Heilig-Geist-Kirche in Braunschweig-Lehndorf
Im Rausch der Farben
Die Heilig-Geist-Kirche in Braunschweig-Lehndorf ist eine Schatzkammer der Nachkriegsmoderne. Wir stellen sie in Teil vier unserer Serie vor.
Das ist ganz großes Kino. Das Farbenspiel im Innern der katholischen Heilig-Geist-Kirche in Braunschweig-Lehndorf ist überwältigend. Wie in einer mittelalterlichen Kathedrale öffnet sich im Chorraum ein Fenster in eine andere Welt. Die Strahlkraft dieser bodentiefen Fensterbahnen prägt das gesamte Kirchenschiff, der Farbverlauf wird heller, je stärker sich der Blick himmelwärts nach oben richtet. Dargestellt sind die drei Elemente Wasser, Feuer und Luft, sie symbolisieren den Heiligen Geist in Form von Flammen, Dreiecken, Fischen, Vögeln, Linien und Kreisen. Geschaffen hat dieses Bildprogramm der renommierte Kölner Glasmaler und Kirchenbaumeister Dominikus Böhm, der Vater des ebenso berühmten Architekten Gottfried Böhm, der jüngst verstorben ist. Diese eindrucksvolle Erzählweise setzt sich in den Rundbogenfenstern fort, im Hauptschiff finden sich die Motive, die der Luft zugeordnet werden, im Seitenschiff die Symbole, die für Feuer und Wasser stehen. In der Fensterrosette an der Straßenfront steigert sich die dynamische Leuchtkraft. Sobald das Licht auf die Scheiben fällt, beginnen sie zu predigen.
Das katholische Gotteshaus wurde 1952 nach den Plänen des Architekten Fritz Hauk fertiggestellt, Bauherr war der künstlerisch gebildete Geistliche Peter-Paul Urbanczyk. Zuvor hatte die wachsende Gemeinde die Gottesdienste noch in einer Notkapelle gefeiert, nun konnte sie in eine Kirche umziehen, die im Innern nach allen Regeln der Kunst ausgestattet wurde. Die Heilig-Geist-Kirche in Braunschweig-Lehndorf ist eine Schatzkammer der Nachkriegsmoderne. Neben Dominikus Böhm war der Kölner Bildhauer Toni Zenz an der künstlerischen Ausstattung beteiligt.
Zenz schuf auch den neuen Altar, der 1968 im Zuge der Umgestaltung des Altarraums nach dem 2. Vatikanischen Konzil hier seinen Platz hat. Ein schmaler, freistehender Blockaltar aus poliertem Blaustein, einem blauschwarzen Marmor, mit eingelassenen Rundungen, der Ambo ist aus Schiefer. Das Lesepult in Form eines Adlers ist noch in den 1950er Jahren realisiert worden, der Künstler greift hier auf mittelalterliche Vorbilder zurück, der Adler symbolisiert den Evangelisten Johannes, zugleich aber ist er ein Symbol für Christi Himmelfahrt oder ein Sinnbild des sieghaften Christus.
Vollkommen neue Wege wiederum ging Toni Zenz 1954 mit der Bronze-Plastik Christus und Ekklesia im Altarraum. Überlebensgroß schwebt sie über dem Altar, getragen von einer stilisierten Taube. Dargestellt ist Christus mit einer weiblichen Person, Ekklesia, als personifizierte Kirche. Christus breitet die Arme aus, seine Hände und Füße zeigen die Wundmale. Ekklesia im langen Gewand hält ihre Hände zu seinem Herzen hin geöffnet, auf den ersten Blick könnte auch die Gottesmutter Maria gemeint sein. Die Plastik stellt die innige Verbundenheit zwischen Christus und seiner Kirche, der Gemeinde, dar. Mehr noch, seine geöffneten Arme schließen zeichenhaft auch diejenigen ein, die außerhalb stehen. Hier wirkt die Kunst wie ein Seismograf, denn das Motiv nimmt die Theologie des II. Vatikanums auf eigene Weise vorweg. Diese eindrucksvolle Plastik gilt als eines der Hauptwerke des Bildhauers Toni Zenz, für den Kunsthistoriker Bastian Müller gehört das Werk in der Heilig-Geist-Kirche in Braunschweig-Lehndorf „mit seiner verdichteten Ikonografie zu den außergewöhnlichsten und überzeugendsten Altarbilder der Nachkriegszeit“ – auch über das Bistum Hildesheim hinaus. Bemerkenswert ist der Kreuzweg aus quadratischen Emailleplatten, die Szenen sind dort in Form von Intarsien eingearbeitet, Hinweise auf den Künstler dieser grafisch gestalteten Figuren gibt es nicht.
Knapp zehn Jahre nach dem Bau der Kirche wurde auch der Turm errichtet, aus Kostengründen musste dieses Projekt zunächst vertagt werden. Den Entwurf des weiß verputzten Rundbaus mit den plastisch gestalteten Rundfenstern und Schalluken stammt ebenfalls von Toni Zenz. Die Taube, die diesen ungewöhnlichen Turm bekrönt, stammt von Walter Prinz, einem Kollegen des Bildhauers. Der runde Turm ist über einen Zwischenbau mit dem Kirchenschiff verbunden, der führt zur Taufkapelle, die im Turm ihren Platz hat, Zenz hat auch den zylindrischen Taufstein gestaltet. Heute wird die Taufkapelle nicht mehr genutzt, dennoch lohnt sich ein Blick in diese kleine Turm-Kapelle, wenn das Licht durch die runden farbigen Glasfenster fällt. In der Heilig-Geist-Kirche in Braunschweig-Lehndorf gibt es unglaublich viel zu entdecken, dazu gehört auch der Türdrücker an dem ansonsten schmucklosen Kirchenportal. Innen wie außen ist er als Schlangenkopf geformt, mit einem Apfel im Maul, ein Verweis auf die Botschaft des Evangeliums. „Vom Baum des Paradieses kam der Tod, vom Baum des Kreuzes erstand das Leben.“
Die Kirche ist zu den Gottesdienstzeiten geöffnet. Anfragen unter (0531) 522 25.
Karin Dzionara
Nachkriegsmoderne
Zu kühl, zu beliebig, zu viel Beton? Nie zuvor wurden so viele Kirchen gebaut wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch diese Gotteshäuser sind längst nicht so beliebt wie die mittelalterlichen Kathedralen. Nun ist man vielerorts dabei, die oft auch verborgene Schönheit moderner Kirchenbauten wieder zu entdecken. Viele von ihnen standen damals für einen religiösen Aufbruch. In einer kleinen Serie stellen wir Ihnen einige spannende Beispiele der Nachkriegsmoderne vor.