Pro und Contra

Kippa oder nicht?

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„Zeig Gesicht und Kippa“ – so lautete der Aufruf von Frankfurts Kirchendezernent Uwe Becker (CDU). Wie in anderen Städten sollte auch in Frankfurt ein Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt werden, nachdem in Berlin ein junger Israeli angegriffen wurde, der die Kopfbedeckung der jüdischen Männer trug. War die Kippa am 14. Mai 2018 eine gute Idee? Zwei Meinungen: von Stadtdekan Johannes zu Eltz und von Ruth Lehnen.

 

PRO

Nach den Angriffen auf junge Männer, die eine Kippa trugen, sollen am Montag viele Deutsche Kippa tragen. | Foto: kna

Ich weiß, man soll keine „Ich auch!“-Geschichten erzählen. Aber ehrlich: am Morgen des Tages, an dem Bürgermeister Becker mit der Idee rauskam, jetzt sollten alle mal Kippa anziehen, hatte ich denselben Einfall. Das lag ja dermaßen auf der Hand! Ein arabischer Israeli zu Besuch in Deutschland glaubt nicht, dass hier Juden drangsaliert werden, und geht in Berlin mit Kippa auf die Straße. Ein dummer Junge, Araber wie er, zieht den Gürtel aus der Hose und schlägt, den Namen seines Gottes missbrauchend, auf ihn ein. Der Freund des Probanden filmt die Szene. Das Video geht viral.

Da liegt doch nichts näher als der Plan: lass tausend, zehntausend Kippaträger auf die Straße gehen. So viele, dass jeder, der hier etwas gegen Juden hat und an ihnen sein Mütchen kühlen will, nur noch „Juden“ sieht, rechts und links, vorne und hinten, soweit das Auge reicht. Dann müssen sie sich trollen, die Pöbler und Schläger, die nur stark sind, wenn sie ihre Opfer schwach wähnen.

Als Frankfurter Bürger habe ich mich dem Aufruf des Bürgermeisters spontan angeschlossen und als Stadtdekan auch die Solidarität der katholischen Stadtkirche eingebracht.

Das ist für mich Ehrensache und status confessionis zugleich – wenn sich Frankfurt für seine jüdischen Mitbürger stark machen muss, werden die Katholiken nicht abseits stehen. Nicht noch einmal. Nie wieder! Besonnene Freunde haben mich dann darauf aufmerksam gemacht, dass die Koinzidenz der Aktion mit dem Nationalfeiertag Israels und der Eröffnung der amerikanischen Botschaft in Jerusalem nicht glücklich ist. Da ist etwas dran. Das Zeichen wäre am Sabbat vor oder nach dem 14. Mai ebenso deutlich gewesen, aber vielleicht reiner; klarer in den Absichten. Aber jetzt ist es halt so. Solidarität hat ihren Preis. Und Katholiken können ja vor dem 14. Mai mit dem Kippatragen schon mal anfangen. Und nachher nicht damit aufhören.

Dr. Johannes zu Eltz ist katholischer Stadtdekan in Frankfurt.

 

CONTRA

Die Idee, dass am 14. Mai möglichst viele Deutsche die Kippa als Zeichen der Solidarität mit Juden in Deutschland tragen, hat etwas Charmantes: Wenn alle wie Juden sind oder zumindest so aussehen, wird antisemitischen Angreifern eine Grenze aufgezeigt. Vor allem aber gibt die Aktion den Deutschen, die da mitmachen, ein gutes Gefühl: Endlich tun wir etwas, endlich bekennen wir uns!

Die Frage ist nur: Zu was bekennen wir uns? Wer am Montag die Kippa aufsetzt, die Kopfbedeckung der jüdischen Männer, kapert einen jüdischen Brauch. Wie fänden wir es, wenn alle Muslime für einen Tag das Kreuzzeichen schlügen oder Juden sich ein Kreuz umhängten? Befremdlich.

Die Aktion ist eine typische social-media getriebene Alibi-Veranstaltung. Es kostet nichts, sich einen Tag zu verkleiden. Eintreten gegen Antisemitismus kostet was: Geduld, Strenge, Mut, Geld. Immer wieder die Stimme erheben, im Alltag: an der Fleischtheke, im Stadion, in der Kirche. Überall. Es kostet Geld, demokratiefördernde Lernorte und Gedenkstätten zu unterstützen, in denen Thema ist, was die Deutschen verloren haben, als sie deutsche Juden aus dem Land trieben und Millionen ermordet haben. Es braucht persönlichen Mut und politischen Willen, Bildung so zu verbessern, dass nirgendwo alt-neuer Antisemitismus toleriert wird.

Am Anfang des Aufrufs wurden die Frauen glatt vergessen. Jetzt sollen auch sie die Kippa für einen Tag tragen. Würde das religiöse Zeichen ernst genommen, müsste ich, analog zu einer orthodoxen verheirateten Jüdin, eine Perücke tragen.

Christen, Juden und Muslime müssen gemeinsam dafür kämpfen, dass Religion in Deutschland sich weiter offen äußern darf. Und dass Juden sich frei bewegen können, sich frei fühlen können, mit und ohne Kippa, jeden Tag.

Ruth Lehnen ist stellvertretende Redaktionsleiterin der Kirchenzeitung.

 

Stichwort: Kippa

Wer in Israel durch die Straßen geht, der wundert sich vielleicht, dass so wenige Israelis eine Kippa tragen. Schätzungen gehen von jedem fünften Mann jüdischen Glaubens aus – in Jerusalem sind es mehr, in Tel Aviv weniger. Die Kippa, die kleine kreisförmige Mütze, ist streng genommen nämlich ein liturgisches Kleidungsstück. Jüdische Männer tragen sie beim Gebet. Und an Orten des Gebets – also auch auf jedem jüdischen Friedhof und in der Synagoge.

Weil für den orthodoxen Juden letztlich aber das ganze Leben ein Gottesdienst ist, trägt er sie stets. Die Kopfbedeckung ist Zeichen der Gottesfurcht. Häufig tragen ultra-orthodoxe Männer über der Kippa noch einen schwarzen Hut. National-religiöse Juden bevorzugen gehäkelte Kippot. Bei der Bar Mitzwa, ihrem ersten öffentlichen Lesen aus der Thora, tragen Jungen oft eine seidene Kippa. Wer sich nicht eindeutig einer Lehrtradition zugehörig fühlt, der setzt beim Gebet eine „neutrale“ Kappel (jiddisch) auf. Damit die Kopfbedeckung auf dem Hinterkopf hält, wird sie häufig mit einer Metallklammer im Haar befestigt.

Die jüdischen Gesetze verbieten es, mehr als vier Ellen mit entblößtem Haupt zu laufen. Diese Pflicht zur Ehrfurcht vor Gott nehmen auch die orthodoxen Frauen in ihrer Kleiderordnung auf: Sind sie verheiratet, tragen sie eine Perücke, damit das Haupt nicht entblößt ist vor Gott.

In den liberalen jüdischen Gemeinden wird seltener eine Kippa getragen: außerhalb Deutschlands quasi gar nicht, hierzulande beim Gebet oder dem Studium der Schriften. Wer als nicht-jüdischer Gast am Synagogengottesdienst teilnimmt, der trägt aus Respekt ebenfalls eine Kopfbedeckung.

In der religiösen Tradition des Judentums gibt es lange keinerlei Pflicht, beim Gebet den Kopf zu bedecken – weder in den biblischen Schriften noch in deren Auslegung im Talmud. Erst im sechsten Jahrhundert fand der Brauch erste Anhänger. (job)