Was die Bergpredigt bedeutet

Jesus hat aufgerüttelt, nicht vertröstet

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Die Bergpredigt ist Trost und Sprengstoff zugleich. Trost für alle, denen es schlecht geht, denn sie werden von Gott beachtet. Doch das ist nicht genug. Armut soll bekämpft, Gerechtigkeit und Freiheit sollen errungen werden, damit das Himmelreich schon auf der Erde sichtbar wird. Am Handeln der Jüngerinnen und Jünger Jesu sollen die Menschen Gott erkennen.

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Die Bergpredigt will zum Einsatz für andere inspirieren. So wie bei dieser Demonstration im Dezember 2022 in München, bei der Protestierende ihre Solidarität mit den Menschen im Iran zeigen. Foto: imago/aal.photo/leo.fge

Die Bergpredigt gilt als einer der zentralen Texte des Christentums. Warum?

Die Bergpredigt ist die programmatische Erklärung Jesu: Was ist das Reich Gottes? Was ist Nachfolge? Wie kann der Glaube gelebt werden? Sie beginnt mit dem wunderbaren Zuspruch der Seligpreisungen. Dann macht sie klar, dass zum Glauben Gerechtigkeit gehört und das soziale Verhalten sehr wichtig ist. 

Stand Jesus da tatsächlich an einem Berghang und hat eine Weisheit nach der anderen rausgehauen?

Der Evangelist zeichnet ein ideales Bild. Die Szene ist sehr plastisch: Jesus, der Lehrer, steigt auf den Berg. Er gibt Orientierung wie seinerzeit Mose am Sinai. Er hält die Predigt seinen Jüngern, aber so, dass alle ihn verstehen. Die Bergpredigt ist also auch eine Einladung an die Menge am Fuß des Berges, sich selbst auf den Weg der Nachfolge zu begeben. 

Was sind die zentralen Inhalte der Bergpredigt?

Am Anfang werden die seliggepriesen, denen es dreckig geht. Sie stehen immer im Verdacht, an ihrem Elend selber schuld zu sein, also irgendeine verborgene Schuld zu büßen. Möglicherweise haben sie selbst auch diesen Verdacht. Jetzt wird aber klar: Nein, gerade denen, die Gott besonders brauchen, ist Gott nahe. Ihre Situation wird sich ändern, wenn Gottes Gerechtigkeit herrscht. Das wird erst im Reich Gottes vollendet sein. Aber der Vorschein dieses Reiches ist jetzt schon zu spüren. 

Wie geht es dann weiter?

Diese Zusage wird später im Vaterunser zusammengefasst. „Dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel und auf Erden“ – damit zieht das Vaterunser eine Verbindung zu den Konsequenzen, die auch in der Bergpredigt benannt werden: „Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt.“ An den Jüngerinnen und Jüngern soll man erkennen, was Gott mit der Welt vorhat. Deshalb steht in der Bergpredigt, wie man leben soll: Dass man sich versöhnen soll. Dass man bereit sein soll, die Feinde zu lieben. Dass man sich nicht auffressen lassen soll von der Sorge ums tägliche Leben. Dass man kein Heuchler sein soll, der Religion als Show betreibt. 

An den nächsten vier Sonntagen werden Auszüge der Bergpredigt vorgetragen. Sind das die wichtigsten Stellen?
 
Die Ausschnitte der Sonntage machen die Highlights deutlich. Aber ich werbe dafür, selbst in die Bibel zu schauen. Es lohnt sich, die Bergpredigt im Zusammenhang zu lesen. 

Sie beginnt mit den Seligpreisungen an diesem Sonntag. Was bedeutet „selig“?

Es ist versucht worden, anders zu übersetzen. Am Ende ist man doch wieder bei dem Wort „selig“ gelandet. Das verwandte Wort „glücklich“ ist zu flach, „überglücklich“ würde es vielleicht besser treffen. Selig ist, wer von Gott gesegnet ist und diesen Segen tatsächlich innerlich spürt.

Selig, die arm sind, ihnen gehört das Himmelreich. Selig, die Trauernden, sie werden getröstet werden. Sind das nicht billige Vertröstungen?

Es gibt Versuche, mit Hilfe der Bergpredigt Menschen zu vertrösten. Bewegungen wie die Theologie der Befreiung sind aber durch die Bergpredigt inspiriert worden, sich für Veränderungen einzusetzen. Jesus hat nicht vertröstet, sondern aufgerüttelt. Diejenigen, die in Armut leben, sollen wissen, dass Gott ihre Armut, ihren Hunger, ihr Leid, ihre Verfolgung nicht gutheißt. Wer keine Möglichkeit hat, an den realen Lebensverhältnissen etwas zu ändern, erhält diese Zusage, die den Himmel öffnen kann. 

Das reicht aber doch nicht.

Richtig. Die Jünger sollen diese Seligkeit konkret erfahrbar machen. Sie müssen Räume schaffen, in denen Armut bekämpft wird, in denen Menschen in Freiheit glauben können und nicht wegen ihres Glaubens verfolgt werden, in denen Hunger und Durst nach Gerechtigkeit gestillt werden. Das ist die Aufgabe der Jünger: Ihr seid vielleicht nicht viele, aber fangt an, dann verändert ihr die Welt. 

Die Bergpredigt ist also auch eine konkrete Handlungsanweisung?

Ja, aber sie macht auch klar: Menschen werden nie das Reich Gottes auf Erden errichten können. Es bleibt immer bei der Bitte: Dein Reich komme. Das ist auch ein Eingeständnis der eigenen Schwäche, aber nicht als Ausrede. Sondern die Einladung, sich auf das zu konzentrieren, was tatsächlich zu tun möglich und notwendig ist. 

Die Bergpredigt vertritt einen hohen Anspruch: Feindesliebe, Gewaltverzicht. Es heißt „Seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“. Daran können Menschen doch nur scheitern.
 
Diese Vollkommenheit als moralischen Perfektionismus zu verstehen, wäre falsch. In der jüdischen Tradition und auch im Neuen Testament gibt es aber die verwegene Idee, sich Gott zum Vorbild zu machen. Von Jesus, von seiner Gottesliebe und Nächstenliebe bis hin zur Feindesliebe können wir uns inspirieren lassen. 

Die Bergpredigt ist also eine Inspiration, dass eine bessere Welt möglich ist?

Ja! Fang an, da, wo du lebst! Bei dir selbst. Such dir Menschen, mit denen es zusammen geht, und wisse, dass Jesus auf deiner Seite ist. 

Es heißt immer wieder, dass man mit der Bibel in der Hand und mit der Bergpredigt keine Politik machen kann. Stimmen Sie dem zu?

Nein, ich würde umgekehrt sagen: Ohne die Bergpredigt kann man keine Politik machen. Die sozialen Verhältnisse, unter denen die Bergpredigt geschrieben worden ist, waren andere als heute. Aber ich kann mich doch trotzdem fragen: Was kann ich jetzt tun, um Armut zu bekämpfen, um Gerechtigkeit zu fordern, um Konflikte zu befrieden? Die Bergpredigt ist keine Blaupause zum Handeln, aber sie ist ein Wegweiser, in welche Richtung es gehen kann, wenn gelten soll: wie im Himmel so auf Erden.

Was ist Ihr persönlicher Lieblingssatz aus der Bergpredigt?

Aus der gesamten Bergpredigt ist es das Vaterunser. Und im Vaterunser das Wort: Dein Reich komme. Ich meine, da Jesus ins Herz schauen zu können. Von diesem Kommen möchte ich selber erfüllt werden. Gott kommt und bringt Heil. Diese Botschaft möchte ich gerne verbreiten. 

Interview: Ulrich Waschki

kna/Julia Steinbrecht

Thomas Söding ist Professor für
neutestamentliche Exegese an der
Ruhr-Universität Bochum und
Vizepräsident des Zentralkomitees
der deutschen Katholiken (ZdK)
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