Interview mit Pfarrer Matthias Eggers
Kein Grund zum Resignieren
Auch für Priester wie Matthias Eggers, Pfarrer der Gemeinde St. Petrus in Wolfenbüttel, stellt die Corona-Pandemie eine große Herausforderung dar. Gerade die Kar- und Ostertage sind im Kirchenjahr wohl die liturgisch dichteste Zeit. Doch wie war diese Woche für einen Priester, in der er das Leiden, Sterben und die Auferstehung Jesu in der leeren Kirche ohne die Gläubigen feiern musste?
Sie sind Priester geworden, um für die Menschen da zu sein, um das Evangelium zu verkünden. Wie gelingt Ihnen das zurzeit oder ist es für einen Seelsorger einfach nur resignierend?
Es ist zwar sehr schmerzlich nicht mehr gemeinsam heilige Messe feiern zu können. Aber Grund zum Resignieren sehe ich überhaupt nicht. Unser wöchentlicher Sonderpfarrbrief beinhaltet die liturgischen Texte, Gebetsanregungen, ein geistliches Wort und Hilfsangebote. Wir schicken ihn per E-Mail an 1000 Haushalte und legen circa 400 Exemplare aus. Er wird auch an alle Mitglieder in den Altenheimen verteilt. Wir Seelsorger stehen jeden Tag verbindlich für eine feste Zeit telefonisch zur Verfügung. Wir haben mehrere Videoandachten erstellt und unseren Osterpfarrbrief an alle 6000 katholischen Haushalte per Post verschickt.
Was bedeutet es für Sie, in der Corona-Zeit Gottesdienste in der Kirche ohne Gläubige feiern zu müssen?
Zunächst einmal finde ich es richtig, dass wir alle Kontakte möglichst vermeiden, um Leben zu retten. Wenn allerdings Spirituosen-Fachgeschäfte geöffnet sind und mittlerweile auch Baumärkte, dann tue ich mich schwer damit, warum nicht ein kleiner Kreis unter strenger Einhaltung der bekannten Maßnahmen Eucharistie, stellvertretend für die Pfarrei, feiern kann! So wie es im Dom ja auch geschieht. Solche Vorschläge kommen ja mittlerweile von Staatsrechtlern, zum Beispiel von Professor Andrea Edenharter. Die Polizei vor Ort hat mir mitgeteilt, für sie wäre es in Ordnung, wenn bis zu zehn Personen in der Kirche seien und dabei die Auflagen einhalten.
Gerade die Kar- und Ostertage sind liturgisch sehr dicht, die Menschen sind in vielen Passagen in die Gottesdienste eingebunden. Fehlt Ihnen da in diesem Jahr etwas?
Ja natürlich habe ich diese wunderbaren Liturgien auch vermisst. Mir fehlte auch die Beteiligung der vielen Messdiener und das ganz konkrete Zusammensein mit Menschen von Angesicht zu Angesicht. Aber was bedeutet das schon angesichts der Probleme, die andere haben. Zudem haben wir auch digitale Formen gefunden, in denen wir viele Lektoren und Kantoren einbinden. Besonders schön ist unser Kinderkreuzweg geworden, an dem sich viele Kommunionkinder beteiligt haben. Letztlich habe ich diese Tage sehr intensiv erlebt. In gewisser Weise ist das ganze Weltgeschehen zurzeit doch eine einzige Karwoche.
Für Priester sind diese Tage immer auch eine große Herausforderung mit einem hohen Arbeitseinsatz. Bedeutete das in diesem Jahr weniger Arbeit für Sie?
Diese jetzige Zeit ist doch der Ernstfall für die Seelsorge. Wir sind jetzt alle sehr gefordert. Wir brauchten viele Videokonferenzen, um im Team unsere Umstrukturierungen gemeinsam zu entwickeln und abzustimmen. Neben den neuen Gottesdienstformen haben wir dabei versucht die Menschen im Blick zu behalten, die am Rand unserer Gesellschaft stehen. Meine Beerdigungsleiter gehören zur Risikogruppe. Ich mache jetzt also auch mehr Beerdigungen. Diese Zeit bedeutet für uns Pionierarbeit. Wenn man solchen Herausforderungen mit viel Herzblut begegnen kann, dann ist es auch nicht so wichtig, wenn man mal nicht viel Freizeit oder Schlaf findet.
Wie sahen diese besonderen Tage für Sie persönlich aus ohne Fußwaschung, ohne Kreuzverehrung durch die Gläubigen, ohne das Osterhalleluja in einer vollen Kirche und ohne Osterfrühstück mit der Gemeinde?
Es gab an jedem Tag etwas, das mich sehr berührt hat. Am Gründonnerstag die Begegnung mit einem entlassenen Häftling, der seit seinem elften Lebensjahr drogenabhängig ist und eine unserer gepackten Ostertüten abholte. Am Karfreitag war es der Kinderkreuzweg und meine persönliche Kreuzverehrung in der leeren Kirche. Am Karsamstag haben wir schon seit mehr als zehn Jahren die Tradition aufleben lassen, das Grab Jesu zu besuchen. Das Verweilen an diesem Grab war für mich in diesem Jahr sehr bewegend. Tatsächlich kann ich mir meine Zeit jetzt freier einteilen. Es gibt nicht so viel Termindruck. Das hat für mich tatsächlich auch angenehme Seiten.
Wie gelingt es Ihnen in dieser Ausnahmesituation „Seelsorger“ zu sein und mit den Menschen zu beten?
Das ist schwierig, weil so vieles einfach ausfällt. Es ist auch ungewohnt, bei Trauergesprächen am Telefon zu beten. Es gibt aber auch hier neue Formen. Ich habe zum Beispiel für eine Frau, die sich über Facebook bei mir meldete und um ein Gebet bat, für ihre Verstorbene Mutter das Entzünden einer Kerze per Video aufgenommen und dabei „Zum Paradies mögen Engel dich geleiten...“ gesungen und gebetet. Die Kamera habe ich nur auf die brennende Kerze gehalten. Im Hintergrund war die Pieta der Petruskirche zu sehen. Die Frau hat sich sehr bedankt.
Hat die Corona-Pandemi Auswirkungen auf die zukünftige Seelsorge, birgt sie eventuell auch positive Erkenntnisse? Eröffnen sich da vielleicht sogar neue Chancen und Aspekte der Seelsorge?
Die Einschnitte und Veränderungen für das kirchliche Leben werden auch für die nächsten Monate fundamental sein. Niemand kann genau absehen, wie sich die Veränderungen konkret auswirken werden. Aber schon jetzt hat sich ja sehr viel verändert. Manche weisen darauf hin, dass man die Krise nicht zu schnell als Chance bezeichnen sollte. Man würde damit all den vielen Menschen nicht gerecht, die im Augenblick sehr viel Leid erfahren oder nicht wissen, wie es weitergehen soll. Tatsächlich ist das Wichtige im Augenblick sich denen zuzuwenden, die Unterstützung brauchen. Wir sind auch erst am Anfang eines langen Weges. Gleichzeitig gehört es zu unseren wesentlichen Aufgaben, die Hoffnung dort zu heben, wo sie sich abzeichnet. Ich sehe bei allen großen Problemen, die sich vor uns auftürmen, auch viel Ermutigendes. So viele Menschen geben im Augenblick ihr Bestes. Mein Glaube hat mir selten so viel Halt, Orientierung und Trost gegeben wie im Augenblick.
Interview: Edmund Deppe