Autofasten – jetzt auch auf dem Land

Jeder Kilometer ist ein Gewinn

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Autofasten – geht das auch auf dem Land? Erstmals organisieren die Kirchen die Fastenaktion im Odenwald. Dort gibt es seit dem Herbst ein originelles Verkehrssystem. Dekanatsreferent Cyriakus Schmidt probiert es gerade aus. Von Anja Weiffen.

Dekanatsreferent Cyriakus Schmidt steht zum Autofasten im Dekanat Erbach. | Foto: privat
Dekanatsreferent Cyriakus Schmidt steht zum Autofasten im Dekanat Erbach.
Foto: privat

Wälder, Felder, Hügel und Orte wie Lützelwiebelsbach. „Zwischen Erbach und Höchst fahren regelmäßig Busse“, weiß Cyriakus Schmidt. Aber Lützelwiebelsbach? Wie ohne Auto in den 3000-Seelen-Ort fern der Bundesstraßen kommen? Zumal Schmidt nicht mit leeren Händen an der Bushaltestelle stehen würde.

„Wenn ich nur ein Laptop dabei hätte, wäre Busfahren kein Problem. Aber sobald ich noch eine Leinwand und eine Kabeltrommel mitnehme, komme ich im Odenwald um das Auto nicht herum“, erklärt der Dekanatsreferent im Dekanat Erbach.

Den Bus nehmen oder bei anderen mitfahren

Seit einigen Jahren versucht Cyriakus Schmidt in der Fastenzeit, so oft wie möglich das eigene Auto stehen zu lassen. Dieses Jahr ist für den Dekanatsreferenten alles anders. Denn diesmal organisiert das katholische Dekanat das Autofasten. Weitere Partner sind das Bistum Mainz, die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und die Odenwald-Regional-Gesellschaft mbH, kurz OREG. Erstmals findet die Fastenaktion, die es seit mehr als 20 Jahren in Deutschland gibt, im Odenwaldkreis statt.

Mit ein Grund für diese Premiere ist das neue Verkehrssystem „garantiert mobil!“. Im Herbst 2017 führte die Verkehrsgesellschaft OREG das System ein. Nutzer von „garantiert mobil!“ kommen nicht nur mit den gewöhnlichen Linienbussen durch den Odenwald. Überall dort, wo das Liniennetz schlecht ausgebaut ist, kann man Sammeltaxis rufen oder – das ist neu – bei Privatleuten mitfahren. Jeder, der fahren muss, ob Pendler oder Handwerker, kann seine Fahrten bei „garantiert mobil!“ zum Mitfahren anmelden.

Auch Cyriakus Schmidt hat bereits Einzelfahrten angeboten. Auch wenn sich bisher bei ihm noch niemand auf die Angebote gemeldet und er auch noch kein passendes Angebot gefunden hat, um selbst mitzufahren, sei das Mitfahren im Auto eine gute Alternative zum Busfahren. „Jeder, der sich als Anbieter anmeldet, kann angeben, dass er zudem noch Platz im Kofferraum hat oder noch weitere Sitze im Auto zur Verfügung stellt. Wer Material zu schleppen hat wie ich mit Leinwand und Kabeltrommel, hat so Möglichkeiten zum Transport“, erläutert Schmidt.

Das Originelle an „garantiert mobil!“ ist, dass hier verschiedene Systeme miteinander vernetzt sind: Linienbusse und -bahnen, Ruf-Sammeltaxis sowie die angemeldeten Privatautos. In einem Informations- und Buchungsportal können Nutzer ihre gewünschte Fahrt anfragen. Dann „spuckt“ der Computer die passende Verbindung aus. Smartphone-Nutzer erhalten ihre Verbindung über die App. Wer kein Internet hat, kann täglich bis 22 Uhr per Telefon Fahrten buchen. Ziel sei es nicht, beliebig viele Fahrmöglichkeiten zu schaffen, sondern Mobilität im Odenwaldkreis zu garantieren. Das System steckt jedoch noch in den Kinderschuhen. Die OREG teilt im Internet mit, dass sich bis Jahresende 2017 zwar circa 200 Kunden im Buchungsportal als Fahrgäste beziehungsweise Fahrtanbieter registriert hätten. Rund 150 Fahrtangebote seien im Internet abrufbar. Ernüchternd sei jedoch, dass bisher wenig Mitnahme- oder Sammeltaxi-Fahrten gebucht werden. Die OREG führt dies darauf zurück, dass „garantiert mobil!“ noch zu wenig bekannt sei.

Das Verkehrssystem im Odenwald bekannt zu machen, dazu soll auch das Autofasten beitragen. Die Initiative zur Fastenaktion im Odenwald kam von Alois Bauer, Leiter des Referats Weltmission/Gerechtigkeit und Frieden im Bischöflichen Ordinariat in Mainz, zusammen mit Dr. Hubert Meisinger, Referent für Umweltfragen im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN.

„Manche werden sich wundern“

„Wir hatten Kritik von kirchlichen Mitarbeitern bekommen, dass das Autofasten auf dem Land schwer zu bewerben sei“, sagt Bauer.
Autofasten, so die Kritiker, sei nur etwas für Ballungsräume, wo der ÖPNV gut ausgebaut ist und es Car-Sharing-Angebote gibt.

„Diese Kritik wollten wir ernst nehmen und modellhaft das Autofasten auch auf dem Land möglich machen.“ Wie gerufen kam Bauer, dass das Dekanat Erbach die Umwelt-Enzyklika „Laudato si“ als Schwerpunkt bearbeitet und sehr offen für das Autofasten ist. Ein Glücksfalls zudem die kürzliche Einführung von „garantiert mobil!“.

Dass das neue Odenwälder Verkehrssystem hessenweit einzigartig ist, bestätig Heiko Nickel, verkehrspolitischer Sprecher vom Verkehrsclub Deutschland (VCD), Landesverband Hessen. Er betont, dass solche Systeme den ÖPNV gut ergänzen. „Sie dürfen aber nicht dazu dienen, das Liniennetz auszudünnen.“ Das Autofasten findet Nickel eine schöne Sache. „Da werden sich manche wundern, wie sich der ÖPNV in den vergangenen Jahren verbessert hat.“ Das stellt auch Cyriakus Schmidt fest, der seit acht Jahren im Odenwald lebt. Für längere Strecken nutzt er regelmäßig die Bahn und hat jetzt die Stadtbusse in Bad König für sich entdeckt. „Mir geht es nicht um den totalen Verzicht aufs Auto. Das ist im Odenwald nicht machbar. Aber jeder Kilometer, den ein Auto nicht fährt, ist ein Gewinn.“

Wer im Odenwald am Autofasten teilnimmt, bekommt ein Startguthaben von 10 Euro.
Infos:
www.autofasten.de;
www.odenwaldmobil.de

 

Meinung: Umsteigen bitte!

Maria Weißenberger, Redakteurin Foto: privat
Maria Weißenberger,
Redakteurin, Foto: privat

Ohne Auto zurechtzukommen, das wird einem nicht leicht gemacht: Was in städtischen Gefilden noch einigermaßen machbar ist (der ÖPNV dürfte gern überall auf einen 10- bis 15-Minuten-Takt ausgebaut werden), bringt einen im ländlichen Raum schnell an Grenzen. Da erreiche ich manches Ziel nur dadurch, dass es liebe Menschen gibt, die mich mit dem Auto am nächstgelegenen Bahnhof abholen. Dass sich mehrere Partner zusammentun, um verschiedene Systeme zu vernetzen, ist lobenswert. Kann dies doch dafür sorgen, dass immer mehr Autos, wenn schon nicht abgeschafft, so doch immer öfter stehen bleiben können. Da braucht es „nur noch“ Menschen, die bereit sind, „eingefahrene“ Gewohnheiten aufzugeben und Neues zu probieren. Oft liegt es nicht nur daran, dass die Alternativen zum Auto nicht bekannt wären. „Umsteigen“ ist halt nicht gerade bequem.