Jahresthema des Deutschen Caritasverbands 2018
Jeder Mensch braucht ein Zuhause
„Jeder Mensch braucht ein Zuhause“: So heißt das Jahresthema des Deutschen Caritasverbands 2018. Warum kümmert sich die Kirche ums Wohnen? Gibt es politische Forderungen?
Die Kirchenzeitung hat drei Praktiker aus der Region gefragt: eine Expertin für die Situation von Familien, einen Wohnraumbeschaffer für sozial Schwache und einen Caritas-Direktor. Antworten.
„Als Christen für eine bessere und gerechtere Gesellschaft eintreten“
Warum engagieren sich Christen für Menschen in Wohnungsnot? Eine Antwort von Marcus Krüger.
Das ist eine sehr spannende Frage. Zum Engagement für Menschen in Wohnungsnot gehört für mich auch das Eintreten für eine bessere und gerechtere Gesellschaft.
Der Dienst an unseren Nächsten, den Menschen in unserer Gesellschaft die unserer Hilfe am dringendsten bedürfen, ergibt sich für mich direkt aus dem Evangelium. In Matthäus 25, 35 sind die Obdachlosen ja sogar explizit benannt: „Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen“. Ergänzen könnte man hier noch die Anwendung der „Goldenen Regel“ (7,12) und die herausragende Rolle des Gebots der Nächstenliebe (22,39).
Die Kirchen fördern das konkrete soziale Engagement für Menschen in Wohnungsnot und für Flüchtlinge in vielfältiger Form. Das ist gut so. Handelt es sich doch um einen ganz zentralen Glaubensinhalt des Christentums. Durch die Tat in der konkreten Begegnung zwischen Menschen erst wird der christliche Glaube erfahrbar.
Beim Thema Gerechtigkeit sieht es für mich etwas anders aus. Für die Bekämpfung und Überwindung von Armut – und dazu gehört auch Wohnungsnot – engagieren sich noch zu wenige Menschen in unserer Gesellschaft und auch die beiden Kirchen in Deutschland tun sich hier schwerer, als zum Beispiel bei der Ausgabe von Kleidung und Nahrung an Bedürftige. Papst Franziskus tritt immer wieder aktiv und grundsätzlich für Gerechtigkeit ein. Von den Menschen und den Kirchen in Deutschland wird Wohnungsnot als ein Übel wahrgenommen und benannt. Aber es fehlt an konkreten Handlungsoptionen und den notwendigen politischen Schritten zur Überwindung dieses Übels. Oft bleibt es bei Betroffenheit.
Aus meiner persönlichen Sicht, und so haben wir es als Ökumenische Wohnhilfe seit 1991 versucht zu praktizieren, braucht es immer beides: Der Dienst am Nächsten ist die Grundlage unseres Handelns – Beratung, Zuwendung, Vermeidung von Obdachlosigkeit, Wohnungsvermittlung, Schaffung von neuem Wohnraum – und das konsequente Eintreten für Gerechtigkeit auf Grundlage der katholischen Soziallehre und des Capabilty-Ansatzes von Martha Nussbaum und Amartya Sen mit dem Ziel, die sozialen Rahmenbedingungen für alle Menschen nachhaltig zu verbessern.
Als Wohnhilfe erfahren wir hierbei sowohl Zustimmung, stoßen aber in den letzten Jahren auch zunehmend auf Widerstand. Gleichzeitig wissen wir, dass sich unsere Gesellschaft und unser Wirtschaftssystem verändern müssen, um die Teilhabe aller an den Grundbedürfnissen, und dazu gehört auch eine bezahlbare Wohnung, zu ermöglichen. Hier würde ich mir ein wirksames und entschiedeneres Eintreten beider Kirchen in Deutschland wünschen.
Marcus Krüger ist Geschäftsführer der Ökumenischen Wohnhilfe im Taunus e.V. mit Sitz in Hofheim.
„Bedürftigen Menschen wieder eine Chance geben“
Wie sieht die Lage auf dem Wohnungsmarkt für Familien in einem Ballungsraum wie Offenbach aus? Wie kümmert sich die Caritas um das Thema? Eine Antwort von Anette Bacher.
Offenbach ist eine stetig wachsende kleine Großstadt. Im Jahr 2017 ist ihre Einwohnerzahl um fast 2000 Neubürger angewachsen. Hierunter auch viele Familien.
Der Wohnungsmarkt ist trotz emsiger Bautätigkeit sehr angespannt, denn die Mietpreise der Neubauten liegen selten unter zehn Euro pro Quadratmeter.
Da Offenbach durch seine ehemalige Industrie schon eine lange Migrations-geschichte hat, leben überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationshintergrund hier, und es ziehen weitere nach.
Somit steigt der Anteil der Familien kontinuierlich.
Doch es fehlt an passend großen Wohnungen für Familien, oft mit fünf bis sieben Personen. Aber auch kleinere junge Familien, die sich gründen und Kinder bekommen, haben es zunehmend schwer, bezahlbaren Wohnraum
zu finden. Oft müssen sie lange Zeit in beengten Verhältnissen leben, bekommen Ärger mit dem Vermieter, der seine Zwei-Zimmer-Wohnung nicht weiter an eine Familie mit vier Personen vermieten möchte.
Problematisch wird es auch für Familien im SGB2-Leistungsbezug (Sozialgesetzbuch), deren heranwachsende Kinder nicht den Anforderungen des Jobcenters nachkommen und deren Leistungen bis in deren Mietanteil hineingekürzt werden. Hier kommt es zu Mietschulden, und die eine oder andere Familie landet in der Notunterkunft. Eine Überforderung für die Familie und den/die Jugendlichen.
Aus diesem Grund ist so manch Vermieter nicht bereit, an Leistungsempfänger zu vermieten, und reguliert dies von vornherein über den Mietpreis. Wir von CariJob unterstützen Menschen im SGB2-Bezug bei der Wohnungssuche.
Die Wohnungssuchenden, die in Notunterkünften leben, sind am Tiefpunkt ihres gesellschaftlichen Abstiegs angekommen. Sie wollen etwas ändern und werden durch unsere Fallmanager umfassend unterstützt und beraten. Durch zuverlässige Zusammenarbeit mit privaten Vermietern und Baugesellschaften, ist es uns möglich, unseren Klienten – auf dem heiß umkämpften Markt – Chancen auf eine Wohnung zu eröffnen. Mittlerweile kommen Vermieter auch auf uns zu und bieten uns zuerst ihre Wohnung an.
Sie wissen, dass wir auch nach Mietvertragsunterzeichnung für Mieter und Vermieter als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, und sie möchten gerne bedürftigen Menschen wieder eine Chance bieten. So konnten wir mit CariJob in den vergangenen drei Jahren 74 Wohnungen an Singles und Paare und 70 Wohnungen an Familien, die zuvor in Notunterkünften untergebracht waren, vermitteln.
Das Projekt wird durch das Jobcenter finanziert, denn mit einer Adresse einer Notunterkunft findet sich nur schwer Arbeit.
Anette Bacher arbeitet in der Bereichsleitung CariJob im Caritashaus St. Josef in Offenbach.
„Wohnen darf in Hessen keinesfalls zum Luxusgut werden“
Warum ist Wohnen ein Thema für die Caritas? Welche politischen Forderungen verbindet die Hessen-Caritas damit? Antworten von Dr. Markus Juch.
Die Caritas als der Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche handelt gemäß dem christlich motivierten Grundsatz: Allen Menschen in Not soll – ungeachtet ihrer Herkunft, Nationalität oder Religionszugehörigkeit – Hilfe geboten werden. Dazu handelt die Caritas in Deutschland und Hessen immer bedarfsgerecht.
So beobachten wir etwa in Hessen ständig die aktuellen sozialen Entwicklungen und überprüfen gleichzeitig, ob die Caritas aus ihrer Erfahrung in der sozialen Arbeit heraus womöglich sozialpolitische Vorschläge machen kann, um rasch auf neue Notlagen zu reagieren.
Ein Beispiel dafür war der starke Flüchtlingszustrom ab 2015 nach Hessen, als die Hessen-Caritas vielerorts die Kommunen und poltischen Gremien durch Übernahme der Betreuung und Integrationsbegleitung von zig tausend dieser Neubürger unterstützte.
Ein starkes Augenmerk legt die Caritas derzeit auf Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Das Thema „Wohnen“ spielt dabei schon seit mehreren Jahren – und übrigens nicht erst seit der so genannten Flüchtlingskrise – eine ganz wesentliche Rolle.
Für unsere Mitarbeitenden in den Beratungsdiensten und Einrichtungen kristallisierte sich dabei ein Bild heraus, dass die eigene Wohnung in Deutschland für viele Menschen gar nicht mehr eine Selbstverständlichkeit ist: Immer mehr Personenkreise haben immer größere Probleme, für sich passenden und dabei auch bezahlbaren Wohnraum zu finden. Betroffen ist dabei keineswegs nur die klassische Caritas-Klientel der Überschuldeten oder der auf Dauer wohnungslosen Menschen. Es sind auch Familien mit mehreren Kindern, Menschen mit nur geringen Einkünften, Alleinerziehende, Studierende, Rentner…
In unserem reichen Land muss es aber bezahlbaren und angemessenen Wohnraum für alle geben – für entsprechende Rahmenbedingungen zu sorgen ist eine sozialpolitische Forderung der Caritas an die Regierung. Es gibt durchaus Steuermöglichkeiten wie Verstärkung des sozialen Wohnungsbaus, soziale Kriterien bei der Grundstücksvergabe, verbesserte präventive Zusammenarbeit zwischen kommunalen und politischen Schaltstellen sowie sozialen Institutionen wie der Caritas.
Ja: Auch die Hessen-Caritas will nicht nur Forderungen stellen, sondern konstruktiv mitarbeiten. In ihrer Landesarbeitsgemeinschaft „Soziale Sicherung“ beschäftigen sich Caritas-Experten intensiv mit gangbaren Lösungsansätzen.
Die Caritas ist in diesem Zusammenhang übrigens auch bereit, als Bauherr selbst für sozialen Wohnraum zu sorgen, wie sie das mit einem Wohnprojekt in Hünfeld gerade tut.
Wohnen darf in Deutschland und in Hessen keinesfalls zum Luxusgut werden – dazu will die Caritas mit ihrer Kampagne 2018 beitragen.
Dr. Markus Juch ist Caritas-Direktor im Bistum Fulda und derzeit Vorsitzender der Hessen-Caritas.