Zum Tag des offenen Denkmals

Jeder Ort braucht eine Kirche

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An diesem Sonntag ist Tag des offenen Denkmals. Auch die Kirchen beteiligen sich. Sie erinnern an den kulturellen Wert der Gotteshäuser. Aber Kirchen bieten noch viel mehr. Der Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards erklärt, wie die Gesellschaft sie neu entdecken könnte. 

St.-Thomas-Kirche in Leipzig
Eine Kirche prägt den Platz: Die Leipziger Innenstadt wäre ohne die St.-Thomas-Kirche kaum vorstellbar. Foto: imago images/Travel-Stock-Image

Früher gab es in fast jedem kleinen Ort eine Kneipe, eine Schule und eine Kirche. Heute ist vielerorts die Schule geschlossen, auch die Kneipe gibt es nicht mehr. Und die Kirche? Immer weniger Gläubige kommen zum Gottesdienst, immer weniger Priester gibt es für die Gemeinden. Da diskutieren manche Bistümer und Gemeinden schweren Herzens, ob die Kirche nicht verkauft oder gar abgerissen werden sollte.

„Wenn die Kirche fehlt, dann ist ein Ort seelenlos“, sagt Albert Gerhards, Priester im Bistum Aachen und Liturgiewissenschaftler, der zu Sakralbauten forscht. Der kulturelle Wert der Kirchen steht an diesem Sonntag beim bundesweiten Tag des offenen Denkmals im Mittelpunkt. In mehr als 1500 katholischen Kirchen werden dann Führungen angeboten. Gezeigt werden auch Bereiche, die sonst nicht öffentlich sind.

„Der höchste Wert der Kirchen ist natürlich, dass dort geglaubt und gebetet wird“, sagt Gerhards. Aber Kirchen sind auch für nichtgläubige Menschen wichtig. In Ostdeutschland gibt es viele Vereine, die sich für den Erhalt der Dorfkirchen einsetzen. „Sie renovieren oder bauen die Kirche aus Ruinen neu auf. Dabei ist in diesen Vereinen oft nicht ein einziger Christ“, sagt Gerhards. „Aber die Menschen spüren, dass eine Kirche ein besonderer Raum ist, ein Raum für Stille und Spiritualität.“ 

Viele haben auch Respekt vor der Geschichte dieser Gebäude. „Das hat man ganz deutlich beim Brand von Notre-Dame gespürt. Menschen, die sonst nichts mit Kirche am Hut haben, waren davon tief betroffen“, sagt Gerhards. Und wenn sich kirchenferne Menschen auf einmal für den Erhalt einer Kirche einsetzen, dann verändert das auch die Christen. „Die merken, dass es Anknüpfungspunkte an die Gesellschaft gibt, dass neue Kooperationen denkbar sind und Möglichkeiten, auf neue Weise präsent zu sein“, sagt Gerhards. Besondere Andachten, wie etwa eine Vigilfeier, Vorträge, Podien, Theateraufführungen, Konzerte – vieles sei denkbar, „immer vor dem Hintergrund, dass es ein Kirchenraum ist“, sagt Gerhards. 


Gemeinden sollten Konzepte für Kirchen entwickeln


Doch Reparatur- und Heizkosten verschlingen Geld. Oft ist der Unterhalt der Gebäude das Problem. Gerhards lehnt es ab, Kirchen zu verkaufen. „Wir sind dabei, unser Tafelsilber zu verscherbeln“, sagt er und sieht auch die Kirchengemeinden in der Pflicht, Verantwortung zu übernehmen. „Sie sollten überlegen, was man mit dem Gebäude tun könnte und wie man Leute findet, die bereit sind, sich dafür zu engagieren.“ 

Kirchenräume könnten neu belebt werden, wenn sie nicht nur als Gebetsorte, sondern auch als Treffpunkte für Menschen gesehen werden. „Diese diakonische Dimension der Kirchen sollten wir neu entdecken und deutlich machen: Die Kirchen gehören nicht exklusiv den Kirchengemeinden, sondern sind Orte für die ganze Bevölkerung“, sagt Gerhards. Im Gegensatz zu Diskotheken, Museen oder Einkaufszentren, an denen Sicherheitskräfte Besucher abweisen können, stehen die Kirchen jedem offen. Gerhards sagt: „Es ist unsere Aufgabe, dieses Potenzial von Kirchen neu zu entwickeln.“

Kerstin Ostendorf