Gespräch mit Gesine Schwan über ihren Glauben

Glauben und lieben

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Der Hebräerbrief stellt die klassische Frage: Was ist Glaube? Und wozu führt er im Leben – und darüber hinaus? Die SPD-Politikerin und Professorin Gesine Schwan hat darüber viel nachgedacht. Sie sagt: Glauben ist nicht leicht.

Foto: kna/Klaus-Dietmar Gabbert/pool
Für Gesine Schwan – hier beim Gedenkgottesdienst anlässlich
des 70. Jahrestag des Beginn des Zweiten Weltkrieges
in der Berliner Hedwigs-Kathedrale – ist ihr Glaube die
Grundlage von allem. Foto: kna/Klaus-Dietmar Gabbert/pool

Gesine Schwan ist keine Frau, die irgendetwas auf die lange Bank schiebt. Innerhalb weniger Minuten kam ihre Zusage, sich mit dieser Zeitung über den christlichen Glauben und über den Hebräerbrief zu unterhalten. „In der Regel entscheide ich mich schnell. Ich lasse Dinge nicht gerne lange liegen“. Zudem sei der Glaube ein „Thema, das mir sehr nahe liegt“. Auch im Gespräch ist Gesine Schwan schnell und direkt. Keiner Frage weicht die Frau aus, die 2004 und 2009 gleich zweimal für die SPD zur Bundespräsidentenwahl antrat und beide Mal an dem CDU-Politiker Horst Köhler scheiterte. 

Gesine Schwan hat sich erst als junge Frau taufen lassen. Ihre Eltern gehörten beide während der Naziherrschaft zum Widerstand, führten aber zeitlebens eine eher konfliktreiche Ehe. Da ihr Vater, ein ehemaliger Volksschullehrer und Oberschulrat, schlechte Erfahrungen mit der evangelischen Kirche gemacht hatte, sorgte er dafür, dass die Kinder nicht getauft wurden. „Meine Mutter aber war katholisch und hat meinen Bruder und mich immer mitgenommen zur Messe. Und bei mir hat das gleichsam angeschlagen. Ich bin gerne in die Kirche gegangen. Nachher sogar regelmäßiger als meine Mutter“, erinnert sich die 76-Jährige. 


Taufe: Ja. Aber in welcher Konfession?

„Im Alter von rund 20 wurde mir dann klar, dass ich mich ganz fundamental als gläubige Christin verstehe.“ Die gebürtige Berlinerin beschäftigte sich in der Folge eine Weile mit der katholischen und evangelischen Theologie und fand heraus, dass ihr die katholische Kirche, „obwohl sie auf den ersten Blick viel strikter und autoritärer wirkt“, vom theologischen Ansatz her wesentlich näher lag. „Der Natur wird eine grundsätzliche Güte zugesprochen“. Von vielen evangelischen Christen werde dagegen die Erbsünde des Menschen sehr betont. Vor allem die Schriften von Thomas Aquin beeindruckten die angehende Politikwissenschaftlerin.

Als ihre feste Glaubensüberzeugung bezeichnet Gesine Schwan deshalb, dass „Gottes Schöpfung eine Gute ist, dass diese Welt zum Gelingen geschaffen worden ist“. Zudem sei sie überzeugt, „dass wir Menschen alle eingeladen sind, zu diesem Gelingen beizutragen“. In einem Radio-Interview sagte sie einmal: „Ich lebe, um die Welt besser zu machen. Punkt.“ Das sei heute so, und das sei auch schon in ihrer Kindheit im Elternhaus so gewesen. „Da war es meine Rolle, immerfort wieder die Verbindungen herzustellen, wenn es gekracht hatte, und es krachte relativ oft.“  

Auch wenn die Idee einer Schöpfung aus dem Nichts heraus oder die Vorstellung des ewigen Lebens intellektuell kaum fassbar sind, erscheinen sie der Katholikin doch nachvollziehbar. So sei und wirke die Liebe, die Schwan als „stärkste Kraft der Welt“ bezeichnet, ebenfalls unsichtbar. Auch erlebe sie in „innerweltlichen Situationen“ immer wieder, dass auch Menschen aus dem Nichts etwas schaffen können. „Hannah Arendt, die politische Theoretikerin hat einmal gesagt, dass der Mensch, das einzige Wesen sei, das immer wieder neu beginnen kann. Das ist für mich ein sehr wichtiger Satz.“

Obwohl die Politologin beruflich stets erfolgreich agierte, verlief ihr Leben längst nicht immer reibungslos. Ihre Mutter Hildegard war manisch depressiv, ihr erster Mann Alexander Schwan erkrankte zweimal an Krebs und starb im Alter von nur 58 Jahren. Sie selbst litt nach seinem Tod eine Weile an Depressionen. Gleichwohl ist Schwan gewiss, dass Gott immer da war und sie ein privilegiertes Leben führen durfte. Sie fühle sich getragen. „Wie auf Adlers Fittichen“, sagt die Sozialdemokratin. 

Zwar habe sie in schweren Zeiten auch mal den Eindruck gehabt, „ja, es gibt Gott, aber er schaut nicht hin“, so bemerkte sie doch später, dass Gott in ihrem Leben vieles zum Guten fügte. „Meine beiden Ehen waren wunderbare Fügungen“. Auch beruflich habe sich vieles so entwickelt, wie sie es sich zuvor niemals habe vorstellen können. So gipfelte ihr fast lebenslanges Bemühen um die deutsch-polnische Freundschaft in der Präsidentschaft an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), die sie von 1999 bis 2008 innehatte. „Das war alles schon sehr schlüssig“, sagt sie. 

Gesine Schwan betet eigenen Aussagen zufolge „gerne und regelmäßig“. Auch gibt sie ihren Glauben an ihre beiden Kinder und Enkelkinder weiter. Zwar stand sie dem Begriff Mission lange Zeit eher skeptisch gegenüber, doch ist sie heute überzeugt, dass die Weitergabe der frohen Botschaft etwas Schönes ist. Aber nur dann, „wenn die Mission der Freiheit anderer Menschen, die mir heilig ist, nicht entgegensteht“. Mit ihrer Tochter und mit einigen ihrer Enkelkinder geht Schwan öfters zusammen zur Kirche. 


Zweifel gehören zum Glauben dazu

Auch wenn die ehemalige Hochschullehrerin über ein Leben nach dem Tod keine konkrete Vorstellung hat, so glaubt sie doch daran, „dass der Tod nicht das Ende ist“. Predigten, in denen von einer Auferstehung des Fleisches gesprochen werde, aber wirkten auf sie eher wie eine Metapher. Auch der Aussage des Hebräerbriefs, Glaube sei ein „Zutagetreten von Tatsachen, die man nicht sieht“, hat die Akademikerin Schwierigkeiten. „Zweifel gehören zum Glauben fest dazu“, sagt sie. Schon Jesus habe in seiner letzten Stunde gezweifelt, als er Gott am Ende fragte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Der Glauben sei schließlich keine leichte Sache. „Glauben verlangt auch eigenes Zutun, eigenes Wagen, eigene Bereitschaft. Und Glauben verlangt Treue.“ So wie das auch in zwischenmenschlichen Beziehungen der Fall sei. „Wenn man einem Menschen vertraut, muss man auch einiges wagen.“ 

Mit ihrem zweiten Ehemann Peter Eigen, dem Initiator der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International, den sie 2004 heiratete, gründete sie die „Humboldt-Viadrina Governance Platform“, die sich für eine gemeinwohlorientierte Politik, die Förderung demokratischer Prozesse und die Mitwirkung der Zivilgesellschaft einsetzt. „Der Glaube war für mich immer zentral“, sagt Schwan. „Auch in meiner politischen Arbeit“. 

Andreas Kaiser