Geflüchtete aus Afghanistan

Jetzt ist keine Zeit, um Angst zu schüren

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Deutschland und Europa bereiten sich auf die Ankunft Tausender afghanischer Flüchtlinge vor. Politiker reagieren im Wahlkampf zurückhaltend. Die Kirchen dagegen mahnen, die Menschen großzügig aufzunehmen. 


Diese Demonstranten vor dem Bundestag haben eine klare Meinung zur Frage, ob Deutschland 
Afghaninnen und Afghanen aufnehmen sollte. Foto: imago/Achille Abboud

Von Kerstin Ostendorf

Nach dem terroristischen Anschlag auf den Kabuler Flughafen in der vergangenen Woche hat die Bundeswehr die Evakuierungsflüge eingestellt. 5347 Menschen wurden aus Afghanistan nach Deutschland ausgeflogen. Das Auswärtige Amt schätzt aber, dass immer noch mehr als 10 000 Menschen in Afghanis­tan sind, die als ehemalige Ortskräfte eine Aufnahmegarantie von Deutschland haben. Ihnen und den vielen Menschen, die ein neues Terrorregime der Taliban fürchten, bleibt nur noch die Flucht über Nachbarstaaten. 

Noch machen sich verhältnismäßig wenige Menschen auf den Weg, da Pakis­tan und Iran die Grenzen weitgehend geschlossen halten. Die EU rechnet aber mit mindestens sechsstelligen Flüchtlingszahlen. Wie sollen diese Menschen nach Deutschland und Europa kommen? Wer nimmt sie auf? Armin Laschet, Kanzlerkandidat der CDU, mahnte Mitte August, dass Europa sich auf die Ankunft von Flüchtlingen vorbereiten müsse. „2015 darf sich nicht wiederholen“, sagte er.

Der Leiter des Katholischen Büros in Berlin, Karl Jüsten, widerspricht ihm: „Wir halten die Flüchtlingspolitik von 2015 nach wie vor für gut. Deutschland hat sich von der humanitären Seite gezeigt und vielen Menschen eine Perspektive geboten.“ Die meisten der Flüchtlinge hätten sich gut integriert. „Diese Leistung darf nicht schlechtgeredet werden“, sagt Jüsten. Man müsse daran auch im Falle Afghanistan festhalten. „Ich glaube nicht, dass die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus humanitären Gründen die Gesellschaft überfordert“, sagt er und warnt davor, in Wahlkampfzeiten Ängste zu schüren. 

„Wenn wir der Erzählung treu bleiben wollen, dass unsere Freiheit und Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird, dann müssen wir dort gerade jetzt auch die Menschenwürde verteidigen“, sagt auch Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie in Deutschland. Er fordert, dass Deutschland viele Afghanen, die nun um ihr Leben fürchten müssen, aufnimmt. 

An einem geordneten Verfahren für die Flüchtlingsaufnahme wird auch in Brüssel gearbeitet. Manfred Weber, Vorsitzender der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, verlangt, feste Kontingente für die einzelnen EU-Staaten zu definieren. Außerdem müssten der Status und die Identität der Menschen überprüft werden. „Es muss ein balancierter Weg sein: Hilfsbereitschaft, aber nicht naiv sein. Das ist der Weg, den wir jetzt gehen müssen“, sagt er. 

Wie werden die Taliban herrschen? 

Entscheidend für die Zahl der Flüchtlinge dürfte der neue Herrschaftsstil der Taliban sein. Experten sind sich noch uneins. Die einen glauben, die Kämpfer hätten sich gewandelt und seien moderater als 20 Jahre zuvor, um an die von der EU-Kommission an Bedingungen geknüpfte Entwicklungshilfe zu kommen.

Andere warnen, das sei reines Wunschdenken. Zusagen über eine Amnestie für Kollaborateure und Frauenrechte seien lediglich Lippenbekenntnisse – vor allem, da mit Russland und China potenzielle Geldgeber bereitstünden, denen Menschenrechte egal sind, solange sie ihren geopolitischen Einfluss ausbauen können.