Bibelprojekt

Hiob und Mose im Rathaus

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Lesungen aus der Bibel im Jahr 2020 am 20. des Monats um 20 Uhr an unterschiedlichen Orten – dieses Projekt hat sich Gemeindereferentin Gisela Püttker ausgedacht. Bei der Premiere im Wallenhorster Rathaus inmitten einer Chagall-Ausstellung wartet ein gespanntes Publikum.


Gisela Püttker und Martina Meyer tragen die Zehn Gebote in unterschiedlichen Fassungen vor. Foto: Regine Hoffmeister

Eilig holen Helfer aus dem Rathaus noch einige Stühle dazu und stellen sie hinter der letzten Reihe auf, damit alle einen Sitzplatz haben. Über sechzig Gäste sind es am Schluss, mehr als die Veranstalter geplant haben. Unter ihnen viele, die selbst eine Bibellesung gestalten werden.  Denn jeden Monat wird immer am 20. an unterschiedlichen Orten in Wallenhorst, Rulle und Hollage aus der Bibel gelesen. „Ich fand die Idee gut und habe sofort zugesagt“, merkt Annette Illenseer von der Kolpingsfamilie Wallenhorst. Allerdings sei das Konzept der reinen Lesung unterschiedlich aufgenommen worden. „Die meisten erwarten bei so einer Veranstaltung, dass über die Texte gesprochen wird. Das ist in dieser Reihe aber nicht vorgesehen.“ Für ihre Juli-Veranstaltung seien sie aktuell noch auf der Suche nach einem passenden Veranstaltungsort, womöglich einem unter freiem Himmel.

Gisela Püttker möchte beim Projekt „Gottes Wort an jedem Ort“ die Bibeltexte ganz für sich und ohne weitere Erklärungen wirken lassen. Zur Einführung zitiert sie aus Arnold Stadlers „Beim Öffnen der Bibel“: „Gerade beim Öffnen der Bibel eröffnet sich etwas. Ein Weltraum. Der Himmel und seine Wunder. Warum all diese schönen Bilder und Sätze wegerklären? Dazu ist der Mensch nicht auf der Welt, schon gar nicht ein Sprachmensch.“ Vielmehr, so heißt es weiter, sei die Bibel „eine Partitur und eine Brücke, die den Schreibenden mit dem Lesenden“ verbinde.

Für die erste Bibellesung haben Püttker und ihre Mitleser Martina Meyer und Andreas Sandmann Bibelstellen gewählt, die einen direkten Bezug zu einigen der Bilder aus der Marc-Chagall-Ausstellung im Rathausfoyer haben. Mit Genesis 2, der Schöpfungsgeschichte, macht Sandmann den Anfang. Direkt hinter ihm an der Wand hängt eine Farblithographie von Chagalls Gemälde „Paradies (Baum der Erkenntnis)“ von 1960. Darauf zu sehen: Adam und Eva, die sich einen gemeinsamen Körper teilen und so das „Wesen Mensch“ darstellen.

Gebote aus der Bibel sollen die Menschen frei machen

Püttker weist das Publikum auf den Engel am oberen Bildrand hin, der über das Geschehen wacht, und leitet damit über zur nächsten Bibelstelle, die Martina Meyer vorträgt: Hiob 33, eine der Reden Elihus‘ an den schwer leidenden Hiob. Elihus ist der Auffassung, dass Gott in Träumen und Visionen zum Menschen spreche und ihm den richtigen Weg weise, nur hören die Menschen nicht auf ihn. Weiter heißt es im Text: „Gott weist einen Menschen auch durch Schmerzen zurecht, wenn er daliegt in seinen Qualen (...). Doch wenn ein Engel sich für ihn einsetzt, einer von den Tausenden, die den Menschen sagen, was richtig für sie ist, wenn dieser Engel Mitleid mit ihm hat und zu Gott sagt: ‚Verschone ihn! Lass ihn nicht sterben! Hier ist das Lösegeld!‘, dann blüht er wieder auf, wird gesund und frisch, er wird stark wie damals in seiner Jugend.“ Auch dieser Text aus dem Alten Testament bleibt unkommentiert.

Nach der kurzen Pause, in der die Lesungsgäste Gelegenheit haben, sich die erwähnten Bilder Chagalls, zum Beispiel „Der betende Hiob“, anzusehen, geht es mit Exodus 20, den Zehn Geboten weiter. Zu diesem Thema ist in der Ausstellung unter anderem eine Farblithographie mit dem Titel „Mose, herabschauend“ zu sehen, die Moses mit den Gesetzestafeln zeigt. Nach der Lesung aus der Einheitsübersetzung tragen Gisela Püttker und Martina Meyer die Zehn Gebote noch einmal im Wechsel vor: In der Originalfassung und in der aktualisierten Version von Andreas Knapp. Aus „Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig“ wird in Knapps Fassung beispielsweise „Schenke dem anderen und dir einen Tag gratis“. Püttker weist in ihren Schlussworten darauf hin, dass die Gebote aus der Bibel heute von vielen Menschen als einengend und lebensfremd empfunden würden. Vielmehr dienten sie aber dazu, „den Menschen frei zu machen, so dass alle Menschen gut zusammenleben können“. Dies werde in Knapps moderner Fassung deutlich.

Es ist muckmäuschenstill im Rathausfoyer

Während der gesamten Bibellesung ist es im tagsüber so geschäftigen Rathausfoyer mucksmäuschenstill. Am Ende der knapp einstündigen Veranstaltung scheint das Publikum kurz verunsichert, ob Applaus bei einer Bibellesung wohl angebracht ist. Dann gibt es doch noch ein kurzes Klatschen und im Anschluss viel persönliches Lob für die Veranstalterin.

Brigitte Herbert von den Blumenfrauen in Rulle, die sich ehrenamtlich um den Blumenschmuck in der St.-Johannes-Kirche kümmern, findet die Auftaktveranstaltung gelungen und sehr inspirierend. Gerade die vielfältigen Bezüge zu den Bildern Chagalls haben ihr gut gefallen. Sie selbst plane mit ihrem Team die Dezember-Lesung in der Gärtnerei Kruse in Rulle. Welche Bibeltexte dort gelesen werden, wollen sie sich noch überlegen.

Regine Hoffmeister


Zur Sache

Die nächste Bibellesung ist am 20. Februar in der Bücherei Hollage, am 20. März geht es in den Kindergarten nach Lechtingen. Im Mai ist Treffpunkt an der Piussäule, im August an der Aussichtsplattform „Nordblick“. Pfarrers Garten ist im September geöffnet, im November die Gärtnerei Kruse in Rulle. Im Dezemnber geht es in die St.-Josef-Kirche Hollage. Die weiteren Orte sind noch offen. Mit dabei sind die kfd, die KAB, der Chor „Cantarem“ und die Messdiener (alle Hollage), die Regenbogengruppe, Kolping, der PGR, die KDFB, die Landjugend und die Lektoren (alle Wallenhorst) sowie die „Blumenfrauen“ aus Rulle.