Das Ethik-Eck: Wie soll ich mit ihr darüber reden?

Jetzt ist meine alte Freundin auch aus der Kirche ausgetreten ...

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Das Ethik-Eck
Nachweis

Foto: adobestock / Brigitte Bonaposta

Die Frage lautet diesmal:
„Jetzt ist meine alte Freundin auch aus der Kirche ausgetreten. Dabei hatten wir gerade beim Zusammentreffen im Umfeld der Pfarrei die schönsten gemeinsamen Stunden. Ich weiß gar nicht, wie ich ihr jetzt begegnen soll. Warum hat sie nicht vorher mit mir gesprochen?“


Gespräch suchen

Oh ja, 500 000 Menschen sind im letzten Jahr aus der katholischen Kirche ausgetreten. Und jeder einzelne schmerzt mich. Und eine gute Freundin dabei natürlich ganz besonders! Gleichwohl deutet die Fragestellung darauf hin, dass wir schon länger nicht im Gespräch waren. Das ist so schade wie untypisch, weil ich seit einiger Zeit ständig mit KirchenfreundInnen über dieses Thema zugange bin. 

Stefan Herok
Stefan Herok, Diplomtheologe, Religionspädagoge und Pastoralreferent arbeitet mit kleinem Rentnervertrag 
in der Seelsorge in Wiesbaden.

Dass die Freundin mit Menschen wie mir ihrerseits das Gespräch wohl nicht gesucht hat, könnte natürlich auch daran liegen, wie viele von uns KirchenMenschen solcherart Dialog meistens führen: Da gibt es zu oft simple Durchhalteparolen und moralischen Druck. Und all die „typisch kirchlichen“ Mittel, von denen wir nicht genug gemerkt haben, wie tief auch wir „aufgeklärteren“ und „progressiveren“ KirchenMenschen die klassischen Autoritäts-, Antwort- und Konfliktmuster unserer Kirche übernommen haben. 
Neben der Aufmerksamkeit für Formen sexualisierter Gewalt wächst ja erst sehr langsam in unserer Kirche auch das Bewusstsein für die subtileren Formen von Machtmissbrauch auf allen Ebenen des Lebens. Es sollte mich also schon etwas nachdenklich machen, warum wohl die Freundin das Gespräch über ihren Kirchenfrust nicht mit mir gesucht hat.
Wie ich ihr jetzt begegnen sollte? Ich würde ihr gerne das Gespräch anbieten. Ohne jeden Vorwurf. Und vor allem daran interessiert, was jetzt die ausschlaggebenden Motive waren. 
Mir begegnen da vor allem zwei Intentionen: Für die einen ist der Kirchenaustritt ein bereinigender Schritt ihrer Seelen-Hygiene. Sie haben es gegen manchen Frust lange und immer wieder neu mit der Kirche probiert, haben sich von uns Ausharrenden beschwichtigen lassen, aber nun reicht es ihnen einfach und sie müssen einen Schlussstrich ziehen. Ich äußere gegenüber dieser Haltung immer mein tiefes Verständnis und gleichzeitig mein tiefes Bedauern. 
Und ich äußere bei den Bleibenden verstärkt meine Dankbarkeit für ihr Durchhalten.
Die zweite Intention, die mir begegnet, das sind Leute, die mit appellativer und demonstrativer Geste austreten. Sie verbinden damit die Hoffnung, dass die Kirche angesichts der massenhaften Austritte nun endlich aufwachen und reformbereiter werden würde. Diese Intention halte ich für so ehrenwert wie illusionär. Ich glaube, diese Art Kirchenaustritt schädigt und schwächt gerade die Reformkräfte und nutzt nur den Reformverweigerern, die damit immer mehr Terrain gewinnen. 
Was mich persönlich beim Thema Kirchenaustritt besonders bewegt, ist die Frage: Wohin denn austreten? Ich kann mir nicht vorstellen, in einem religiös-gemeinschaftlichen Niemandsland zu landen …

In Kürze erscheint ein neues Buch von Stefan Herok zum Thema: NervenSegen – Das Trostbüchlein für strapazierte katholische Seelen, Verlag Patmos, 160 Seiten, 19 Euro

 

Ein Herz nehmen

Es gibt viele Gründe, aus der Kirche auszutreten: eine längere Entfremdung, aktueller Ärger, vieles mehr.
Wenn man geht, geht man gleichzeitig aus vielen sozialen Bezügen. Man trifft Leute nicht mehr, mit denen man sich engagierte, Menschen, die man mit einem Nicken nach dem Gottesdienst grüßte, Bekanntschaften, die bei einem Fest in einem netten Gespräch bei einem Glas Wein vertieft wurden. Bedeutsame und scheinbar oberflächlichere Beziehungen, die alle zusammen ein mehr oder weniger dichtes Netz bildeten. Und Zugehörigkeit bedeuteten.
 

Ruth Bornhofen-Wentzel
war Leiterin der Ehe- und Sexualberatung im Haus der Volksarbeit in Frankfurt.

Und sei es nur das selbstverständliche Gefühl, dass mal ein Seelsorger am Grab steht und die Kirche im Hintergrund da ist, falls man Kontakt suchen möchte.
Das wird brüchig oder bricht ab. 
Vom Austritt sind nicht nur die, die austreten und die Institution betroffen, sondern alle, die in Kontakt standen. 
Er berührt auch die eigenen Zweifel. Stimmt es für mich noch, dass ich bleibe? Fühle ich mich noch verbunden? Gehöre ich zum Rest, der an etwas festhält, was nicht mehr trägt? Fragen, die tief in die eigene Biografie und Identität reichen.
Alle bleiben mit veränderten Gefühlen zurück. Alle müssen sich neu sortieren. Und manche leiden an den Lücken, an der leeren Stelle.
Wie hier. Was bleibt von der Freundschaft, wenn sie besonders im kirchlichen Umfeld gelebt wurde?
Und warum hat die Freundin nicht darüber gesprochen?
Vielleicht genau deswegen: weil beiden klar ist, dass der Entschluss der Freundin traurig macht und  Folgen für die Freundschaft hat. 
Und bei beiden Freundinnen setzt das Gedankenkarussell ein, das viele kennen: Was ist mit der anderen, was denkt sie über mich, was denkt sie, was ich denke, warum hat sie das getan?
Antworten gibt es nur, wenn man mutig fragt.
Also: ein Herz nehmen! 
Und erst mal ein gutes und ausführliches Gespräch suchen über das, was die Freundinnen bewegt.
Dann das gemeinsame Überlegen, wie es weitergehen kann. Wo und wie wollen sich beide in Zukunft treffen? Es finden sich wahrscheinlich Zeiten, Raum und Tätigkeiten, mit denen sich beide wohlfühlen. Oder es lässt sich was ganz Neues probieren.
Viele lassen mit dem Kirchenaustritt ja auch nicht ihren Glauben hinter sich, auch das wäre ein gemeinsames Gespräch wert. Vielleicht findet sich da etwas für beide: ein Tag auf einem Pilgerweg, ein besonderes spirituelles Angebot.
Also was bleibt von der Freundschaft?
Hoffentlich viel!
Dazu braucht es erst mal Mut und dann kann sich viel entwickeln.
Die Freundschaft ist es wert.

 

Weiter einladen

Die Gründe für einen Kirchenaustritt sind vielfältig und häufig sehr persönlich. Mit dem Austritt Ihrer Freundin bekommt die große Zahl von über einer halben Million Menschen für Sie ein konkretes Gesicht. Ich kann verstehen, dass Sie sich – gerade angesichts der vielen schönen Momente, die Sie beide dort gemeinsam gesammelt haben – zunächst einmal vor den Kopf gestoßen gefühlt haben. Dennoch: Die Entscheidung Ihrer Freundin sollte respektiert werden. Schließlich darf keine gezwungen werden, in der Kirche zu bleiben.Dies sollte aus freiem Willen und Überzeugung geschehen. (Sozialer) Zwang darf dabei nicht vorherrschen. 
 

Stefan Huber ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Theologische Ethik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

Ich bin mir sicher, die Freundschaft ist bei Ihnen beiden nicht an die Kirchenmitgliedschaft gebunden. Sprechen Sie doch Ihre Freundin mal darauf an, was sie zum Kirchenaustritt bewogen hat. Hatte Sie vielleicht das Gefühl gehabt, ihre Zweifel an der Institution nicht offen gegenüber Ihnen und der Kirchengemeinde äußern zu können? Aus Scham oder Angst vielleicht? Haben Sie sich in der Vergangenheit mal den Raum gegeben darüber zu sprechen, wie Ihrer beider Vision von Kirche aussieht? Vielen Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, sind die Themen Gott, Glaube und Kirche per se nicht egal, sondern nehmen nach wie vor eine zentrale Rolle in ihrem Leben ein. Dabei sollte es bei dem Gespräch nicht um Missionierung oder Zurückgewinnung in die Institution Kirche gehen. 
Sicherlich war der Kirchenaustritt für Ihre Freundin kein einfacher, aber vielleicht in diesem Moment notwendiger Schritt. Vielmehr kann ein offenes Gespräch darüber, was einem an der Kirche wichtig ist, was einen stört, was beibehalten und unbedingt verändert werden müsste, für Sie beide – so denke ich – sehr gewinnbringend sein. Gut möglich, dass Sie von der Sichtweise Ihrer Freundin lernen und etwas für Ihre eigene Vision von Kirche mitnehmen können. Womöglich können Sie aus den Impulsen etwas in Ihrer Pfarrgemeinde umsetzen. 
Wenn Sie möchten, können Sie Ihre Freundin nach wie vor zu Gottesdiensten oder Aktivitäten in der Pfarrei einladen. Die Kirchentür ist ihr trotz Austritts nicht verschlossen. Geht es doch um eine Institution, die sich selbst den Auftrag gegeben hat, für alle Menschen da zu sein und ihnen in „Freude und Hoffnung“ aber auch in „Trauer und Angst“ (Gaudium et Spes) beiseite zu stehen.