Das Hirtenbild in der Bibel und heute

Guten Tag, Herr Pastor

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Einen Pfarrer nennt man gern den Hirten seiner Gemeinde – aber passt dieser Begriff? Fragen an Hartmut Niehues, Leiter des Priesterseminars in Münster. Beim Synodalen Weg arbeitet er im Forum „Priesterliche Existenz heute“ mit.

Ein Parrer unterhält sich mit zwei Jugendlichen.
Ein Priester möchte für die Menschen da sein. „Er kann“, sagt Hartmut Niehues, „den Gläubigen Wege zu den Quellen anbieten.“

Im Evangelium an diesem Sonntag erzählt Jesus das Gleichnis vom guten Hirten. Was sagen Sie zu diesem Bild?

Die biblischen Bilder sind bleibend wichtig. Jesus nutzte Bilder, die damals von den Menschen verstanden wurden, um seine Botschaft zu vermitteln. Das müssen wir auch beim Bild vom guten Hirten bedenken. Dieses Bild kann für uns eine Orientierungshilfe sein. Aber wir dürfen das nicht gleichsetzen: Der Priester ist nicht automatisch der gute Hirte. Der gute Hirte ist immer Jesus Christus.

Und dennoch wird das Bild häufig eins zu eins auf den Priester übertragen. 

Und das ist schwierig. Es geht ja nicht zunächst um den konkreten Dienst eines Menschen an einer Gruppe. Das Gleichnis drückt Eigenschaften Gottes aus. Wir dürfen an einen Gott glauben, der zum Beispiel auch dem Letzten noch nachgeht. Keiner wird von ihm zurückgelassen. Das ist doch etwas ganz Wunderbares. Aber das Bild hat eben auch Grenzen.

Wo passt es denn nicht?

Da, wo es einfach so auf den Dienst des Priesters übertragen wird: Im Text heißt es zum Beispiel „Ich kenne die Meinen“. Wenn man dabei an den Priester denkt, wird es schwierig: Wer sind denn die Seinen? Es klingt, als gäbe es ein Besitzverhältnis, als sei der Priester derjenige, der in allen Belangen „seiner“ Gemeinde sagt, wo es langgeht. 

Vor einigen Jahrzehnten hat die Kirche aber oft gesagt, wo es langgeht. Hat das Bild des Hirten damals besser gepasst?

Vermutlich wurde es eher so empfunden. Aber unser Selbstverständnis hat sich verändert. Wir leben in einer demokratischen und freiheitsliebenden Gesellschaft. Ich glaube, wir müssen aufpassen, dass wir den Menschen nicht Zugänge zum Glauben verbauen, weil wir eine Sprache und Bilder nutzen, die mit unserem Lebensgefühl heute nicht mehr zusammenpassen. 

Kann uns das Bild heute denn überhaupt noch etwas sagen?

Ja. Zum Beispiel in Bezug auf die Sorge um andere. Das ist ein sehr positiver Aspekt, den ich aber nicht nur auf den Priester begrenzen würde: Niemanden zurücklassen, die anderen mit ihren Bedürfnissen im Blick haben. Dazu ist jeder Christ berufen. Und dann können wir auch noch eine Parallele zum Dienst der Priester zum Beispiel in der Feier der Sakramente ziehen.

Inwiefern?

Der Hirte weiß, wo es für die Herde Weiden und Quellen gibt. Damit kennt er sich aus. Übertragen auf den Priester: Er kann den Gläubigen Wege zu den Quellen anbieten, wie zum Beispiel in den Sakramenten, zur Stärkung im Glauben und im Leben. 

Wie sollen wir mit dem biblischen Hirtenbild umgehen?

Wir müssen es aus der Zeit heraus verstehen. Wer kennt heute noch Hirten und weiß, wie sie leben und was sie tun? Das ist nicht mehr unsere Lebenswirklichkeit. Deshalb können die Bilder auch leicht missverstanden werden. Bei aller Wertschätzung für diese Metaphern: Wir müssen nach neuen Bildern suchen, die heute für den priesterlichen Dienst stehen.

Haben Sie einen Vorschlag für ein neues Priesterbild?

Wie wäre es mit „Mitarbeiter in PR“? PR aber nicht verstanden als „Public Relations“, sondern als „Personal Relations“.

Wie meinen Sie das?

Hartmut Nieheus leitet das Priesterseminar Münster.
„Wir müssen nach neuen Bildern
suchen“, sagt Hartmut Niehues.

Gott möchte ja mit uns Menschen in Beziehung kommen, in eine persönliche Beziehung zu jeder und jedem. Der Priester kann dabei unterstützen. Durch die Verkündigung, durch die Sakramente, durch sein Engagement für die Armen und Trauernden, durch sein Lebenszeugnis. Als beauftragter Helfer für Beziehung, eben „PR-Mitarbeiter“. Ich glaube, dass uns allen das sehr guttun kann. Und klar ist: Auch ich als Priester brauche diese Unterstützung in meiner Gottesbeziehung von anderen genauso.

Heute wird der Priester oft mit einem Manager verglichen, der die Gemeinde organisiert. Wie gefällt Ihnen dieses moderne Bild?

Das finde ich ganz fatal. Aber die Idee des Priesters als Manager resultiert aus konkreten Erfahrungen der letzten Jahrzehnte. Das Bild ist nicht identitätsstiftend. Ich glaube auch nicht, dass es mit dem Ursprungsgedanken des Priesterdienstes zusammenpasst. Wir sollten im Übrigen nicht nur das Hirtenbild, sondern alle Bilder in unseren Köpfen auf den Prüfstand stellen.

Was ist eigentlich Priesterkandidaten beim Blick auf ihr Berufsbild wichtig?

Wenn ich im Bewerbungsgespräch den Interessenten nach seiner Motivation für den Priesterberuf frage, kommt ganz oft der Satz: Ich möchte für die Menschen da sein. Es geht also um einen Dienst. Und dieses große Wort muss im Laufe der Ausbildung eine konkrete Gestalt gewinnen.  

Beim Synodalen Weg arbeiten Sie im Forum zur priesterlichen Lebensform. Wie werden da Priesterbilder diskutiert?

Da ist die ganze Bandbreite von Meinungen vertreten. Angefangen bei dem Punkt, ob wir überhaupt Priester brauchen, bis hin zur Frage, wie der Priester, den wir heute gerne hätten, sein muss.

Sehen Sie denn Fortschritte in der Diskussion?

Wir ringen miteinander. Corona hat die Diskussion sicherlich gebremst, wir merken aber auch, dass die Frage schwierig ist. Auch unabhängig vom Synodalforum spüre ich, dass die Suche nach neuen Bildern sehr lebendig und kreativ ist. Noch hat aber niemand den Stein der Weisen gefunden: Ich sehe im Moment keinen geschlossenen Entwurf einer zeitgemäßen Theologie des Weihesakramentes. Die Theologie hat noch keine schlüssige Antwort auf die Frage gefunden, was und wer der Priester in unserer heutigen Zeit ist.

Interview: Kerstin Ostendorf