Sabbatjahr an einer Schule in der Dominikanischen Republik
Hungrig nach Liebe
Foto: Thomas Osterfeld
Einige Freunde und Arbeitskollegen hatten Sorge, dass Cordula Kaumkötter nicht nach Deutschland zurückkommt. Auf den Fotos, die sie regelmäßig nach Hause schickte oder in ihrem Internetblog veröffentlichte, sah sie so glücklich aus. Sie gibt auch zu: „Mein halbes Herz hängt noch an der Dominikanischen Republik, aber ich weiß, dass mein Platz erst mal wieder hier ist.“
Wenn sich Berufstätige eine längere Auszeit erarbeiten – ein Sabbatjahr – planen sie meistens eine Weltreise. Nicht so Kaumkötter. Die Osnabrückerin hatte zwar auch ihre Koffer gepackt, aber mit einem besonderen Ziel: „Ich wollte mich verschenken und meine Talente nutzen.“ Sie unterrichtete in einer Schule in einem Armenviertel am Rande der Hauptstadt Santo Domingo. Die Fokolar-Bewegung, der Kaumkötter angehört (siehe „Zur Sache“), unterstützt neben Einheimischen auch aus dem Nachbarstaat geflüchtete Haitianer mit Bildungsprojekten und ist an der staatlichen Favela-Schule aktiv.
Favela-Schule: ein Sprung ins kalte Wasser
Als die Heilpädagogin mitbekam, wie junge Leute von ihrem Freiwilligendienst dort schwärmten, flammte ein alter Wunsch auf. Sie drückt es ganz plakativ aus: „In meinem Herzen brannte ein Feuer.“ Sie beantragte ein Visum und vermietete ihre Wohnung an eine ukrainische Mutter mit ihrem Sohn unter – bereit, ein Jahr lang auf Wohlstand zu verzichten.
In der Dominikanischen Republik erwarteten sie 800 Schülerinnen und Schüler, von der Vorschule bis zur sechsten Klasse. Es war ein Sprung ins kalte Wasser. „Im Klassenraum saßen 40 bis 50 Kinder, den Geräuschpegel, die Unruhe, kann man sich nicht vorstellen.“ Neben Spanisch, das sie vorher etwas gelernt hatte, sprang Kaumkötter auch bald im Englischunterricht ein. Es gab keine Bücher, keine Tinte zum Nachfüllen und anfangs nicht mal genügend Stühle. Bei über 30 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit war das Stromnetz instabil, so dass oft die Ventilatoren und das Schulnetzwerk ausfielen. „Dann mussten wir die Kinder nach Hause schicken, weil es in den Klassenräumen nicht auszuhalten war.“ Aber Kaumkötter ließ sich nicht entmutigen. „Ich habe nur gedacht: Mit Gottes Hilfe gebe ich mein Bestes.“
Liebevolle Momente für den Lebensrucksack
In Osnabrück arbeitet die Heilpädagin in der Katholischen Jugendhilfe Don Bosco. Sie betreut Kinder und Jugendliche aus belasteten Familien. Ihren Beruf sieht sie als Berufung. „Ich merkte schon früh, dass ich für Kinder, die aus nicht so einfachen Verhältnissen kommen, leben will.“ Förderangebote wie Fußball, Schwimmen, Radfahren oder Musik stärken das Selbstwertgefühl und schaffen Vertrauen.
Ein ähnliches Programm mit Sportspielen, Schlagzeug- und Flötenunterricht, der Unterstützung des Orchesters und des Chors startete Kaumkötter auch in der Dominikanischen Republik. Ihre Philosophie lautet: „Jeder liebevolle Moment den man einem Kind zuteilwerden lässt, ist im Lebensrucksack drin. Darauf kann es immer wieder zurückgreifen.“ Herausfordernd, sagt sie, seien die Kinder gewesen, die oft störten oder gar nicht erst in den Unterricht hineingingen. „Aber das sind mir die liebsten, mit denen arbeite ich total gerne. Sie sollen spüren: Ich bin dem anderen so wichtig, dass er an mir dranbleibt.“ Das habe funktioniert.
Vor Unterrichtsbeginn gab es Milch und Brötchen für alle, denn einige hätten sonst hungrig im Klassenzimmer gesessen. Emotional, hat Kaumkötter festgestellt, sind sie alle hungrig. „Morgens stürmten sie erst mal auf mich zu und brauchten eine Umarmung.“ Sie spürte, wie wohltuend es für die Kinder war, sie einfach umarmen zu dürfen. Zum Beispiel ein Mädchen, das sich immer wieder selbst verletzte. „Eines Tages stand der große Bruder hinter ihr und wollte auch umarmt werden. Danach sind beide strahlend nach Hause gegangen.“
Zu Beginn ihres Freiwilligenjahres wohnte Kaumkötter in einem Stadtteil, in dem es gefährlich war, allein unterwegs zu sein. „Alles war vergittert, ich fühlte mich eingesperrt.“ Später zog sie in die sichere Altstadt von Santo Domingo um. Von dort hatte sie allerdings einen weiteren Schulweg: Sie musste eine Viertelstunde laufen bis zu einem Bulli, in den sich etwa 20 Leute drängten, und das letzte Stück mit dem Motorrad fahren. Eine Strecke dauerte etwa eineinhalb Stunden.
„Die Menschen sind sehr offenherzig, das hat mir gut gefallen“, berichtet Kaumkötter. Und es wurde geteilt – Essen ebenso wie Familienangelegenheiten. Es gab beispielsweise eine Lehrer-App, in der alles mitgeteilt wurde, egal, ob jemand krank war oder ein Angehöriger gestorben war – um gemeinsam zu beten und ein schweres Schicksal mitzutragen. „In Deutschland würde man eher denken: Das geht keinen was an.“
Die ganze Familie steht hinter dem Lektor
Kaumkötter kam in der Dominikanischen Republik immer bei Freiwilligen der Fokolarbewegung unter. Sie kennt die geistliche Gemeinschaft schon lange. „Ich war auf der Suche, wie ich meinen Glauben konkret leben kann. Gebet und Meditation sind mir wichtig, aber auch das Zusammensein mit Menschen.“ Privat hat sie sich für eine Siedlungsgemeinschaft entschieden. 19 Häuser, 26 Leute – Ältere, Familien, Singles, alle geprägt von ihrer eigenen Geschichte. „Aber wir feiern, kochen, spielen zusammen und helfen uns gegenseitig.“
Ein Erlebnis aus ihrem Sabbatjahr hat sie besonders ermutigt: Wenn jemand im Gottesdienst die Lesung hält, stellt sich am Altar die ganze Familie hinter den Lektor. Und: Geburtstagskinder werden zu einem Segen nach vorn geholt. Eine Idee, die sie durchaus für übertragbar hält.