Die Bedeutung und Kultur des Schenkens
"Ganz tief im Menschen verwurzelt"
Jeder hat gefühlt schon alles - und doch wollen wir zu Weihnachten etwas verschenken. Woher kommt dieser Schenkdruck?
Fast jeder freut sich auf die Vorweihnachtszeit. Sie könnte so schön sein: besinnliche Stunden in der Familie und mit Freunden, entspanntes Plätzchenbacken und ein Bummel über den Weihnachtsmarkt. Stattdessen hetzen viele im Advent durch die Einkaufsmeilen oder ordern Päckchen im Internet. Der Grund: ein gutes und richtiges Geschenk - und das in einer Zeit, in der jeder ohnehin gefühlt schon alles hat. Doch woher kommt eigentlich dieser Schenkdruck?
Der Passauer Religionspädagoge Hans Mendl weiß es: "Das Verschenken ist ganz tief im Menschen verwurzelt. Es hat etwas damit zu tun, dass wir Gemeinschaftswesen sind." Was also ist das richtige Geschenk? Diese Frage stellen sich Abermillionen Menschen jedes Jahr. Sinnvoll soll es sein. Der Beschenkte soll sich total darüber freuen. Am besten Beides.
Genau das hat auch der 41-jährige Familienvater Martin Peters aus dem Münsterland im Sinn. Unentschlossen steht er vor einem langen Spielwarenregal in einem Kaufhaus. "Mein Sohn Tim wünscht sich ein Fahrzeugset von Legotechnik. Welches nehme ich da nur?", sagt der Bankangestellte mit zweifelnder Miene. Es sei das immer gleiche Dilemma - jedes Jahr. "So langsam weiß man nicht mehr, was man schenken soll - wir haben doch alles." Auf seiner Geschenkliste steht noch das Wellnesswochenende für seine Frau Susanne und die Reitstiefel samt Reitkurs-Gutschein für seine zehnjährige Tochter Laura.
Jeder Deutsche gibt 466 Euro jährlich für Geschenke aus
Der sportliche Mann schätzt, dass er rund 800 Euro dieses Jahr allein für Geschenke ausgibt. Damit liegt er über dem Durchschnitt. Laut einer Studie des Einzelhandelsverbands (HDE) gab jeder Deutsche im vergangenen Jahr rund 466 Euro für Präsente aus. Der Gesamtumsatz im Weihnachtsgeschäft belief sich demnach auf 94,3 Milliarden Euro.
Vieles wird inzwischen im Internet geordert; das ist bequem, und die Auswahl ist gigantisch. Allein 12,2 Milliarden wurden 2017 im Weihnachtsgeschäft umgesetzt, so eine Studie des Einzelhandelsverbandes. Doch nur materielles Schenken sei gerade bei Kindern nicht gut, betont Religionspädagoge Mendl. Der eigentliche Sinn des Schenkens dürfe nicht verloren gehen.
Es müsse beim Schenken auch finanziell eine Grenze geben, findet Mendl. Ein schmaler Grat, auch für Martin Peters. Für ihn war der Wunsch seiner Tochter Laura nach einem Reitkurs eine willkommene Abwechslung, auch wenn er etwas teurer war. Religionspädagoge Mendl sieht solche Gutscheine auch aus einem anderen Grund eher ambivalent. Mitunter könnte sich der Beschenkte auch verpflichtet fühlen, dies oder jenes zu tun - ob Fallschirmsprung oder Kochkurs.
Mendl rät, sich etwas Individuelles zu überlegen und dabei kreativ zu sein. Das Persönliche und das Einzigartige sei es, das den Unterschied ausmache. Zeit ganz bewusst miteinander zu verbringen und Momente zu teilen, sei das Beste. Mendls Tipp: sich hinsetzen, über die Person, der man etwas schenken möchte, nachdenken und auch mal mit etwas vermeintlich Schlichtem zufrieden sein. Wer partout keine Ideen hat und Geld schenken möchte, sollte dieses wenigstens mit einer persönlichen Note überreichen.
Was das Schenken laut Mendl so kompliziert macht, sind die Erwartungen und Annahmen, die unvermeidlich - und prinzipiell unausgesprochen - mitschwingen. Der Schenkende erwartet neben Dank auch eine Würdigung des Geschenks. Der Gebende hoffe, dass es einen besonderen Platz bekomme, durchgehend genutzt, liebevoll gepflegt und zu dauerhafter Freude beim Beschenkten führe, so Hans Mendl. Die Würdigung des Geschenks verwechselten manche Schenkenden zudem mit der Wertschätzung ihrer selbst. Aber auch der Nehmende kann Druck aufbauen: wenn er in seinem Geschenk "liest" und spürt, dass ihn der andere in seinem Innersten gar nicht kennt oder annimmt.
Dabei sollte Schenken doch einfach sein. Verwurzelt ist die Schenkkultur auch und besonders in der Religion, stellt Mendl klar. Er verweist auf das Lied "Hände, die schenken, erzählen von Gott". Das gelte auch an Weihnachten. "Weil Gott uns seinen Sohn geschenkt hat, beschenken wir uns auch gegenseitig."
kna