Teil 5 unserer Fastenserie zu Tugenden

Glauben, nicht wissen

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Mit welchen Leitlinien kommen wir weiter gut durch die Corona-Krise? Welche Maßstäbe geben uns Orientierung für ein glückliches Leben? Eine Richtschnur können die christlichen Tugenden liefern. Die fünfte ist der Glaube.

Eine Frau sitzt in einer Kirchenbank.
Der Glaube an Gottes Nähe kann trösten, ermutigen und ein Grundvertrauen ins Leben schenken.

Von Susanne Haverkamp

Bislang haben wir uns mit den Tugenden im Reich der Antike befunden. Denn Klugheit und Maß, Taperkeit und Gerechtigkeit – das sind keine christlichen Erfindungen, sondern wurden von dem griechischen Philosophen Platon (428 bis 348 vor Christus) so zusammengestellt. Dass man sie auch Kardinaltugenden nennt, hat auch nichts mit kirchlichen Würdenträgern zu tun, selbst wenn das Missverständnis naheliegt. Der Begriff stammt vom lateinischen „cardo“ (Türangel, Dreh- und Angelpunkt), den der römische Redner Cicero (106 bis 43 vor Christus) ins Spiel gebracht hat; quasi getauft wurden die Kardinaltugenden erst von dem Kirchenvater Ambrosius im 4. Jahrhundert nach Christus. Was aber nur zeigt, wie zeit- und kulturübergreifend gültig sie sind.

Ab jetzt aber wird es biblisch. „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei“, schreibt Paulus im ersten Korintherbrief (13,13). Heute nennt man „diese drei“ die theologischen Tugenden, wohl weil sie, anders als die antiken Tugenden, ganz grundsätzlich mit Gott zu tun haben. Gerecht, klug oder tapfer können auch die Heiden sein.

Wobei: Wenn man das Wort „glauben“ definieren will, kann man das auch ohne Gott. „Glauben heißt nicht wissen“, sagt man, und da ist etwas Wahres dran. Und wenn man so recht darüber nachdenkt, hat eigentlich das meiste im Leben mit glauben zu tun. Denn was weiß ich schon sicher? Fast alle Dinge unseres komplizierten Daseins kann ich nicht aus eigenem Wissen beurteilen. An welcher Krankheit ich leide und was dagegen helfen könnte, glaube ich meinem Arzt – oder hole eine Zweitmeinung ein. Ob das teure Bio-Fleisch wirklich im Sinne des Tierwohls produziert wurde, muss ich dem Metzger glauben – wer wohnt schon neben einem Bauern mit eigener Schlachtung? Und dass mein Sohn seine Homeschooling-Aufgaben sorgfältig erledigt, muss ich ihm auch erst mal glauben – wenn ich mich nicht als Kontrollfreak erweisen will.

An allem zu zweifeln, macht nicht glücklich

Dass unser Leben tatsächlich daraus besteht, vieles glauben zu müssen, birgt auch Gefahren, denen Verschwörungserzähler, Corona-Leugner oder krankhaft Eifersüchtige regelmäßig erliegen. Doch alles anzuzweifeln, was man nicht selbst bewiesen hat, macht das Leben genauso anstrengend, wie jedem Nachbarn, Politiker, Journalisten, der anderer Meinung ist als ich, Lüge, Eigennutz oder Böswilligkeit zu unterstellen. Deshalb ist Glauben eben nicht nur eine theologische Tugend; sie ist im Sinne von Vertrauen auch eine höchst alltägliche Tugend, ohne die es schwer wird, ein glückliches Leben zu führen.

Und im Prinzip ist es in Sachen religiöser Glaube gar nicht so anders. Glauben ist nicht wissen – das war schon Paulus klar. Gut, er hatte ein Bekehrungserlebnis, damals, als ihm vor Damaskus Jesus selbst erschien – aber auch diese Vision könnte man ja so oder so interpretieren. Vom Glauben zur Schau zu kommen, also zum sicheren Wissen, das, sagt Paulus im Zweiten Korintherbrief (3,16), wird uns erst nach dem Tod vergönnt sein. Glaubt er. Und selbst Jesus muss bezüglich der fest geglaubten Endzeit bekennen: „Jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn.“ (Markus 13,32)

Zu glauben, ohne beweisen zu können – das bleibt die Herausforderung. Es gibt Menschen, die sich wünschen, an Gott glauben zu können, die es aber nicht schaffen. Menschen, die Glaubende beneiden ob ihrer Hoffnung und ihrer Zuversicht, die selbst aber immer wieder am Glauben scheitern. Glaube ist in diesem Sinne immer auch Geschenk, ist Gnade und vielleicht ist gerade das das Göttliche an dieser Tugend.

Doch auch die, die grundsätzlich glauben können, spüren mitunter: Zu zweifeln ist die andere Seite der Medaille. Ganze Bücher gibt es über die Zweifel von Heiligen. Besonders einprägsam ist vielleicht der Satz von Papst Johannes XXIII., Angelo Roncalli, der auf dem Rückweg von der Beerdigung seiner Schwester murmelte: „Weh uns, falls alles eine Illusion ist.“ Wer hätte das nicht auch schon einmal gedacht?

Zu glauben, nutzt mehr, als es schadet

Dennoch hat Angelo Roncalli weitergemacht mit dem Glauben. Wohl auch, weil er spürte: Selbst wenn Zweifel bleiben, hilft der Glaube im Leben. Zu glauben nutzt wesentlich mehr, als es schadet. Der Glaube an ein Leben bei Gott tröstet, wenn geliebte Menschen sterben, er erleichtert das eigene Sterben, wenn es so weit ist. Der Glaube an Gottes Nähe ermutigt, wenn schwierige Entscheidungen anstehen, er gibt ein Grundvertrauen in das Leben, eine gesunde Gelassenheit. Und der Glaube an die Gemeinschaft der Kirche schenkt nicht wenigen Menschen Kontakte, Freunde, sinnstiftende Aufgaben und Zufriedenheit. Glaubende, das haben zahlreiche Studien ergeben, sind oft glücklicher als Nichtglaubende.

Wenn es also in dieser Serie zur Fastenzeit darum geht, ob die Tugenden uns auch und gerade in Krisenzeiten Orientierung für ein glückliches Leben geben, dann kann man für den Glauben sagen: Ja! Auch wenn es manchmal mühsam ist: Es lohnt sich zu glauben. An das Gute im Menschen, an eine lebenswerte Zukunft, an Gottes Heil und Nähe.