Die richtige Spende
Geben darf auch wehtun
Michael Kuhnert vom Missionsärztlichen Institut hat gesagt, dass Christen angesichts der weltweiten Armut die Sünde der Unterlassung begehen, wenn sie nicht spenden. Dafür hat er viel Kritik einstecken müssen. Doch er steht zu seiner Aussage: Der Satz soll ein Weckruf sein
In der Adventszeit kommen sie fast täglich mit der Post: Briefe von Organisationen, die um Spenden bitten. Sie werben mit drastischen Bildern um unsere Aufmerksamkeit – und unser Geld. Fotos von Kindern in Armut sollen unser Herz berühren. „Von diesen Bildern lasse ich mich nicht unter Druck setzen“, sagt Michael Kuhnert, Geschäftsführer des Missionsärztlichen Instituts in Würzburg. Er findet, die Realität ist Antrieb genug: „Die Welt, in der wir leben, sollte uns unter Druck setzen: Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. Es leben unendlich viele Menschen unter Bedingungen, die nicht akzeptabel sind. Das ist der Skandal, der bedrücken sollte.“
Vor wenigen Wochen hat Michael Kuhnert mit einem Zitat auf sich aufmerksam gemacht. „Christen begehen angesichts der globalen Armut permanent die Sünde der schweren Unterlassung“, sagte er in einem Interview. Das hat ihm Kritik eingebracht – aber Kuhnert steht dazu: „Es muss möglich sein, so einen Satz zu sagen. Wenn wir nicht alle in einen Zustand der Benommenheit und Behäbigkeit verfallen wollen, dann ist so ein Weckruf ab und zu nötig.“ Der Satz habe die zum Nachdenken anregen sollen, die nie spenden.
Auch das Missionsärztliche Institut ist auf Spenden angewiesen. Es erforscht Tropenkrankheiten und behandelt die Erkrankten. Es berät Krankenhäuser in Afrika, Asien und Lateinamerika und bildet dort Gesundheitspersonal fort. Das Institut und andere Hilfsorganisationen arbeiten, damit es benachteiligten Menschen besser geht. Wie viel müssen wir spenden, um die Helfer zu unterstützen?
„Die Not in der Welt ist riesengroß. Da sollte man mehr geben, als man übrig hat. Geben darf auch wehtun – egal an welche Organisation man spendet“, sagt Kuhnert. Wenn man sich von der Not der Menschen berühren lasse, dann müsse die Spende die Konsequenz sein: „Dann kaufe ich mir nicht den teuren Mantel, gehe nicht auf die zweite Urlaubsreise und kaufe nicht das neueste Smartphone, obwohl meines noch funktioniert. Das Geld kann ich anderen geben.“
Immer weniger geben mehr Geld
Kuhnert hat als Entwicklungshelfer neun Jahre in Lateinamerika in Elendsvierteln gelebt. Kürzlich war er im Kongo. „Jedes Mal, wenn ich wieder nach Deutschland kam, habe ich gedacht: Mein Gott, geht es uns hier gut. Da habe ich mich fast geschämt.“ Aus dieser Dankbarkeit heraus, findet er, müsse man spenden.
Insgesamt kann man den Deutschen keinen Vorwurf machen: Die aktuelle Studie des Deutschen Spendenrats zeigt, dass allein von Januar bis September dieses Jahres 3,3 Milliarden Euro gespendet worden sind. Der Spendenrat rechnet damit, dass bis zum Ende des Jahres über fünf Milliarden Euro zusammenkommen. Doch seit einigen Jahren zeigt sich auch: Es spenden immer weniger Menschen. Seit 2006 ist die Zahl der Spender um 5,5 Millionen auf 16,5 Millionen gesunken. Das Spendenniveau bleibt aber auf einem hohen Level: Immer weniger geben also immer mehr. Für die Zukunft müssen die Hilfswerke wieder Spender für sich gewinnen. Manchmal hilft da vielleicht ein pointierter Weckruf.
Kerstin Ostendorf