Die Kabarettistin Luise Kinseher über ihren Glauben

"Ich weiß: Gott ist da"

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Sie spricht über Geld, Freiheit und Glück: Die Kabarettistin Luise Kinseher scheut keine großen Themen. Ihr Gottvertrauen gibt ihr dazu die Sicherheit. Mit ihrer Kirche hat sie oft gehadert, an ihrem Glauben aber nie gezweifelt.

Foto: Martina Bogdahn
„Wichtig ist nur, dass sich was ändert“, sagt Luise Kinseher über das Kabarett – und wünscht sich Veränderung auch für die Kirche. Foto: Martina Bogdahn

Von Kerstin Ostendorf

2017 hat Luise Kinseher darüber nachgedacht, aus der Kirche auszutreten. Damals wurde das Ausmaß des Missbrauchs bei den Regensburger Domspatzen bekannt. „Als ich lesen musste, wie viel manche Kinder dort leiden mussten, wie viel Böses ihnen passiert ist, da habe ich richtig weinen müssen“, sagt sie. Das habe sie sehr mitgenommen, weil sie Chormusik so mag und mit der Musik der Domspatzen aufgewachsen ist. Und doch ist sie in der Kirche geblieben. „Die Lehre Jesu Christi, mein Glaube, ist so tief in mir verankert. Das gehört zu meiner Person, zu meinem Menschsein und geht auch nicht wieder raus“, sagt sie. 

Die Kabarettistin Kinseher (53) lebt in München und tritt auf Bühnen in ganz Deutschland und im Fernsehen auf. Sie spricht über Geld und Glück, Freiheit und Heimat. Sie nimmt die bayerische Politik aufs Korn und schaut mit einem liebevoll-ironischen Blick auf menschliche Schwächen und die Absurditäten des Alltags. Einzig über den Glauben spricht sie in ihren Stücken nicht. „Religion und Glaube gehen so tief in die Seele des Menschen. Darüber möchte ich keine Witze machen“, sagt Kinseher. „Die Gefahr, dass ich jemanden verletze, ist dabei viel zu groß.“ 

Natürlich kritisiere sie den Papst oder die Institution Kirche, aber die Spiritualität selbst eigne sich nicht fürs Kabarett, sagt sie. Für ihre innere Haltung auf der Bühne aber seien ihre Spiritualität und ihr Glaube ihr wichtig, sagt sie. Sie will nicht sarkastisch, zynisch oder bissig auftreten: „Ich möchte analytisch, zweifelnd, manchmal ein bisschen anklagend, aber immer liebevoll auf unsere Unzulänglichkeiten, unsere Bemühungen, unser Tun und Scheitern blicken.“ 

„Als Kind bin ich ein Jesus-Fan gewesen“

Aufgewachsen ist sie in Geiselhöring, südöstlich von Regensburg. „Als Kind bin ich ein richtiger Jesus-Fan gewesen“, sagt sie. Immer sonntags sei sie mit den Eltern in den Gottesdienst gegangen. „Und ich habe damals schon im Herzen etwas gespürt, das mich zur Kirche zog. Etwas, das ich einfach gut fand, das mich begeistert hat. Dieser Gedanke, dass ich da jemanden habe, zu dem ich beten kann, hat mir Trost und Sicherheit gegeben.“

Als sie älter wurde, habe sich in ihr aber immer mehr Widerstand gegen die Kirche aufgebaut. „Es gab eine große Diskrepanz zwischen dem, was ich als Kind an Liebe gegenüber Gott und Jesus empfand, und dem, was ich mit Ordensschwestern und Pfarrern im Kindergarten und in der Schule erlebt habe“, sagt Kinseher. Damals, Mitte der 70er Jahre, hätten Geistliche Kinder noch gezüchtigt und geschlagen.

Sie selbst hat als Kindergartenkind ein Bestrafungsritual durchmachen müssen. „Ich war ja so Jesus-infiltriert und wollte immer Gutes tun“, erinnert sie sich. Als sie sah, dass ein jüngeres Kind auf einen Tisch klettern wollte, half sie ihm. Doch das Kind fing an zu weinen. „Die Klosterschwester dachte, ich hätte dem Kind mutwillig wehgetan“, sagt Kinseher.

Alle Kinder hätten sich in einem Kreis aufgestellt und sie habe sich in die Mitte stellen müssen. „Die Schwester hat mich geschüttelt, beschimpft, auf den Boden geschmissen. Ich musste aufstehen und sie hat mich wieder auf den Boden geworfen“, sagt Kinseher. „Das hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt und geht nie wieder weg.“

Sie sei der Ordensfrau nicht böse, aber das Erlebte verfolge sie bis heute. „Seitdem bin ich vorsichtig geworden. Ich habe immer im Kopf, dass ich für Handlungen bestraft werden könnte, die ich nicht begangen habe. Insofern bin ich davon traumatisiert“, sagt Kinseher. 

Und dennoch hat sie an ihrem Glauben nie gezweifelt: „Ich weiß unverrüttelbar: Gott ist da. Ich kann das nicht wissenschaftlich beweisen. Das kann jeder nur in sich selbst finden.“ Deswegen ist es ihr auch egal, wenn Menschen an nichts oder an andere Dinge glauben: „Auch wenn wir es selber nicht erkennen, ist Gott da. Selbst wenn wir es gar nicht vermuten oder wollen. Da vertraue ich ganz auf ihn.“

Mit dieser Gewissheit geht sie auch auf die Bühne. „Mein Gottvertrauen hilft mir und hat ganz viel mit meiner inneren Sicherheit, mit Gelassenheit und Ruhe zu tun“, sagt Kinseher. Gleich zu Beginn ihrer Bühnenkarriere sei ihr ein Programm völlig misslungen. „Ich war da auf einem Ego-Trip, wollte mich selber verwirklichen und habe nicht an das Publikum gedacht. Es waren völlig verkopfte Stücke. Das hat überhaupt nicht funktioniert“, sagt Kinseher. In dieser Zeit habe sie oft geweint, vor den Auftritten, in der Pause, danach: „Aber ich blieb dabei. Und ich glaube, dass mich in diesen dunk-len Zeiten der Geist von Jesus Christus geführt hat.“

„Dafür müsste ich 300 Jahre alt werden“

Foto: Martina Bogdahn
Nicht trennen, sondern verbinden: Luise Kinseher will auf der
Bühne die Menschen humorvoll zum Nachdenken bringen.
Foto: Martina Bogdahn

Gerade arbeitet sie an einem neuen Programm, das im Herbst fertig sein soll. Darin will sie eine gesellschaftliche Bestandsaufnahme schaffen: Wo kommen wir her – wo gehen wir hin? „Es geht um Veränderung und Transformation, um Egoismus und Solidarität, um den Klimawandel, das Artensterben und die Frage, was wir aus der Pandemie gelernt haben“, sagt Kinseher. 

Einen Wandel beobachtet sie auch beim Kabarett. Früher habe man etwas auseinandergenommen und satirisch niedergemacht. Das Kabarett der Zukunft müsse eine andere Aufgabe erfüllen. „Es darf nicht trennen, sondern muss verbinden. Es muss humorvoll sein und dafür sorgen, dass wir gemeinsam über uns lachen können. Das hat etwas Befreiendes und öffnet die Herzen“, sagt Kinseher. „Momentan sind wir noch zwischendrin – mit einem Fuß im Alten, mit dem anderen schon im Neuen. Das ist auch gut so. Wir probieren aus. Wichtig ist nur, dass sich was ändert.“

Das wünscht sie sich auch für die katholische Kirche. „Die Kirche hat sich von den Menschen entfernt“, sagt Kinseher. Es gehe nicht nur um die vielen Missbrauchsfälle und den falschen Umgang mit den Tätern: „Die Menschen verstehen die Kirche nicht mehr, ihre Sprache, ihre Rituale und ihre Struktur.“ Kinseher wünscht sich, dass es gelingt, dieses System zu erneuern, dass die Kirche offen und einladend für alle Menschen wird. „Wenn ich mit meiner Aufgabe als Kabarettistin fertig wäre, dann würde ich, wenn ich dürfte, Pfarrerin werden“, sagt sie und lacht. „Aber ich glaube, da müsste ich 300 Jahre alt werden, um das zu schaffen.“