Beten in der Not

"Ich kann auf Gott setzen"

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Seit Beginn der Corona-Krise beten viele Deutsche laut einer Umfrage häufiger. Lehrt Not beten? Der Psychologe und Diakon Gereon Heuft hat das untersucht. Er spricht darüber, warum sich Menschen in der Not nach Religiosität sehnen. 

Jemand hat eine Kerze angezündet und betet. Foto: kna/Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani
Beten in der Not: Jetzt in der Coronakrise zünden viele Gläubige abends eine Kerze an, um für die Betroffenen zu bitten. 

So etwas wie die Corona-Krise habe er in seinem Berufsleben noch nicht erlebt, sagt Gereon Heuft. Er leitet am Universitätsklinikum Münster die Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie. Das Coronavirus erschwert seine Arbeit. Die Krebspatienten, um die er sich normalerweise ambulant kümmert, können zum Beispiel gerade nicht zu ihm in die Klinik kommen, weil sie sich leicht anstecken könnten. Er versucht, sie am Telefon zu unterstützen. „Dass ich ihnen nicht wie gewohnt helfen kann, ist hart“, sagt Heuft. 

Die Corona-Krise trifft ihn auch privat. Er macht sich Sorgen um seine Angehörigen, zum Beispiel um seine sehr alte Schwiegermutter, die in einem Altenheim lebt und die seine Frau oder er normalerweise täglich besuchen. Um wegen dieser Sorgen nicht zu verzweifeln, hilft Heuft das Gebet. Er ist in seiner Heimat­pfarrei in Münster Diakon mit Zivilberuf und betet deshalb täglich das Stundengebet. Jetzt, da er keine Gottesdienste mehr besuchen kann, bete er noch bewusster, sagt er. 

Heuft spürt, dass das Gebet in der Corona-Krise für ihn intensiver ist. Zum Beispiel, wenn er abends gemeinsam mit vielen anderen Gläubigen eine Kerze ins Fenster stellt, um für die Betroffenen der Pandemie zu beten.

Zurzeit scheint es so, als ob viele Menschen verstärkt Halt im Gebet suchten. Ein Drittel der Deutschen betet laut einer Umfrage der „Tagespost“ seit Beginn der Krise häufiger. An Gebetsaktionen im Internet beteiligen sich viele, die offen sagen, dass sie eigentlich nicht an Gott glaubten – aber Beten könne ja nicht schaden. Lehrt Not also beten, wie ein bekanntes Sprichwort nahelegt? 

„Der Glaube kann mir helfen, das zu ertragen“

Genau diese  Frage hat Heuft ­interessiert, als er 2013 neben seiner Arbeit als Arzt in Theologie promoviert hat. In seiner Doktorarbeit hat er untersucht, ob Menschen in gesundheitlichen Nöten eine stärkere religiöse Überzeugung haben als sonst. 
Dafür hat er seine Patienten einen Fragebogen ausfüllen lassen und ihre Antworten mit einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage verglichen. Das Ergebnis: Die Patienten waren nicht signifikant gläubiger als der Rest der Bevölkerung. Heuft schloss daraus: Not lehrt entgegen des gängigen Sprichworts nicht beten. „Aber sie lehrt suchen“, sagt er. Denn einen großen Unterschied gab es: Deutlich mehr Patienten gaben an, dass sie sich wünschten, dass Religiosität in ihrem Leben eine größere Rolle spielt. 

Kann beten jetzt, da sich viele Menschen um ihre Gesundheit, aber auch um ihre Existenz sorgen, helfen? Ja, sagt Heuft: „Beten kann eine Kraftquelle sein.“ Gleichzeitig betont er, dass auch das Gegenteil der Fall sein kann. Dass Menschen sich angesichts der schlimmen Bilder aus Italien, Spanien oder den USA fragen: Wo ist Gott? „Zu sagen, dass mir das Gebet dabei hilft, das, was dort passiert, leichter zu akzeptieren, wäre falsch“, sagt Heuft. „Aber der Glaube kann mir dabei helfen, das zu ertragen.“


Gereon Heuft ist Psychologe
und Diakon. 

Ihm persönlich hilft, dass er sich im Gebet in einen größeren Kontext stellen kann. „Als Ärzte  oder Pflegekräfte müssen wir versuchen, die Dinge unter Kontrolle zu behalten und Unglück möglichst fernzuhalten“, sagt er. „So wie wir alle.“ Doch trotz aller Planung: Oft könnten wir die Dinge nicht im Griff haben. „Sich das bewusst zu machen, kann helfen, auch loszulassen.“ Das bedeute nicht, dass man tatenlos rumsitzen und Gott alles richten lassen könne. „Aber, wenn ich erkenne, dass ich bei allem Bemühen, das ich aufwende, nicht alles machen kann, dann hilft es mir, dass ich die Zügel nicht allein in der Hand halten muss“, sagt Heuft. Er spricht davon, in einer solchen Situation „auf Gott zu setzen“ und ihm zu vertrauen.

Um in der Not zu beten, gebe es viele geeignete Formen, sagt er. Zum Beispiel geprägte Gebete. Er empfiehlt, Psalmen oder Texte, die einen trösten, auswendig zu lernen – für den Fall, dass man, wenn man in Not gerät und zum Beispiel ins Krankenhaus muss, kein Gebetbuch zur Hand hat. Aber auch freie Formulierungen sind möglich. „Ich kann das, was mich bewegt, Gott einfach hinhalten“, sagt Heuft. Er selbst verwendet einen Mix aus beiden Formen: Wenn er das Stundengebet betet, ergänzt er den Fürbittenteil und betet für seine Angehörigen und Menschen, die von Corona betroffen sind – auch dafür, dass er selbst gesund bleibt. 

Er betont aber, dass man von diesen Gebeten nicht zu viel erwarten darf. „Beten ist kein Wunscherfüllungsautomatismus“, sagt er. Beim Beten komme nicht direkt etwas zurück. „Aber wenn ich mir bewusst mache, dass ich nicht alles zu verantworten habe und auch an meine Grenzen komme, dann kann ich diese Nöte und Fragen ein Stück weit Gott überlassen.“

Sandra Röseler