Der moderne barmherzige Samariter

Helfen ist lernbar

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Barmherzige Samariter: So nennt man uneigennützige Helfer, seit der Wanderer von Jerusalem nach Jericho seinen verwundeten Nächsten versorgte. Ein moderner Samariter ist Sven Schewe. Er arbeitet in einer Rettungsleitstelle.

Foto: Christian R. Schlichter
Helfen macht auch Helfer glücklich: Sven Schewe im Rettungswagen. Foto: Christian R. Schlichter


Barmherzig zu sein, das ist vielleicht nicht jedem sofort gegeben, weiß Sven Schewe aus seinem Alltag in einer Notrufleitstelle. „Aber helfen, das kann man lernen“, sagt der Rettungsassistent, der sich ehrenamtlich bei den Maltesern engagiert. 

Beim Blick auf das heutige Evangelium findet er deshalb viel von seiner Arbeit wieder. Natürlich kennt er auch die Hilflosigkeit vieler Passanten, wenn sie auf einen Verletzten treffen. Aber dass sie einfach weitergegangen sind, das nimmt der Rettungsassistent dem Priester und dem Leviten im Gleichnis übel. Wenn sie schon selbst – wohl aus rituellen Gründen – den Verletzten nicht anfassen wollten, dann hätten sie wenigstens andere zu Hilfe rufen können, findet er. 

Denn helfen zu wollen, Nächstenliebe in die Tat umzusetzen, das sei nicht nur für die Betroffenen gut, sagt der 41-jährige Schewe. Auch die Helfer selbst erlebten dabei ein großes Glücksgefühl.

Genau das war der Grund, weshalb Sven Schewe nach der Ausbildung im Hotelfach statt der Bundeswehr den Zivildienst gewählt hat. Damals, 2001, begann er auf einer Rettungswache der Malteser und begleitete erst kranke Menschen ins Hospital oder nach Hause. Später dann, nach der Ausbildung zum Rettungsassistenten, fuhr er auf dem großen Rettungswagen mit. Das hat ihn angefixt und seitdem nicht mehr losgelassen. Weil Helfen guttut, weil Helfen Spaß macht, weil andere Menschen Helfen auch lernen können, hat er in den Jahren seitdem erfahren.

Der barmherzige Samariter ist für ihn da nur ein Beispiel. Ein gutes zwar und eines, das man nachahmen soll. Denn helfen zu wollen, konnte er durch das Engagement bei den Maltesern am besten umsetzen. Aber die nötige Fachlichkeit dafür hat er sich dann erarbeitet. Zunächst auf der Malteser Rettungswache. Dort fuhr Schewe 24-Stunden-Dienste und rückte mit Blaulicht und Martinshorn immer dann aus, wenn Menschen in Not waren. 

Viele haben Angst, etwas falsch zu machen

Seit Jahren sitzt er jetzt auch auf der anderen Seite, in der Kreisleitstelle in Rheine. Die koordiniert die Rettungseinsätze. Schewe hat seine Helfertätigkeit weiter professionalisiert und die gehobene Feuerwehrausbildung draufgesattelt. Als Wachabteilungsleiter und Schichtführer koordiniert er mit seinem Team jetzt all die großen und kleinen Hilferufe, die aus dem gesamten Kreisgebiet kommen. Von den 450 000 Menschen im Kreis Steinfurt sind das täglich rund 300 bis 400

Hilferufe per Telefon, dazu die zahlreichen internen Funkgespräche. Helfen macht halt viel Arbeit. Und ist lange schon nichts mehr für eine rein ehrenamtliche Tätigkeit, meint Schewe. Denn die Anforderungen sind gestiegen, die notwendigen Qualifikationen gewachsen. 

Doch bei allen Fortschritten der Medizin und den großen und manchmal auch ganz kleinen Notlagen der Menschen, zu denen ein Rettungswagen ausrücken muss: Die Grundsituation ist die gleiche wie im Evangelium, sagt Schewe. Der Samariter habe das einzig Richtige getan: angehalten, den Verletzten angenommen, ihn nach bestem Wissen versorgt, zügig mit dem eigenen Esel in die Herberge gebracht und dort für seine Pflege gesorgt. Das findet Sven Schewe beeindruckend. Dass viele andere auch so handeln, das wünscht er sich. 

Deshalb lobt er Menschen bereits, wenn sie einen Notfall bei ihm in der Leitstelle melden. 

Meistens lassen sie sich am Telefon motivieren, dann auch selbst zu helfen, bis die professionellen Retter kommen. Viele haben zwar Angst, etwas falsch zu machen. Aber eine stabile Seitenlage, ein abgenommener Motorradhelm (das geht ganz leicht), die Kontrolle von Herzschlag und Atmung, das kann schon viel helfen. 

Leider erlebt er auch Menschen am Telefon, die bereits aufgrund der Ausnahmesituation, selbst etwas entscheiden zu müssen, überfordert sind. Manchmal sei es sogar einfacher, mit anrufenden Kindern umzugehen, als mit Erwachsenen, die nicht mehr klar denken oder handeln könnten, sagt Schewe. Was ihn zudem stört, ist die Anspruchshaltung: „Wir sind heute eine Gesellschaft geworden, in der man anruft, und dann kümmern sich andere um die Probleme.“ Da machten es sich viele zu einfach.

Manchmal kommt sogar ein Dankesbrief an

Wiederzukommen und die Geretteten zu besuchen, so wie es der Samariter angekündigt hatte, das kennt Schewe aus seinem Berufsalltag eher weniger. Dafür ist meist keine Zeit. Wenn die Situation der akuten Hilfe vorbei ist, gibt es keinen Kontakt mehr zwischen Helfern und Geretteten. 

Und doch erfährt er manchmal über die Notärzte oder durch Zufall, wie gut die Hilfe war. Manchmal kommt sogar ein Dankesbrief an. Das tröstet ihn auch über die Einsätze hinweg, bei denen er gemerkt hat, dass sich Menschen mit einem Notruf einfach nur der eigenen Verantwortung entziehen wollen nach dem Motto: „Sollen doch die Profis kommen, dann brauche ich selbst nichts zu tun.“ 

Gründe, nicht zu helfen, gibt es nicht nur im Evangelium. Dabei ist Helfen meist einfach. Wie im Evangelium. Anhalten, zupacken, sich kümmern.

Die Malteser als Fachverband der Caritas bieten regelmäßig eintägige Erste-Hilfe-Kurse an. Infos unter www.malteser-kurse.de

Christian R. Schlichter