Impuls zum Sonntagsevangelium am 25. Juni 2023
Ihr Leben für andere
Foto: wikicommons/Józef Ulma
Sie kamen im Morgengrauen: Als der 24. März 1944 über dem Dorf Markowa im Südosten Polens heraufdämmerte, umstellte eine Patrouille der deutschen Besatzer das Haus von Józef und Wiktoria Ulma. Die deutschen Gendarmen und ein paar ukrainische Hilfspolizisten holten eine jüdische Familie heraus, die hier in den letzten beiden Jahren Zuflucht gefunden hatte. Mit Schüssen in den Hinterkopf töteten sie den fast achtzigjährigen Kaufmann Chaim Goldman, seine Söhne, seine Töchter und seine Enkelin.
„Da, schaut nur zu“, rief einer der Besatzer den herbeigeeilten Dorfbewohnern zu, „so sterben polnische Schweine, die Juden helfen!“ Anschließend richteten sie den Obstbauern und Imker Józef Ulma (44) und seine im siebten Monat schwangere Frau Wiktoria (32) hin.
Augenzeugen berichteten, der Kommandant der Polizeiaktion, Eilert Dieken, sei etwas verlegen vor den Leichen gestanden, während die Kinder des Ehepaars, die das Massaker mit angesehen hatten, weinten und panisch schrien. Dann wandte er sich an die umstehenden Dorfbewohner, sagte ihnen zynisch „Ihr werdet jetzt wohl keine Probleme haben wollen?“, und die Gendarmen erschossen die achtjährige Stanislawa Ulma, die siebenjährige Barbara, ihre Brüder Władysław (6), Franciszek (4) und Antoni (3), ein Kind nach dem anderen, und ganz zuletzt die zweijährige Maria. Danach begannen die deutschen Polizisten und ihre ukrainischen Helfer zu trinken und teilten sich den Schmuck aus dem Haus ihrer Opfer.
Die Bibel, in der die Geschichte vom barmherzigen Samariter mit Unterstreichungen markiert war, hatten sie nicht entdeckt. Józef Ulma, ein vielseitig interessierter Landwirt und Obstbauer, der von seinen Mitbürgern oft um Rat gefragt wurde und die lokale Geschichte mit der Kamera dokumentierte, war praktizierender Katholik und in einem katholischen Jugendclub tätig.
Garten mit Obstbäumen für die Ulmas
Wie man inzwischen weiß, sind die Ulmas damals von ihren Mitbürgern im Dorf gedeckt, aber nach eineinhalb Jahren von einem Angehörigen der polnischen Hilfspolizei („blaue Polizei“) namens Włodzimierz Leś aus einem Nachbarort denunziert worden. Eine dort versteckte jüdische Familie hatte Leś ihren Besitz anvertraut; er fürchtete offenbar, diesen nach einem Ende der deutschen Besatzung und der Judenverfolgung zurückgeben zu müssen. Ein halbes Jahr nach dem Massaker in Markowa richtete die polnische Untergrundbewegung den Kollaborateur hin. Einer der Besatzer, der auf die Kinder der Ulmas geschossen hatte, wurde nach dem Krieg erst zum Tod und dann zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt; er starb während der Haft.
Der polnische Staat hat im Jahr 2016 im Dorf Markowa eine Gedenkstätte für Familie Ulma errichtet, die gleichzeitig der Erinnerung an alle Polen dienen soll, die während des Zweiten Weltkriegs Juden gerettet haben. Zur Gedenkstätte gehört ein Garten mit Obstbäumen, der an die gärtnerische Begeisterung von Józef Ulma erinnert – er war bekannt für seinen Erfindungsgeist bei der Veredelung von Apfelsorten.
Bei der Einweihung der Gedenkstätte legte Staatspräsident Andrzej Duda ein flammendes Bekenntnis zu Brüderlichkeit ab. Duda sagte: „Jeder, der Hass unter Völkern und antisemitische Parolen verbreitet, der tritt das Grab der Familie Ulma mit Füßen. Kein aufrichtiger Rechtsstaat darf nationale Phobien und Fremdenhass tolerieren.“
Es sind wenige kritische Stimmen, die von einer Instrumentalisierung der Märtyrerfamilie sprechen und kritisieren, dass zugunsten einer nationalen Legende – alle Polen seien tapfere Helden und Judenfreunde gewesen – die weniger schöne Seite der Zeitgeschichte ausgeblendet wurde: Kollaboration mit den Besatzern und antisemitische Attacken.
Ein Beispiel für die Treue zu Gott und seine Gebote, für die Liebe zum Nächsten und für die Achtung vor der Menschenwürde. (Papst Franziskus über Familie Ulma)
In der Tat haben allein im Vorkarpatenland nach Angaben von Historikern mindestens 1600 Polen an die 2900 Juden versteckt; rund 200 Polen haben das mit dem Leben bezahlt. Der Staat Israel hat bisher mehr als 7200 Polen für dieses Engagement ausgezeichnet und ihre Namen als Gerechte unter den Völkern in die Gedenkstätte Yad Vashem aufgenommen – so viele wie aus keiner anderen Nation.
Skeptiker weisen freilich darauf hin, dass sich nicht wenige freundliche Nachbarn ihre Hilfe gut bezahlen ließen. Die Bewohner des Dorfes Jedwabne, die am 10. Juli 1941 alle ihre jüdischen Mitbürger in eine Scheune trieben und diese anzündeten, taten das aus eigenem Antrieb, ohne deutsche Anstifter. Wer heute in Polen Details darüber veröffentlicht, gilt schnell als Nestbeschmutzer.
Für die kirchlichen Behörden war wichtig, ob die Ulmas als Märtyrer, also für ihren Glauben gestorben sind. Das bescheinigte ihnen Papst Franziskus bereits vor einigen Jahren, als er sie „ein Beispiel für die Treue zu Gott und seine Gebote, für die Liebe zum Nächsten und für die Achtung vor der Menschenwürde“ nannte. Und so wird Kurienkardinal Marcello Semeraro am 10. September in das Dorf im Karpaten-Vorland fahren und die Ulmas im Auftrag des Papstes seligsprechen.
Seligsprechung für ein ungeborenes Kind
Sieben der neun Seligsprechungskandidaten in Markowa sind Kinder – darunter das ungeborene Kind der ermordeten Familienmutter. Damals im März 1944 wurde erzählt – die Berichte sind nicht einheitlich –, die im siebten Monat schwangere Wiktoria Ulma habe unter den Todesschüssen ihr Kind verloren.
„Das Spannende ist“, gab ein im Seligsprechungsprozess engagierter Priester zu bedenken, „dass man hier den tiefen Wunsch eines jeden Menschen nach dem Leben sieht, den Wunsch, auf die Welt zu kommen. Die vatikanische Kongregation hat dieses ungeborene, namenlose und ungetaufte Kind in den Prozess einbezogen.“