Kinderarmut in Deutschland breitet sich aus

„Geht leider nicht“

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Kinderarmut: Bei einkommensschwachen Menschen zählt jeder Cent
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Foto: kna/Harald Oppitz

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Bei armen Menschen zählt jede Münze. Sie rätseln: Kann ich sie wirklich ausgeben – oder doch nicht? 

Was bedeutet es, arm zu sein? Eine Alleinerziehende erzählt: von täglicher Knappheit und ständigen Rechnereien, von bitteren Momenten und unerfüllbaren Träumen. Und von der Hoffnung, dass alles wieder besser wird.

Theo, zweieinhalb Jahre alt, im Buggy durch einen Berliner Park. Die junge Frau erzählt. Von ihrem Leben, ihrer Trennung und dass danach plötzlich alles anders war. Zehn Monate war ihr Kind damals alt, als es einfach nicht mehr funktionierte zwischen ihr und ihrem Partner. Sie zog mit Theo aus – und stand da, ohne Wohnung. Und vor allem: mit viel weniger Geld.

Hannah, die eigentlich anders heißt, sagt: „Ich weiß, dass ich mich nicht schämen muss. Ich habe nichts falsch gemacht oder zumindest nicht mehr als andere auch. Eigentlich müsste man viel offener drüber reden, dass es Familien gibt, die nicht so viel haben. Sonst verstehen es die Leute nicht.“
Martina Nowak arbeitet als Sozialarbeiterin bei der Caritas in Berlin-Lichtenberg und berät Meyer. Sie sagt: „Das geht quer durch alle Schichten – Armut kann jeden treffen.“ Es sei reine Glückssache, dass man da ist, wo man ist. „Man ist nicht schuld daran, sondern es liegt an den Lebensumständen“, so Nowak. 

Hannah Meyer etwa hat studiert und immer gearbeitet. „Aber ich habe nie etwas geerbt und komme auch aus keinem finanzstarken Elternhaus. Ich habe keine Rücklagen.“ Das Elterngeld wird höchstens 24 Monate lang gezahlt. Seit sechs Monaten muss sie so über die Runden kommen.
Sie bekommt vom Kindsvater rund 300 Euro monatlich an Unterstützung, dazu das Kindergeld von 250 Euro und das Geld vom Jobcenter, rund 900 Euro. Das sind knapp 1500 Euro monatlich, die reichen müssen – für Miete, Essen, Kleidung, Medikamente, Hygieneprodukte, Möbel. 

Sonderausgaben wie Reisen oder Freizeitvergnügen sind nicht drin. Gerne würde sie mit Theo mal ein Wochenende an der Ostsee verbringen. Gerne hätte sie ihn zum Babyschwimmen angemeldet. All dies sei mit dem Geld, das sie zurzeit zur Verfügung hat, nicht möglich, sagt sie. „Im Grunde kann ich mir nicht mal eine Zeitschrift kaufen“, stellt sie fest und schiebt dann, in einem etwas bitteren Tonfall, nach: „Aber wozu auch? Die Produkte, die etwa bei Ökotest angepriesen werden, könnte ich mir sowieso nicht leisten.“

„Ich will keinen Stempel aufgedrückt bekommen“

 Einmal hat sie alle Bedenken in den Wind geschlagen und eine Jahreskarte für den Zoo gekauft – für 46,50 Euro, Rabatt inklusive. Als sie davon erzählt, erinnert sie sich an eine unangenehme Situation. „Ich war mit einer neuen Bekannten und deren Kind da. Und diese fragte am Ende des Zoobesuchs, ob Theo und ich nicht noch mit Essen gehen wollten. Da habe ich dann gesagt, nein, geht leider nicht, Theo muss Mittagsschlaf machen. Ich wollte nicht sagen, dass ich mir das nicht leisten kann.“ Aus Scham? Nein. Aber: „Ich will keinen Stempel aufgedrückt bekommen“, sagt Meyer.

Um Geld zu sparen und zu verdienen, kauft und verkauft sie auf Trödelmärkten. Kleidung und Spielzeug für Theo etwa. „Ich gebe mir große Mühe, nichts zu kaufen, was ich nicht wirklich brauche, um kein Geld zu vergeuden“, sagt sie.

Genau das ist der Unterschied zwischen dem Alltag jener Menschen, die nicht aufs Geld schauen müssen, und jenen, die nicht so viel haben. „Manchmal heißt es ja: Arme Eltern können nicht mit Geld umgehen. Faktisch ist es so, dass sie auch viel weniger Geld zur Verfügung haben und ein Fehlkauf viel schneller ein Loch ins Portemonnaie reißt“, sagt Soziologin Sabina Schutter, Vorstandsvorsitzende beim Verein SOS Kinderdorf.

Zwar kann man bisher über das Bildungs- und Teilhabepaket etwa einen festen Zuschuss von 15 Euro pro Monat für Freizeitaktivitäten beantragen. „Aber es ist ein riesiger bürokratischer Aufwand“, sagt Sozialarbeiterin Nowak. Und: Eine halbe Stunde Klavierunterricht beispielsweise kostet an einer kommunalen Musikschule in Berlin monatlich 44,50 Euro. Schutter stellt fest: Gerade ein Instrument zu lernen – das sei in Deutschland immer noch ein Privileg.

„Ich muss ja immer alles allein machen“

Das Leben mit Kind und ohne Partner sei für viele Alleinerziehende sehr belastend, sagt Nowak. Viele erkrankten an Angststörungen oder Depressionen. „Das liegt an der anstrengenden Lebenssituation, 24 Stunden lang sieben Tage die Woche allein für alles verantwortlich zu sein.“

Wieder arbeiten zu gehen – das ist für Hannah momentan nicht möglich. Ihr Sohn hat noch keinen Kitaplatz. Aber eigentlich, sagt Hannah, könne sie sich das auch im Moment noch nicht vorstellen. „Ich muss ja immer alles allein machen: kochen, waschen, einkaufen, aufräumen, mich um Theo kümmern. Ich weiß momentan noch nicht, wie ich dann noch die Arbeit und die Eingewöhnung von Theo wuppen soll.“ Noch sechs Monate hat sie Zeit, sich darauf einzustellen, dann endet ihre Elternzeit, und Hannah muss zurück in den Beruf. „Ich will dann wieder voll durchstarten“, sagt sie.

Nina Schmedding