Radikale Forderungen für die Nachfolge Jesu

Gediegen war früher

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Kein Haus, keine Familie, kein Blick zurück: Jesus hat radikale Forderungen an die, die ihm nachfolgen. Andreas Knapp ist einer von ihnen. Er gab Karriere und Bürgerlichkeit auf, um als „Kleiner Bruder“ bescheiden zu leben.

Foto: Andreas Kaiser
Eine bescheidene Wohnung im Leipziger Plattenbau: Pater Andreas Knapp will keine behagliche Bürgerlichkeit. Foto: Andreas Kaiser


Schon an der Autobahnabfahrt wird klar, hier ist manches anders als in weiten Teilen der Restrepublik. „Grenzen dicht. Ausländer raus“, brüllen Plakate Passanten an. Eine dicke Frau schiebt – erschöpft über ihren Rollator gebeugt – den Einkauf nach Hause. Wo andere Orden gerne in ehrwürdigen Klöstern leben, haben sich die Kleinen Brüder bewusst für die Diaspora entschieden. Andreas Knapp lebt mit drei Brüdern in einem Plattenbau am Rande Leipzigs. Zwar wurde das Haus erst neulich farblich etwas aufgehübscht, doch Fassade und Dach haben weiterhin keine Isolierung. „Im Sommer wird es brüllend heiß“, erzählt Knapp. Auch sonst leisten sich die Ordensleute keinen Luxus. Weder Fernsehen noch Auto. 

Die Armut, also das, was eigentlich alle Orden predigen, ist bei den Brüdern radikales Programm. Andreas Knapp, der früher Regens am Freiburger Priesterseminar war und dem einige schon eine Kirchenkarriere zutrauten, engagiert sich heute als Gefängnisseelsorger. Vor allem aber betreut er ehrenamtlich einige christliche Familien, die aus Syrien und dem Irak vertrieben wurden und nun hier in Sachsen vielen Einheimischen alles andere als willkommen sind. „Früher habe ich Lyrik geschrieben, jetzt fülle ich Papiere für das Jobcenter aus“, berichtet der Autor von gut 25 christlichen Büchern von seinem Ehrenamt und lacht. 

Obwohl dem Theologen einst viele Kirchentüren offenstanden, quittierte er im Jahr 2000 den Dienst und schloss sich dem 1956 gegründeten Orden an, der sich am Vorbild von Charles de Foucauld orientiert und dem heute weltweit rund 70 Brüder angehören. In einem Vorort von Paris arbeitete der Deutsche zunächst als Putzkraft. „Ich hatte eine marokkanische Vorarbeiterin. Die war super.“ Trotzdem waren die ersten Tage als Bruder nicht leicht. „Das war eine Entziehungskur.“ Vor allem der Verlust von Ehre, Ansehen und Einfluss machte dem Priester zu schaffen. „Vorher habe ich selbst Putzfrauen eingestellt. Plötzlich stand ich auf der anderen Seite.“ Der Zeit in Paris folgten Einsätze an sozialen Brennpunkten in Neapel und Bolivien. „Ich habe am Fließband gearbeitet, war Packer in Packstationen. Das ist unsere Spiritualität“, sagt Knapp. 

Verfügbar bleiben statt sich schön einrichten

Auch wenn im heutigen Evangelium eine noch strengere Nachfolge als die der Kleinen Brüder beschworen wird, sieht Knapp darin keinen Widerspruch. Wenn Christus sagt, die Vögel hätten ihr Nest, aber der Menschensohn hat keinen Platz, wo er sich ausruhen kann, „redet Jesus an der Stelle vor allem von sich selbst“. Bei der Nachfolge gehe es vielmehr um eine Grundhaltung. „Es geht darum, sich nirgends auf Dauer einzurichten. Verfügbar zu bleiben für die Menschen. Verfügbar für Situationen. Es geht um eine innere Beweglichkeit. Darum, im Augenblick präsent zu sein. Und nicht so sehr festzuhängen in seinen gewohnten Strukturen und Abläufen, dass man das Gebot der Stunde übersieht.“ Für den Augenblick offen leben auch die Brüder. Vorhin erst hat ein kleines Mädchen geklingelt. Sie brauchte Hilfe beim Flicken ihres kaputten Fahrrads. Ganz banal. Ein Bruder war sofort für sie da.

Jesus ist streng. Einem potenziellen Jünger, der erst noch seinen Vater begraben will, antwortet er im Evangelium dieses Sonntags: „Lass die Toten die Toten begraben.“ Andreas Knapp sieht das gelassen. Der Ordensmann erkennt darin die Aufforderung, die Trauer nicht absolut werden zu lassen. „Dann begräbt man sich letztendlich selbst gleich mit“, sagt er. Lebende sollten „nicht stehen bleiben, wo etwas gestorben ist“. Und dann erzählt er von seiner Zeit als Regens. „Es war wie ein Leben im Anzug, der nicht gepasst hat. Ich konnte mich nicht frei bewegen.“ 

Die „Kleinen Brüder des Charles de Foucault“ lassen sich, sagt Knapp, „bewusst dort nieder, wo das Evangelium kaum bekannt ist“. Nebenan wohnt ein Hooligan. An seiner Tür heftet ein NPD-Aufkleber. Die Brüder werfen ihr Einkommen in eine gemeinsame Kasse. Bruder Andreas besucht jeden Tag Geflüchtete, ehemalige Strafgefangene, psychisch Kranke. Oft sind es Menschen, die „total einsam sind“, sagt Knapp. Und davon gibt es reichlich im Viertel. Vor der Begegnungsstätte der AWO sitzen zwei alte Männer wortlos auf Plastikstühlen, den Blick stundenlang ins Leere geheftet. Fast scheint es, als hätten sie in der Schwere ihres Lebens jedwede Sprache verloren. 

Mit seinen Besuchen bei Menschen, für die sich sonst kaum jemand interessiert, will Knapp zeigen: „Du bist wer. Du bist wichtig.“ Vor allem die Arbeit mit den christlichen Flüchtlingen sei „die schönste Aufgabe, die ich je hatte“. Begeistert erzählt er von der orientalischen Gastfreundschaft. „Diese Familien haben alles verloren, und trotzdem geben sie, wenn Besuch kommt, alles, was der Kühlschrank gerade hergibt. Und es kommt von Herzen.“ 

Außerdem entdeckt Bruder Andreas in seinem Leipziger Vorort „die Präsenz Gottes, wo man sie nicht vermutet“. Gerade die Armen zeichne eine große Menschlichkeit aus. „Die haben keine Masken auf. Wer ganz unten steht, muss sich nicht mehr verstellen.“ 

Andreas Kaiser