Gebetsschule

Gott, ich bitte dich

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Gesundheit, eine gute Ernte, Frieden in der Welt: Menschen beten für vieles. Ist das sinnvoll? Darf man für alles beten – auch für den WM-Sieg? Und was ist, wenn das Gebet nicht in Erfüllung geht? Teil 3 unserer Gebetsserie.

Foto: kna/Harald Oppitz
Welches Anliegen hat diese junge Frau wohl? Foto: kna/Harald Oppitz


Die Menschen früher waren einfacher gestrickt. Sie beteten bei Flurprozessionen um gutes Wetter für eine gute Ernte. Oder zündeten eine Kerze an für eine glückliche Entbindung. Oder flehten den heiligen Antonius um Fürbitte an, weil der Ring bei der Kartoffelernte vom Finger gefallen war und wiedergefunden werden musste. Der Himmel sollte helfen – in jeder Lebenslage.

Heute hilft der Arzt. Oder die Bewässerungsanlage. Oder wir ärgern uns kräftig über unsere Schusseligkeit und kaufen einen neuen Ring. Wir sind moderne Menschen. Wir kennen uns aus mit naturwissenschaftlichen Zusammenhängen. Wir glauben nicht mehr wirklich an Wunder.

Jesus war mehr der antike Mensch. „Bittet und es wird euch gegeben“, sagt er zu seinen Jüngern. „Klopft an und euch wird geöffnet.“ Was er sagt, klingt sehr konkret: „Welcher Vater unter euch, den der Sohn um einen Fisch bittet, gibt ihm statt eines Fisches eine Schlange?“ (Lukas 11,9–11) Jesus spricht vom Glauben, der Berge versetzt, und vom Vater, der uns alles gibt, was wir zum Leben brauchen.

„Nach all dem streben die Heiden“

Fragt sich nur: Was brauchen wir zum Leben? Nahrung, Kleidung, Wohnung – aber: wie viel davon? Soziale Beziehungen – aber auch einen Menschen zum Heiraten? Oder leibliche Kinder? Brauchen wir gute Gesundheit und beruflichen Erfolg? Schön wäre das schon, wer all das hat, ist wahrscheinlich ein glücklicher Mensch. Aber ich fürchte: Jesus denkt an anderes. „Sucht nicht, was ihr essen und was ihr trinken sollt. Denn nach all dem streben die Heiden in der Welt“, sagt er in seiner Rede über die falsche und die rechte Sorge (Lukas 12,29–30). Macht es genau andersherum: „Verkauft euren Besitz und gebt Almosen! Macht euch Geldbeutel, die nicht alt werden! Verschafft euch einen Schatz, der nicht abnimmt, im Himmel, wo kein Dieb ihn findet und keine Motte ihn frisst!“ (Lukas 12,33) Und die berühmte Stelle mit „Bittet und es wird euch gegeben“ endet ganz unmaterialistisch so: „Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten.“ (Lukas 11,13)

Den Heiligen Geist: Das kommt unserem modernen Denken durchaus entgegen. Und man entdeckt diesen Gedanken in modernen Gebeten auch wieder. Etwa beim Fürbittgebet im Gottesdienst. Dort zielen unsere Gebete meist eher auf innere Werte als auf äußere Veränderungen. Wir beten um Kraft, eine Krankheit zu tragen; um Mut, einen Streit zu beenden; um Friedenswillen bei den Kriegstreibern; um Großzügigkeit bei den Selbstsüchtigen; um Klugheit bei Politikern; um Trost für Verzweifelte. Kraft, Mut, Klugheit, Trost – alles Gaben des Heiligen Geistes.

Wenn nicht zu Gott, wohin dann?

Und dennoch: Ist das nicht ein bisschen wenig, nur darum zu beten, ein besserer Mensch zu werden oder an Schwierigkeiten und Prüfungen zu wachsen? Denn mal ganz davon abgesehen, dass solche Gesinnungsänderungen auch keine kleinen Wunder wären: Wenn Gott unser Vater ist, der sich um jeden von uns sorgt und der jedes Haar auf unserem Kopf gezählt hat (Lukas 12,7), dann dürfen wir doch wohl auch mit unseren konkreten Sorgen zu ihm kommen. 

Wir dürfen ihn um Heilung bitten – schließlich hat auch Jesus Kranke gesundgemacht. Wir dürfen ihn um Beistand bitten, wenn eine wichtige Prüfung ansteht, oder um die Erfüllung eines sehnlichen Kinderwunsches. Wenn wir mit unseren innersten Sorgen und Wünschen nicht zu Gott kommen könnten, zu wem dann? Gott auch etwas Konkretes zuzutrauen, ist eben keine vorwissenschaftliche Naivität, sondern tiefes Vertrauen. Glaube.

Nur müssen wir wissen, dass unsere Bitten nur Bitten sind und keine Befehle. Jesus selbst musste das erleben. „Vater, lass diesen Kelch an mir vorübergehen“, betet er unter Blut und Tränen im Garten Getsemane (Lukas 22,42). Er betet vergeblich. Der bittere Kelch geht nicht vorüber, Jesus muss leiden. Denn: „Nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.“ Aber selbst wenn die Bitte nicht erfüllt wird: Ein Gebet ist selten vergebens. „Da erschien ein Engel vom Himmel und stärkte ihn.“ Mancher Lourdespilger wird ahnen, was gemeint ist.

Doch gerade angesichts von Leid und Tod bleibt die Frage: Warum erhört Gott mein Beten nicht? Warum hat er andere Pläne? Die Einsicht aus dem Buch Jesaja stimmt wohl: „So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken.“ (Jesaja 55,9) Trösten vermag sie nicht immer. Oder ist Gott doch machtlos gegen den Krebs, gegen den Vulkanausbruch oder gegen den Terroranschlag? Müssen wir das einsehen, was jedes kleine Kind irgendwann verstehen muss: „Mein Papa, meine Mama, können doch nicht alles!“? Auch wenn es schön wäre und das Leben so viel leichter machen würde. Manches geschieht einfach. Und Gott leidet mit.

Wichtig ist wohl das: Gott um etwas zu bitten, ist kein einseitiges Geschäft. Gebet ist Dialog – auch wenn die Antwort oft ziemlich leise ertönt und uns manchmal nicht gefällt. Gott um etwas zu bitten, heißt: Verantwortung zu übernehmen, mitzuarbeiten an dem, was mir wichtig ist. An der Gesundheit, am Klimaschutz, am Frieden. Zumindest im Kleinen, wenn ich schon das große Ganze nicht ändern kann. Insofern ist Gebet das Gegenteil von Verantwortung abgeben. Es ist Selbstverpflichtung, das meine zu tun und auf Gottes Zugabe zu hoffen. Was immer seine Gabe dann sein mag.

Susanne Haverkamp