Erster Bischof von Osnabrück

Hat Sankt Wiho wirklich gelebt?

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Eine Sandsteinfigur über einem Hauptportal
Nachweis

Foto: Thomas Osterfeld

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In Stein gemeißelt: eine Figur des heiligen Wiho über dem Hauptportal des Osnabrücker Doms. Früher zeigte sie Ambrosius von Mailand, dann wurde sie umgewidmet. Foto: Thomas Osterfeld

Die Urkunden, die die Gründung des Bistums Osnabrück für Anfang des 9. Jahrhunderts belegen sollen, sind gefälscht. Das steht seit Jahrhunderten fest. Jetzt stellt ein Wissenschaftler auch die Existenz des ersten Bischofs in Frage. Seiner Überzeugung nach ist dieser Mann eine Erfindung der Geschichtsschreibung.

Vielleicht muss die Geschichte des Bistums Osnabrück umformuliert werden. Seit dem 11. Jahrhundert wird hier ein Mann verehrt, der der erste Bischof des Bistums gewesen sein soll. Den Namen Wiho tragen mehrere Straßen, eine Kirche, auch die Komturei der Grabesritter hat sich St. Wiho als Patron ausgesucht. Am 20. April ist sein Gedenktag. Der Geschichtswissenschaftler Thomas Vogtherr, bis zum vergangenen Jahr Professor an der Universität Osnabrück, kommt zu der Überzeugung, dass es den vermeintlichen Bischof nie gegeben hat. Außer in den gefälschten Gründungsurkunden taucht er in Schriften zu seinen angenommenen Lebzeiten nirgends auf.

Neugier erleichtert Ankommen

Thomas Vogtherr hat ein Steckenpferd: Ist er irgendwo heimisch geworden, dann beschäftigt er sich mit der Geschichte des Ortes. Es mag pure Neugier sein, es erleichtert ihm aber auch das Ankommen. Er möchte Auskunft geben können darüber, wo er da eigentlich gelandet ist. Wer in Osnabrück landet und sich für Geschichte interessiert, der stößt unweigerlich auf Karl den Großen und Bischof Benno. Der eine gilt als der Gründer des Bistums, der andere als Fälscher. Zumindest die Fälschung lässt sich belegen.

Als Benno im 11. Jahrhundert Bischof von Osnabrück wird, übernimmt er ein Bistum, das heruntergewirtschaftet und damit weitgehend unbedeutend ist. Benno selbst hat kaum Besitz, den er einbringen könnte. Der sogenannte „Zehnte“, den Bauern zu leisten haben, sorgt damals für kirchliche Einnahmen, um Priester zu bezahlen, Gebäude zu errichten oder Armen zu helfen. Aber da sind andere den Osnabrückern voraus. Das Kloster Corvey im westfälischen Höxter zum Beispiel hat ein weit verzweigtes Einnahmesystem, das sogar bis ins Emsland nach Meppen reicht. Benno beginnt, mit Corvey zu streiten. Um zu seinem vermeintlichen Recht zu kommen, fälscht er unter anderem die Gründungsurkunden und macht sein Bistum älter. Wer älter ist, hat größere Macht, wer älter ist, darf sagen, wo es langgeht. Benno holt sich die Zustimmung des Königs für seine Urkunden und siegt im sogenannten Zehntstreit – von nun an ist Osnabrück ein verhältnismäßig reiches Bistum. Was die Jahreszahl der Gründung des Bistums angeht, entwickelt sich ein gegenseitiges Vergessen.

Schon im 17. Jahrhundert wird deutlich, dass an den Urkunden etwas nicht stimmen kann. Beide sind auf den gleichen Tag im Januar datiert, die eine 803, die andere 804. Kaum zu glauben, dass es da mit rechten Dingen zugeht. Aber es sind die Zeiten konfessioneller Auseinandersetzungen, und wenn ein Protestant eine Behauptung aufstellt, muss der Katholik doch widersprechen. Umgekehrt natürlich auch. Sämtliche Urkunden werden aus dem öffentlichen Verkehr gezogen und gelangen in den persönlichen Besitz des jeweiligen Bischofs von Osnabrück. Erst der juristisch begabte Bischof Bernhard Höting, der 1898 stirbt, verfügt in seinem Testament, die Urkunden sollten nach seinem Tod dem Bistumsarchiv übertragen werden. Seitdem kann daran geforscht werden. Um 1920 ist dann klar: Die Sache mit der Bistumsgründung muss anders gelaufen sein.

Vogtherr reiht Fakt an Fakt

Was bedeutet das für die Person des Bischofs Wiho? Der Wissenschaftler Vogtherr reiht Fakt an Fakt. Wohl kaum dürfte die Bistumsgründung auf einen Schlag erfolgt sein. Er sieht eher einen „tastenden Vorgang“, ein Ausprobieren, wie weit man in den Norden mit der Mission gehen kann. Erst viel später habe sich dann gezeigt, dass sich aus den Missionsbewegungen nun ein Bistum entwickelt hat. Wiho, „der Geweihte“, sei wohl eher ein „sprechender Name“, jemand, der gar nicht gelebt haben muss, der aber in die Tradition eingebunden wurde. Denn ein Bistum braucht schließlich einen Gründerbischof.

Mit noch einem weiteren Detail stützt Vogtherr seine Überzeugung: Wiho hat nirgendwo Spuren hinterlassen. In garantiert echten Urkunden aus der Mitte des 9. Jahrhunderts ist er nicht erwähnt. Als Lütticher Domherr soll er nach Osnabrück gekommen sein. Doch dort, in Lüttich, findet sich nichts. Die Lütticher Domherren haben aufgeschrieben, was aus ihresgleichen geworden ist. Und auf einen zum Bischof Geweihten wären sie mit Sicherheit stolz gewesen. Undenkbar, dass sie das nicht erwähnt haben. Jemand muss ihn erfunden haben. Das kann nur Benno gewesen sein. Der Fälscher.

Und jetzt? Thomas Vogtherr bemüht einen Vergleich aus der Justiz. Er sieht sich wie der Staatsanwalt, der für ein Verfahren die Fakten sammelt. Richten müssen andere. Die Wissenschaft klärt nur, was passiert ist. Die Fälschung, die Benno damals vornahm, mag heutigen Moralbegriffen nicht genügen. Immerhin: Er fälschte wohl nicht, um sich persönlich zu bereichern. Ein Schaden ist nicht entstanden. Auch nicht dadurch, dass mit Wiho eine Person ins Spiel kommt, die wohl nie existierte. Ob die Geschichte umgeschrieben werden muss, ob Namensschilder abzubauen, ob Patronate zu ändern sind, dazu sagt Thomas Vogtherr nichts. Das müssen andere entscheiden.


Zur Sache

Ambrosius umgewidmet

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wünschten sich die Osnabrücker Domverantwortlichen eine Statue des Missionars und Gründerbischofs Wiho für das Hauptportal ihrer Kathedrale. Nach über 50-jähriger Vakanz signalisierten sie so im Umfeld der Wiederbesetzung des Osnabrücker Domkapitels und des Bischofsstuhls in den Jahren 1857/58 historische Kontinuität. Wohl aus Kostengründen griffen sie indes auf eine Figur zurück, die sich bereits im kirchlichen Bestand befand: den heiligen Bischof und Kirchenvater Ambrosius von Mailand, dessen Abbild um 1480 in Münster geschaffen wurde und der bis ins frühe 19. Jahrhundert mit mindestens elf weiteren Heiligenfiguren aus dem Umfeld des Dominikanerordens die Dominikanerkirche in Osnabrück geziert hatte. Das spätmittelalterliche Ambrosius-Bildnis wurde dabei lediglich um die Inschrift Wiho ergänzt. Heute befinden sich im Diözesanmuseum Osnabrück sechs weitere Figuren aus diesem Zyklus, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen „gesandstrahlt“ und so ihrer historischen Oberfläche beraubt wurden. Wer die ursprüngliche Oberflächengestaltung dieser Werke nachvollziehen möchte, ist vor dem Dom mit einem Blick auf den vermeintlichen Gründervater Wiho bzw. Ex-Ambrosius bestens bedient (que).

 

Matthias Petersen