Das Ethik-Eck: Museen mit "Beutekunst" besuchen?

Geraubte Kultur

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Das Ethik-Eck
Nachweis

Foto: adobestock / Brigitte Bonaposta

Die Frage lautet diesmal:

„Ich finde es höchste Zeit, dass über ,Beutekunst‘ aus der Kolonialzeit diskutiert wird. Und dass geraubte Bilder und Skulpturen an die Herkunftsländer zurückgegeben werden. Soll man Museen, die weiterhin auch ,geraubte Kultur‘ ausstellen, besuchen?“


Den Diskurs suchen


Die Fragestellung nach der „Beutekunst“ aus der Kolonialzeit hat sich ja noch einmal verschärft um das große 
Thema der Rückgabe von unrechtmäßig und/oder unmoralisch angeeignetem Kulturgut in der Zeit des Nationalsozialismus. 
 

Stefan Herok, Diplomtheologe, Religionspädagoge und Pastoralreferent arbeitet mit kleinem Rentnervertrag 
in der Seelsorge in Wiesbaden.

Für beides hat sich aus meiner Sicht inzwischen ein verbessertes Problembewusstsein entwickelt. Das Thema wird breit diskutiert, und es gibt einige umfassend medial begleitete Rückgabeprozesse. 
Die Frage danach, ob man ein Museum, das weiterhin „geraubte Kunst“ ausstellt, besuchen sollte? Ja, natürlich! 
Erstens glaube ich nicht, dass es sich heute ein Museum erlauben könnte, für die Problemstellung blind zu sein und sich sozusagen gegen besseres Wissen, fast trotzig, gegen die moralischen Herkunftsfragen von Kunstwerken zu verwahren. 
Zweitens, wenn hier ein Ausstellungsort tatsächlich noch weitgehend unberührt und ungerührt von der Herkunftsfrage sein sollte, dann bräuchte dieser Ort umso mehr kritisch-konstruktive Besucherinnen und Besucher, die das Thema dort ausdrücklich einfordern. In öffentlichem Boykott nicht hinzugehen, machte nur Sinn, wenn alle anderen Formen von Diskurs erfolglos ausgeschöpft sind. Boykott ohne Diskurs machte für mich überhaupt keinen Sinn …
Aus katholisch-pastoraler Perspektive müssen wir den Blick auf kirchliche Sammlungen völkerkundlicher 
Exponate richten, von denen es in Deutschland wohl circa 20 gibt, wie der Benediktiner Jeremias Schröder 2019 auf „katholisch.de“ schreibt. Solche Sammlungen, einige eher bescheiden, andere umfangreich, stammen meist aus der Missionstätigkeit von Orden oder Seminaren. Papst Paul VI. hat schon 1964 das Haupt des heiligen Andreas, mit Sicherheit eine Raubreliquie, an den Patriarchen von Konstantinopel zurückgegeben. 
Wenn bei diesen Themen sicherlich auch kirchlich weiterhin Lernbedarf und in der Praxis von Restitutionen bestimmt noch „einige Luft nach oben“ ist, so sehe ich die Horizonte von kirchlicher Entwicklungspolitik, Partnerschaftspflege in der Eine-Welt-Arbeit auf Augenhöhe und die Ausprägung einer gerechten, emanzipatorischen und nachhaltigen globalen Schöpfungstheologie doch auf gutem Weg. 
Dies ist aus meiner Sicht ausnahmsweise einmal ein kirchlicher Bereich, in dem wir uns durchaus auch öffentlich sehen lassen können. Auf diesem Hintergrund könnten sich katholische Christ:innen durchaus etwas aktiver in die gesellschaftspolitische Diskussion um die „Beutekunst“ einmischen.

 

Von anderen lernen


Ja, das ist gut, dass da viele sensibler geworden sind. 
Dass es Interesse gibt, sich auch mit den dunklen Seiten zu beschäftigen, die sich in der Geschichte von Kunstwerken verbergen. Es ist ja nicht so einfach, sich diesen Informationen zu stellen, wie systematisch Objekte, die für Rituale und Kultur bedeutsam waren, in einer überheblichen Haltung mitgenommen und entwendet wurden. Und wie wenig eine Einfühlung in den Wert fremder Kulturen und Religionen es gab. 
Ja, sehr gut, dass da umgedacht wird. 
 

Ruth Bornhofen-Wentzel
war Leiterin der Ehe- und Sexualberatung im Haus der Volksarbeit in Frankfurt.

Wenn man anfängt nachzudenken, wird es allerdings in der Regel erst mal komplizierter. 
Dann kommen die Fragen: Und jetzt? Wie mit all dem umgehen? Wie das würdigen, wie einen Ausgleich für die Entwertung versuchen?
Wissenschaftler und ganze Kommissionen zerbrechen sich den Kopf, mühen sich und suchen nach Lösungen.
Und was kann der und die Einzelne tun? Nicht mehr hingehen? Wie soll ich als Nicht-Expertin beurteilen können, was wie erworben wurde in Sälen voller Kunstwerke? 
Und es gibt nicht nur die Kunst aus dem kolonialen Erbe, sondern auch unrechtmäßige Erwerbungen aus vormals jüdischem Besitz und insgesamt vieles, an dem Spuren von Unrecht und Ausbeutung sichtbar gemacht werden könnten. 
Also, wie sich verhalten?
Es ist schon viel, sich diesem Thema auszusetzen. Dazu zu lesen und sich zu informieren. Oft ziemlich schwer zu ertragen und kaum vorzustellen, wie brutal und blind Kolonialherren vorgingen.
Beschämend, wie überheblich die eigene Kultur und Religion als alleiniger Maßstab gesetzt wurden und das Fremde verachtet wurde. Und ganz fern die Idee, dass es ein Gewinn sein könnte, davon etwas zu verstehen. 
Dieser andere selbstkritische Blick könnte ganz wunderbar die eigene Haltung verändern.
Wir können es anders machen. Die ganze Welt ist ja inzwischen bei uns. 
Sich interessieren, Kontakte suchen zum Fremden, ist jederzeit möglich. Und dabei aufmerksam zu sein, sich erklären zu lassen, die Werte finden, die sich in der anderen Religion und der anderen Kultur verbergen. Etwas von den anderen lernen.
Dann kann man Museen oder Abteilungen, von denen man vermutet, dass viel Raubkunst ausgestellt ist, vermeiden, Ausstellungen, die diese Spannungen problematisieren, bevorzugen.
Oder die Schönheit aller Objekte genießen.
Wichtiger ist wahrscheinlich, immer mehr die Arroganz des Besserwissens oder Besserseins hinter sich zu lassen und das, wenn möglich, im Alltag zu leben.

 

Nachfragen im Museum


Museen boykottieren? Auf den ersten Blick scheint das eine persönliche Entscheidung einzufordern. 
Einerseits: Wenn ich ins Museum gehe, kann ich mich mit Beutekunst und so mit der blutigen und brutalen Kolonialgeschichte europäischer Länder beschäftigen. 
Ich kann buchstäblich sehen, wie falsch all die abwertenden Klischees über nicht-europäische Menschen und Zivilisationen sind. 
 

Thomas Laubach (Weißer) ist Professor für Theologische Ethik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und lebt in der Nähe von Mainz.

Andererseits kann ich solche Museen meiden. Dadurch kann ich deutlich machen: Ich bin gegen das Unrecht, das aus geraubter Kunst spricht. Auf keinen Fall will ich die brutalen kolonialen Praktiken unterstützen. 
Auf den zweiten Blick weitet sich das Feld. Denn auch wenn ich einen Bogen um bestimmte Museen mache: Koloniales Unrecht ist damit noch lange nicht aus der Welt. Gerechtigkeit braucht bei der Beutekunst vielmehr den ernsthaften politischen Willen. Es ist ethisch ganz klar, dass Diebstahl falsch ist. Und nichts anderes war es, als Kulturschätze aus der ganzen Welt nach Europa gebracht wurden. Deshalb müssen politisch Verantwortliche miteinander sprechen. Sie müssen klären, wie Kunstwerke in die Herkunftsländer zurückkommen können. Nur so kann auch deutlich werden: Das, was in Kolonialzeiten passierte, war menschenverachtend und kulturvernichtend. 
Die Frage nach dem Umgang mit Beutekunst macht also in besonderer Weise deutlich: Individuelles Tun und gesellschaftlich-politisches Handeln sind eng miteinander verwoben. 
Aber was soll ich jetzt tun? Ich halte einen Boykott für wenig tauglich. Merkt es jemand, wenn ich nicht in ein Museum gehe? Ich plädiere mehr für einen aktiven Ansatz. Ich kann geraubte Werke betrachten und damit ihre Kunstfertigkeit, ihre spirituelle Tiefe, ihre Kultur bewundern und damit anerkennen. Ich frage im Museum: Was tut ihr in Sachen Rückgabe? Wo wird über das Unrecht informiert? Ich kann deutlich machen, dass mir Fragen nach der Herkunft und Geschichte von Kunstwerken wichtig ist. So kann ich ein winziger Teil einer gerechteren Welt werden.