Wie Menschen vieler Sprachen und Kulturen in einer Gemeinde zusammenleben

Gelobt sei Gott!

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Die Jünger Jesu predigen – und Parther, Meder, Elamiter und all die anderen Fremdsprachler verstehen sie. Ein Völkergemisch wie einst in Jerusalem gibt es heute zum Beispiel auch in Bremen: Hier leben Katholiken aus 120 Nationen.

Foto: Christof Haverkamp
Sie freuen sich, dass Jesus sie zusammengebracht hat: die Frauen des Gebetskreises und Pfarrer Josef Fleddermann. Foto: Christof Haverkamp

Von Christof Haverkamp

Erst hören sie die Pfingstgeschichte aus der Bibel, dann murmeln sie unverständliche Silben, halten ihre Augen geschlossen und die Hände nach oben geöffnet. Ein harmonisch klingendes Grundrauschen durchzieht den Raum im Pfarrhaus, fast wie ein melodischer Gesang. Sprachengebet nennen die Mitglieder des Charismatischen Gebetskreises dieses Gebet. Während draußen ein heftiger Wind weht und in der Ferne ein Martinshorn ertönt, folgt auf dieses Sprachengebet ein Moment der Stille.

Jeden Freitagabend kommt im Bremer Stadtteil Walle eine Gruppe von Christen in der St. Marien-Gemeinde zusammen. Wasser, Saft und Kekse stehen auf dem Tisch, und es wird viel gelacht. Alle loben, danken, preisen und bitten Gott mit festen und frei formulierten Gebeten. Sie freuen sich sichtlich darüber, dass Jesus sie zusammengebracht hat. Am Ende beten sie das Vaterunser, nacheinander und in ihrer jeweiligen Muttersprache, dann erheben sie die Arme und rufen „Halleluja, gelobt sei Gott“.

Zum Gebet versammelt sind an diesem Abend Octavie aus dem westafrikanischen Benin, Odette aus Ruanda, die Schwestern Oksana und Nelia aus der Ukraine und drei Frauen aus Deutschland – also Menschen aus ganz verschiedenen Nationen. Das Sprachengebet, das für Außenstehende ungewohnt erscheint, sehen sie als eine eigene Ausdrucksform an, um mit Gott in Kontakt zu treten. Sie glauben, dass sie so leichter das aussagen können, was sie vor Gott bewegt.

"Es fühlt sich alle wie eine Einheit"

Pfarrer Josef Fleddermann, der Leiter des Gebetskreises, vergleicht das Sprachengebet mit den Lauten eines Säuglings, der brabbelt und den keiner versteht. Das ist eben seine eigene Art der Kommunikation. „Gott macht sich verständlich in einer Sprache, die ich nicht kann“, erklärt Fleddermann und zitiert aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer, wonach der Heilige Geist für uns eintritt mit einem Seufzen, „das wir nicht in Worte fassen können“ (Römer 8,26).

Alle im Bremer Gebetskreis spüren, dass der Glaube sie verbindet, und sie fühlen sich wie eine Familie – egal, welche Muttersprache sie haben, unabhängig davon, wo sie herkommen, ganz gleich, wie ihre Lebensgeschichten bisher verlaufen sind. Das Sprachengebet, auch Zungengebet genannt, öffnet ihnen das Herz. Es vereint sie mit den Jüngern, über die es in der Apostelgeschichte heißt: „Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“ Oksana sagt über den Gebetskreis: „Es fühlen sich alle wie eine Einheit.“

Prozession mit Portugiesen, Polen, Syrern und Deutschen

Menschen aus verschiedenen Nationen, im Glauben vereint – das prägt nicht allein den Gebetskreis von St. Marien in Bremen-Walle, sondern auch die gleichnamige Kirchengemeinde im Westen der Hansestadt. Zum Beispiel wurde Mitte Mai bei einer Fatima-Prozession nach zwei Jahren corona-bedingter Pause wieder eine Marienstatue durch die Straßen getragen. Rund 300 Christen gingen mit – darunter Portugiesen und Polen, die den Rosenkranz in ihren Muttersprachen beteten, während die Kinder und Jugendlichen des syrisch-deutschen Spielmannszugs mit Trommelschlägen und Trompetenklängen für die musikalische Begleitung sorgten.

„Ich fühle mich in der Gemeinde herzlich willkommen“, sagt Octavie. Die Frau aus Westafrika hat sich sehr darüber gefreut, dass sie gefragt wurde, ob sie in der Heiligen Messe die Lesung vortragen möchte. Menschen aller Nationen an den liturgischen Diensten zu beteiligen, als Messdiener, Lektorin oder Kommunionhelfer, das ist nach Ansicht von Pfarrer Fleddermann durchaus noch ausbaufähig. Überhaupt müsse man noch mehr ins Gespräch kommen, räumt er selbstkritisch ein.
 
Insgesamt leben in Bremen katholische Christen aus 120 Nationen mit vielen verschiedenen Sprachen. Schon jetzt ist es in allen fünf Kirchengemeinden des Katholischen Gemeindeverbands üblich, die Lesungstexte in mehreren Sprachen vorzutragen, sei es auf Vietnamesisch, Englisch, Kroatisch oder Koreanisch.

Man versteht kein Wort und ist doch ergriffen

Für polnische Christen, die mit Abstand größte Gruppe, bietet die Polnische Mission eigene Gottesdienste an. Und an jedem dritten Sonntag im Monat feiert die Gemeinschaft der französischsprachigen Gläubigen in St. Marien die Heilige Messe in Französisch; die „Communauté Catholique Francophone de Brême“ besitzt sogar eine eigene Homepage. Am Altar steht bei diesen Gottesdiensten Pfarrer Fleddermann. Er hat längere Zeit in Frankreich gelebt und spricht daher die Sprache fließend. Und Portugiesisch hat er auch gelernt.

Der Priester sagt: „Man kann spüren, dass der Glaube etwas Verbindendes ist.“ Genauso sieht es Barbara Twardowski, die Küsterin in seiner Gemeinde. Kürzlich erlebte sie in der St.-Marien-Kirche einen arabischen Gottesdienst mit, zu dem seit Neuestem einmal im Monat ein Priester aus Straßburg anreist. „Du verstehst zwar kein Wort, aber trotzdem nimmt dich das Ganze mit“, hat die Küsterin festgestellt.