Ungezwungen über den Glauben sprechen

Gottesfragen am Fass

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Wie man Menschen heute ganz ungezwungen über den Glauben ins Gespräch bringt? Zum Beispiel mit Bier, Musik und Poetry Slams. Im Bistum Fulda begeistert dieses Konzept viele Menschen. Und es beginnt gerade erst.

Foto: Ayleen Nüchter
Vertraute Atmosphäre: Bei den Abenden von „Theologie am Fass“ kann jeder über seinen Glauben und seine Zweifel sprechen. Foto: Ayleen Nüchter


Natürlich war Ayleen Nüchter vor ihrer Premiere aufgeregt. Sie hatte noch nie einen Poetry Slam geschrieben und vorgetragen. Sie fragte sich, wie ihre Zuschauer reagieren würden. Aber sie war auch überzeugt von ihrem Text. Er war „genau das, was mein Herz sagt“, erzählt sie, er war „so typisch Ayleen, dass ich gedacht habe: Okay, dann stellst du dich jetzt da vorne hin und zeigst mal, was du zu sagen hast.“

Nüchter und ihr Team aus Gelnhausen im Bistum Fulda haben eine neue Art entwickelt, um Menschen auf frische, unkomplizierte Art ins Gespräch über Gott und den Glauben zu bringen. „Theologie am Fass“ heißt das Format. Die Zutaten: Poetry Slams, Pianomusik und frisch gezapftes Klosterbier. 

Vier-, fünfmal am Abend tragen die Gemeindeassistentin Nüchter (24) und ihre Kolleginnen und Kollegen aus dem Vorbereitungsteam kurze Texte vor; sie sprechen über ihren Glauben und ihre Zweifel. Die Leute können zuhören, sich inspirieren lassen, mit dem Tischnachbarn darüber reden oder auch nicht. Und sie können, wenn sie wollen, eigene Gedanken aufschreiben und auf die Bühne bringen.

„Wir haben gedacht: Wenn es einen gibt, der sich da vorne hinstellt, dann haben wir schon gewonnen“, sagt Nüchter. Dann aber haben sich gleich fünf getraut. Sie haben in ihren Statements die Frage aufgeworfen, warum sie überhaupt noch in der Kirche sind. Aber sie haben auch ausgedrückt, wie dankbar sie sind – für ihre Kinder, für die Schöpfung, für alles, was Gott uns geschenkt hat. Eine Frau, erzählt Nüchter, habe sogar angefangen zu weinen, so sehr habe sie die Situation berührt: „Es war schon eine Atmosphäre, die war einmalig.“

Offenbar treffen die Abende von „Theologie am Fass“ einen Nerv; offenbar berühren sie eine Sehnsucht, die viele in sich tragen. „Ich glaube: Heutzutage werden die Menschen viel zu wenig gefragt, was sie eigentlich glauben“, sagt Nüchter. Zu vielen kirchlichen Angeboten gingen die Menschen hin, hörten zu und gingen wieder weg. Bei „Theologie am Fass“ dagegen können sie sich einbringen und miteinander ins Gespräch kommen. Hier kann jeder sagen, was ihn bewegt. „Da gibt’s auch kein Richtig und Falsch“, betont Nüchter. Wenn sie als ausgebildete Religionslehrerin oder der Kaplan Andre Lemmer einen Poetry Slam vortragen, wollen sie damit nicht demonstrieren, „dass wir die Wahrheit gepachtet haben“. Sie wollen einen Anstoß zum Weiterdenken geben – mit ihren ganz persönlichen Gedanken, in einfachen Worten, die jeder versteht. „Wir wollen authentisch sein mit dem, was wir glauben und was uns beschäftigt“, sagt Nüchter. Einer ihrer Poetry Slams heißt „Schenk mir Flügel“; darin erzählt sie sehr offen, wie sie an Gott glaubt – und manchmal mit ihm hadert.

Die Idee von „Theologie am Fass“, die Kaplan Lemmer mit dem evangelischen Vikar Philipp Ruess entwickelt hat, funktioniert. Zu den ersten beiden Abenden kamen jeweils 90 Besucher: bei der Premiere noch vorwiegend die 50-Jährigen, die auch sonntags zum Gottesdienst gehen – beim zweiten Mal aber auch viele Jugendliche und jüngere Erwachsene. Also genau die Menschen, die „Theologie am Fass“ vor allem erreichen will und für die es sonst in der Kirche nur wenige Angebote gibt. 
Die Besucher seien begeistert, berichtet Nüchter. Durch die Pianomusik, den Kerzenschein und das Bier entstehe schnell eine ungezwungene, gemütliche, vertraute Stimmung. „Es ist nicht unser Ziel, die Menschen betrunken zu machen“, betont die Gemeindeassistentin. Aber bei einem geselligen Abend mit einem Bier in der Hand tut sich manch einer eben leichter, über seinen Glauben zu sprechen, als bei einem Vortragsabend mit Wasser und Apfelschorle. 

Den ersten Preis hat das Projekt schon gewonnen

Weil das Projekt so gut läuft, sind die nächsten Termine in Gelnhausen schon geplant: einer am 6. Dezember, vier im nächsten Jahr. Aber Nüchter und ihre Mitstreiter wollen mit „Theologie am Fass“ noch mehr Menschen erreichen. Deshalb bieten sie 2020 acht Termine für das ganze Bistum Fulda an. Wenn eine Gemeinde Interesse hat, kann sie sich beim Vorbereitungsteam melden; erste Anfragen gibt es schon.

Das Projekt wächst also gerade erst, und es bekommt zusätzlichen Schwung dadurch, dass es schon jetzt ausgezeichnet worden ist – mit dem ersten Preis für pastorale Innovationen im Bistum Fulda. Die 2500 Euro Preisgeld wollten die Initiatoren erst einmal für Werbung und Dekoration investieren, sagt Ayleen Nüchter. Bisher war vieles improvisiert. Die Kerzen beispielsweise hätten sie geliehen – beim Gastronomiebetrieb ihres Mannes.

Alle Informationen zum Projekt „Theologie am Fass“ finden Sie im Internet unter: www.amfass.de

Andreas Lesch