Zum Tag der Arbeit

Jeder Mensch will gebraucht werden

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1. Mai, Tag der Arbeit – klingt altbekannt. Doch in der Arbeitswelt wird gerade alles neu. Künstliche Intelligenz wird viele Jobs überflüssig machen. Für viele Menschen ist Arbeit aber existenziell wichtig. Was gibt ihrem Leben künftig Sinn?

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Da fliegen die Funken: Menschen wollen bei der Arbeit umsetzen, was sie gelernt haben. Sie wollen etwas beitragen zum Wohl der Gemeinschaft. Foto: istockphoto/franckreporter


Ständig gibt es neue Studien, die voraussagen, wie viele Menschen durch die Digitalisierung ihren Job verlieren werden. Sie unterscheiden sich stark: Manche gehen von 12 Prozent aus, andere von 47 Prozent. Fest aber steht: Die Arbeitswelt von übermorgen wird radikal anders aussehen als die Arbeitswelt von heute. Denn Künstliche Intelligenz entwickelt sich in atemberaubendem Tempo weiter – und könnte künftig auch Aufgaben übernehmen, von denen wir das bisher nicht gedacht hatten.

Computergesteuerte Maschinen können nicht mehr nur körperlich schwere oder monotone Arbeit erledigen, etwa an Fließbändern von Fabriken. Sie können auch schneller als jeder menschliche Händler Papiere an der Börse handeln. Sie können ohne Hilfe juristische Gutachten erstellen. Und sie lernen, weil sie weltweit vernetzt sind, ständig dazu. Immer mehr Jobs sind in Gefahr. Was bedeutet das für unsere Gesellschaft, in der sich viele Menschen über ihre Arbeit definieren? 

Der Wandel habe „gravierende Folgen“, glaubt Ursula Nothelle-Wildfeuer, Professorin für Christliche Gesellschaftslehre an der Uni Freiburg. Sie sagt: „Arbeit ist für die Menschen existenziell wichtig.“ Sie betont aber auch, Arbeit sei nicht alles: „Gerade wir Christen können deutlich machen: Es ist auch wertvoll und sinnstiftend, Verantwortung für die Familie zu übernehmen oder sich ehrenamtlich zu engagieren, für die Gesellschaft und den Erhalt der Schöpfung.“

Jeder soll sich künftig lebenslang weiterbilden

Viele hätten das erkannt, beobachtet Nothelle-Wildfeuer. Sie versuchten, anders als frühere Generationen, eine Balance zu finden zwischen Arbeit, Familie und Ehrenamt. Wenn massenhaft Jobs wegfielen, hätte die Gesellschaft trotzdem ein Problem. Weil die Arbeit Menschen Halt gibt: Sie wollen gebraucht werden. Sie wollen umsetzen, was sie gelernt haben. Sie wollen etwas beitragen zum Wohl der Gemeinschaft und ihrer Familie. Was, wenn sie das nicht mehr können – weil ihren Job ein Roboter übernimmt?

Manche Experten plädieren dafür, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen, um die sozialen Folgen der Digitalisierung abzufedern. Die Idee: Jeder Bürger erhält monatlich Geld – unabhängig von seiner finanziellen Lage und ohne Gegenleistung. Nothelle-Wildfeuer aber sagt: „Das bedingungslose Grundeinkommen wird die Gesellschaft nicht befrieden.“ Eben weil es nicht für Sinn und Selbstverwirklichung steht. 

Wie aber können wir dann den Wandel der Arbeitswelt gestalten? Vermutlich gibt es nicht eine große Lösung, sondern viele kleine. Nothelle-Wildfeuer sagt, Menschen sollten künftig unkomplizierter wechseln können zwischen Selbstständigkeit, befristeten Projektstellen und unbefristeten Jobs. Jeder müsse sich lebenslang weiterbilden, gerade auch in neuer Technik. Die Sozialversicherung müsse auf breitere Füße gestellt werden – und nicht mehr nur Erwerbseinkommen als Grundlage nehmen, sondern auch Gewinne aus Immobilienbesitz und Börsenspekulation. So könnte unser System flexibler und zugleich sicherer werden. Und uns helfen, klarzukommen im Wandel, der längst begonnen hat. 

Andreas Lesch