Über Vorbilder im Glauben und im Leben
"Ich wäre gern ein bisschen wie du"
Im Beruf, im Sport, im Leben – oft suchen wir nach Leitfiguren, zu denen wir aufblicken, denen wir nacheifern können, die uns Sicherheit geben und sinnvolle Ziele und Perspektiven vermitteln. Das gilt zweifellos auch für den Glauben.
Von Kerstin Ostendorf
Kürzlich nahm Marion Lammering an einem Gruppengespräch teil. Ein Kollege von ihr unterhielt sich dabei mit einem Theologiestudenten. „Er hat sehr schön und mit viel Ruhe zugehört und dem anderen viel Raum gegeben, so dass er sein Anliegen schildern konnte“, sagt die Pastoralreferentin, die als Mentorin in Bonn Theologiestudierende spirituell und seelsorglich begleitet. Diese Ruhe und Gelassenheit, die hätte sie auch gerne öfter, sagt sie. „Davon könnte ich mir eine Scheibe abschneiden.“
Genau darum geht es bei Vorbildern: Was können wir von Menschen oder auch Heiligen übernehmen? Was beeindruckt uns? Was ist nachahmenswert? In der neutestamentlichen Lesung an diesem Sonntag hören wir vom Apostel Paulus, der einen Brief an die Gemeinde in Philippi schreibt und sie auffordert, ihm nachzueifern. „Ahmt auch ihr mich nach“, schreibt er, und: „Achtet auf jene, die nach dem Vorbild leben, das ihr an uns habt!“
Wir lernen, wenn wir uns etwas abgucken
Gerade für die frühchristlichen Gemeinden waren Vorbilder wichtig. „Es gab juden- und heidenchristliche Gemeinden. Da ging es darum, das religiöse Leben neu zu erlernen oder Religiosität überhaupt erst kennenzulernen“, sagt Lammering. Als der Apostel weiterzog, hatten sie niemanden mehr, der ihre Fragen zum Glauben und zur richtigen Lebensweise beantwortete. „Deswegen gibt Paulus ihnen den Ratschlag: Orientiert euch an uns. Guckt, wie wir das machen – und macht es uns nach“, sagt sie.
Menschen lernen durch eigene Erfahrungen, durch Scheitern und Gelingen. „Wir lernen aber auch, indem wir uns etwas bei anderen abgucken. Und das gilt auch für den Glauben“, sagt die Theologin. „Es muss jemanden geben, der Regeln benennt, der weiß, worauf es ankommt, der vorlebt, was den Kern des Glaubens ausmacht“, sagt sie. Wenn man auf jemanden treffe, der das beherzige, dann strahle das aus. „Wir sagen dann gerne: Der Mensch hat Charisma. Das sind Menschen, die sehr anziehend wirken, mit denen man sich gerne beschäftigt und von denen man denkt: Ich wäre gerne ein bisschen wie du“, sagt Lammering.
Sie selbst hat nur wenige Vorbilder. „Unter meinen Kollegen habe ich Menschen, wo ich merke, dass sie das leben, was sie verkünden und wie sie von Gott sprechen“, sagt Lammering. Es berühre sie, wenn Menschen so authentisch seien. Auch in ihrer Arbeit mit den Theologiestudierenden erlebe sie immer wieder, dass solche Menschen die jungen Leute geprägt hätten: „Personen, die wirklich Rede und Antwort stehen konnten, die die Lehre der Kirche verkünden, aber auch dazu Position beziehen, bei denen man spürt, dass sie sich mit den Glaubensinhalten identifizieren, aber zugeben können, manchmal auch mit gewissen Dingen zu hadern, werden zu Vorbildern für junge Menschen.“
Durch eigenes Beispiel eine Flamme entfachen
Das können Pastoral- oder Gemeindereferenten sein, die eine tolle Jugendarbeit organisieren. Das können Kapläne und Pfarrer sein, die den Jugendlichen in der Gemeindearbeit Verantwortung übertragen und Dinge zutrauen. Das können Firmkatecheten sein, die in der Vorbereitung überzeugend und persönlich von ihrem Glauben berichten. Oder Religionslehrer, die die Fragen der Schüler ernst nehmen und sich damit auseinandersetzen. „Die Theologiestudierenden nennen ganz oft ein oder zwei Menschen, die in ihnen etwas angezündet und eine Flamme entfacht haben“, sagt Lammering. Solche Glaubensvorbilder können Motivation sein, sich wissenschaftlich mit dem Glauben auseinanderzusetzen und selbst Religionslehrer, Pastoralreferentin oder Priester werden zu wollen. Vorbilder können zum Orientierungspunkt für das eigene Leben werden. „Gerade wenn es darum geht, in einer Gemeinschaft zu leben und christliche Werte miteinander zu teilen, ist es ganz natürlich, dass man auch nach links und rechts schaut und guckt, wie die anderen das machen“, sagt Lammering.
In Krisenzeiten können Vorbilder zu Hoffnungsstiftern werden. „Wenn ich selber nicht mehr weiter weiß, wenn die Emotionen mich überwältigen und ich das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr sehe, dann sind Menschen hilfreich, die mich begleiten“, sagt sie. Das können Menschen sein, die Teil des eigenen Lebens sind. Das können aber auch Verstorbene und Heilige sein, die zu Vorbildern werden. „In der Heilsgeschichte des Volkes Israel sieht man das sehr schön: Die Menschen haben sich die Glaubensgeschichten ihrer Urväter erzählt. Wann wer mit Gott gesprochen hat, welche Zusage er bekommen hat und ob die sich tatsächlich erfüllt hat“, sagt Lammering. Gerade auch in der Zeit des Exils habe das Volk Israel in die eigene Geschichte zurückgeblickt – und daraus Hoffnung geschöpft. „Die Urväter wurden zu Vorbildern. Bei ihnen ist es gut ausgegangen. Dann wird es auch für uns jetzt eine Perspektive geben“, sagt sie.
Vorbilder nicht absolut setzen
Dennoch müsse man bei Vorbildern auch vorsichtig sein. „Man muss mit beiden Füßen auf dem Boden stehen und sich immer selbst vergewissern, ob das Vorbild noch zum eigenen Leben und Denken passt“, sagt Lammering. Besonders gefährlich könne es werden, wenn das Vorbild eine Person ist, die noch lebt und die sich in krude Ideen verirrt oder in Extreme schlägt. „Dann muss man schauen, dass man sich inhaltlich davon distanziert und sich diese Scheibe von dem Menschen nicht abschneidet – ohne den Menschen aber komplett zu verwerfen“, sagt Lammering.
Ebenso gefährlich sei es, das Vorbild absolut zu setzen. „Wenn man selber danach strebt, wie jemand anderes zu sein, verliert man aus dem Blick, selbst zu sein“, sagt die Theologin. Menschen zu vergöttern, sei falsch. „Gott hat uns als die gemacht und berufen, die wir sind. Jeden individuell. Wenn wir uns aufgeben und anderen nacheifern, dann sind wir nicht mehr die, als die er uns gedacht hat.“
Vorbilder als Mutmacher, Hoffnungsboten und Orientierungshilfe im Leben – war Paulus für die jungen Gemeinden all das? „Ja. Er ist Jesus selbst noch begegnet. Er hat gebrannt für das, was er gemacht hat“, sagt Lammering. „Paulus war ein gutes Vorbild.“