz sollte jeder Pilger bei der Wallfahrt dabeihaben, rät Fehnker. Benutzt werden beide während der fünftägigen Pilgerreise von Meppen nach Rulle und zurück ständig: Wenn sie unterwegs sind, beten und singen die Gläubigen 60 bis 70 Prozent der Zeit, schätzt Fehnker. Eine besonders lange und intensive Zeit, um bewusst und ohne Ablenkung über sich und das Leben nachzudenken und mit Gott zu sprechen. Diese Zeit finde er im Alltag sonst nicht, sagt der Diplom-Forstwirt. 

Manche Pilger gehen außerhalb der Wallfahrt kaum noch in die Sonntagsgottesdienste, nehmen sich für die Wallfahrt aber Urlaub. „Viele sagen: Für mich reicht das einmal im Jahr“, sagt Fehnker. 

Ein Gebet, das alle Pilger auf ihrem Weg nach Rulle täglich gemeinsam beten, ist der Kreuzweg. Wie viele andere Lieder und Gebete ist er seit Jahrzehnten fester Bestandteil der Wallfahrt und wird immer zur gleichen Zeit und auf der gleichen Strecke gebetet. Ältere Gemeindemitglieder lassen sich extra dafür zur Pilgergruppe fahren, um diese Strecke mitzugehen. 

Jeder hat einen Grund, warum er mitgeht

Das Gebet könne dabei helfen, Leid und Not im Leben anzunehmen, sagt Fehnker: „Jeder hat sein Kreuz zu tragen. Da sollte man immer dran denken – und wenn man es dann aufgeladen bekommt, dann sollte man das auch anpacken.“ 
Leid und Not kommen oft überraschend. Fehnker hat das selbst erlebt. 2013 wurde zwei Tage vor der Wallfahrt sein Vater beerdigt. 2018 starb vor der Wallfahrt ein Bekannter bei einem Autounfall. „Das hat man die ganze Zeit im Kopf“, sagt Fehnker. Er hat dann für die Verstorbenen gebetet, aber auch für sich und seine Angehörigen, dass sie von so einem Schicksal verschont bleiben. 

Aufgrund dieser Erfahrungen hat er nicht immer schon vor der Wallfahrt ein Anliegen, für das er beten möchte. Manche Gebetsanliegen entstehen auch erst durch Gespräche mit anderen Pilgern auf der Wallfahrt. Viele von ihnen sieht er nur einmal im Jahr und hört erst unterwegs von ihren Sorgen oder wie es den Verwandten geht. Mit einigen spricht er darüber und nimmt ihre Anliegen mit in sein Gebet, andere schweigen lieber über ihre Sorgen, die sie mit zur Wallfahrt gebracht haben.
Auch Gemeindemitglieder, die selbst nicht mehr mitgehen können, kommen mit ihren Bitten zu den Wallfahrern. „Könnt ihr das mitnehmen und für Gottes Beistand beten?“, lautet häufig die Frage. Das Beten füreinander und dieser Gemeinschaftscharakter machten für ihn die Wallfahrt aus, sagt Fehnker.

„Der Nebenmann muss genauso weit laufen“ 

Bei der Wallfahrt geht es dabei gar nicht darum, jedes Gebet in der Pilgergruppe mitzusprechen. Wer will, kann eine Zeit lang zwischen den Gruppen laufen, um Zeit für sich zu haben und über sein Leben oder liebe Menschen nachzudenken. „Die fünf Tage sollen ja auch für einen selbst sein“, sagt Fehnker. Die Gebetsgemeinschaft kann aber gerade bei den ersten Wallfahrten helfen, sich auf die Gebete zu fokussieren und sich nicht ablenken zu lassen. Fehnker rät, sich beim Beten von der Gemeinschaft mitziehen und mittragen zu lassen, indem man sich darauf konzentriert, was alle beten. „Man weiß, der Nebenmann muss genauso weit laufen wie ich.“ 

Der sportliche Ehrgeiz steht dabei besonders bei der ersten Wallfahrt im Fokus: Schaffe ich die Strecke überhaupt? Halte ich durch? Selbst geübte Wanderer können Probleme bekommen, da alle sich bei Tempo und Pausen an der Gruppe orientieren müssen. Auch durch Blasen oder Muskelkater sei man schnell abgelenkt vom Gebet, sagt Fehnker. 

Deshalb beten die Pilger gerade am Abend häufig den Rosenkranz. „Es ist dann vielleicht auch so, dass man nicht mehr andächtig jedes Gesätz mitbetet, aber wenn die Füße wehtun, kann man sich damit so ein bisschen ablenken“, sagt Fehnker. 
Konzentrieren sollte man sich dabei auf die Geheimnisse, die zwischen den Gebeten gesprochen werden. Sie wechseln oft, das Vaterunser und das Ave Maria dagegen kennen die meis­ten und können es auswendig mitsprechen. Doch auch, wenn man bei den ersten Wallfahrten häufig noch abgelenkt sei, zehre man danach noch lange von den Gedanken und Eindrücken, sagt Fehnker. „Ich glaube, dass immer etwas hängen bleibt.“

Christoph Brüwer