Bechers Provokationen
Getaufter Menschenverstand
Unsere Provokationen suchen nach der Glut unter der Asche, nach dem Kern der Botschaft. Heute geht’s um christliche Politik. Mit der Bergpredigt könne man keinen Staat regieren, heißt es oft. Gegenrede: Doch, man muss es sogar! Von Johannes Becher.
Seit Bismarcks Zeiten haben deutsche Politiker reihenweise betont, mit der Bergpredigt lasse sich nicht Politik machen. Da ist Jens Spahn, der Bundesgesundheitsminister, also in vermeintlich guter Gesellschaft. Denn er kündete unlängst: „Mit der Bergpredigt können Sie kein Land regieren!“ Fast schon kurios, dass bei derselben Veranstaltung der Atheist Gregor Gysi für die fromme Note sorgte: „Ohne das Chris-tentum gäbe es kein Nachdenken in der Gesellschaft über Barmherzigkeit und Nächstenliebe, keine Rückbindung der menschlichen Würde an die Gottesebenbildlichkeit.“ Und Gysi erzählte, wie er Kraft aus der Bergpredigt gewann. Auch Mahatma Gandhi, den „die Ehrfurcht vor der Wahrheit“ in die Politik führte, stellte fest: „Ein Mensch, der behauptet, Religion habe nichts mit Politik zu tun, weiß nicht, was Religion bedeutet.“
Warum aber betonen dann Christen in der Politik, dass sich mit der Bergpredigt nicht regieren lasse? Sie sei nicht konkret genug, es gebe dort keine Handlungsempfehlung zum gerechten Spitzensteuersatz. Auch Globalisierungsfolgen und Klimawandel kannten die Biblianer noch nicht. Da helfe die Bergpredigt nix. Basta.
Das ist ignorant. Wer die Bergpredigt richtig verstehen will, der erkennt: Sie ist ein Parteiprogramm – Parteinahme für die Benachteiligten. Sie ist ein Positionspapier – für eine aufrechte, wahrhaftige, herzenswarme Grundhaltung. Sie ist ein Manifest für umfassende Gerechtigkeit – nicht nur für den Nächsten. Sie ist Handlungsanweisung zum Frieden … Kurz: Wer aus dem christlichen Geist heraus „Realpolitik“ machen will, der muss seine Gedanken schärfen und sein Herz erwärmen an den Markierungen der Bergpredigt.
Wer „hungert und dürs-tet nach Gerechtigkeit“, der wird es nicht dulden, dass eine Handvoll Milliardäre mehr besitzen als die arme Hälfte der ganzen Menschheit. Wer sich auf Jesu Barmherzigkeit beruft, der kümmert sich um jene, die bei uns stranden auf ihrem Marsch in ein menschenwürdiges Leben. Wer zu denen gehören will, die Jesus Friedensstifter nennt, der sagt Nein zu Rüstungsexporten. Massentierhaltung, Dieselaffäre, Mindestlohn … Es gibt so viele Handlungsfelder, in denen der getaufte Menschenverstand ein „Anders“ fordert.
Ach, ja. Einen Haken gibt es: Wer sich an Jesu Politik ausrichtet, der könnte um seinetwillen „geschmäht, verleumdet und verfolgt werden“. Den Lohn gäbe es dann vielleicht nicht bei den Wahlen, sondern „gejubelt“ wird im Himmelreich. Wem das zu anstrengend ist, der möge wenigstens nicht mehr das „C“ vor sich hertragen.
Also: Wer „auf der Grundlage des christlichen Welt- und Menschenbildes“ Politik machen will, der kommt an der Bibel nicht vorbei. Der ist Menschenfreund, nicht nur Bayernfreund … Der sucht bei „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ den Geist der Bergpredigt. Der gebiert dann allerdings die Stärke einer weitsichtigen Barmherzigkeit, nicht die Herzenshärte vermeintlicher „Realpolitik“.
Zitiert: Selig sind...
„Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. – Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. – Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben. – Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden. – Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. – Selig, die rein sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen. – Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden. – Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen; denn ihnen gehört das Himmelreich. – Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse über euch redet um meinetwillen.
Freut euch und jubelt: Denn euer Lohn wird groß sein im Himmel.“
Matthäus 5, 3 – 12