Wie können Gemeinden ihre Kirchenräume optimal nutzen?

Kirchen neu interpretiert

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Gemeindemitglieder sitzen zur Agape-Feier an Tischen, die zu einem Kreuz aufgestellt sind
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Foto: Projektgruppe Pastorale Innovation PR Bensheim-Zwingenberg

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Viele Tische, trotzdem können alle zusammensitzen

Wie viele kirchliche Gebäude passen in eine säkulare Gesellschaft? In etlichen Bistümern stehen Gemeindezentren und Gotteshäuser auf dem Prüfstand. Bei Gebäudekonzepten sind Weitsicht und Kreativität gefragt. Beispiele aus den Bistümern Mainz und Limburg.

Einfamilienhäuser reihen sich aneinander. Auch hier ist Kirche zu Hause. Mitten in einem Wohngebiet im Bensheimer Westen ragt der Glockenturm von St. Laurentius empor. Das nebenstehende Gotteshaus zeigt sich in bescheidenem Beton. Innen beeindrucken bunte Glasbausteine: Ein typischer Sakralbau aus der Konzilszeit. Die Innenausstattung aber macht neugierig.

Im Februar vergangenen Jahres verabschiedete sich die Gemeinde St. Laurentius von ihren Kirchenbänken. Unter dem Titel „Freiraum“ startete eine Projektgruppe namens „Pastorale Innovation“ ein Experiment. Sie wollte ausprobieren, was sich mit viel Platz in einem Kirchenraum alles machen lässt. Stühle statt Bänke, das versprach mehr Flexibilität. Wenn Gemeindereferentin Sabine Eberle, Daniela Rist, Ehrenamtliche aus dem Pastoralraum, und Ulrike Meyer aus dem Pfarrgemeinderat, die sich alle in der Projektgruppe engagieren, von den vergangenen Monaten berichten, dann beginnen sie mit einer guten Nachricht: St. Laurentius soll als Ort für Quartiersarbeit und innovative Pastoral erhalten bleiben. So der letzte Stand beim Gebäudeprozess im Pastoralraum Bensheim-Zwingenberg.

„Das Ergebnis führen wir auch auf das Freiraum-Projekt als offene, einladende Kirche für alle zurück“, sagt Eberle. Außer den üblichen Gottesdiensten fanden in St. Laurentius unter anderem ein Lese-Festival, eine Tango-Messe, das Sommerfest der Tafel und eine Aktionswoche „Starke Familie“ mit einer Party für die Jugend statt. „Unter den vielen Veranstaltungen, die wir im vergangenen Jahr ausprobieren konnten, hat mich die Feier des Gründonnerstags sehr beeindruckt“, erzählt Rist. „Im Gottesdienst wurden im Kirchenraum Tische in Form eines großen Kreuzes zur gemeinsamen Agape-Feier aufgestellt. Alle Generationen haben in der Kirche miteinander gegessen.“

Essen und Trinken oder Party im liturgischen Raum? Für viele wohl eine befremdliche Vorstellung. Eberle argumentiert: „Kirche muss sich verändern.“ Das Projekt habe im Pastoralraum die Diskussion zur Frage angestoßen: „Wer darf in diesem Raum was?“ Rist stellt fest: „Seitdem die Bänke draußen sind, bewegen sich die Menschen in der Kirche freier.“ Meyer berichtet: „Das Projekt hat auch Menschen angezogen, die bisher noch nicht zu uns gekommen sind.“ Auch anfängliche Kritiker kämen wieder. Die Stühle im Rund haben zudem den Umgang der Gemeindemitglieder miteinander verändert. „Die Gemeinde kommt vor den Gottesdiensten mehr untereinander ins Gespräch, da vorher die Bänke die Aufmerksamkeit ausschließlich nach vorne gerichtet hatten“, sagt das PGR-Mitglied. Fazit: Die Kirchenbänke bleiben draußen. „Stattdessen wollen wir uns von unserem Pfarrheim trennen und Gruppenräume durch Umbaumaßnahmen in die Kirche integrieren“, erklärt Eberle.

Fehlende Gemeinschaftsräume

St. Laurentius in Bensheim im Bistum Mainz ist ein Beispiel für eine erweiterte Nutzung einer Kirche. Wie in vielen anderen deutschen Bistümern fordern auch im Bistum Mainz knapper werdende finanzielle Mittel, weniger Personal und eine zunehmend säkulare Gesellschaft einschneidende Veränderungen. Johannes Krämer, Diözesanbaumeister im Bistum Mainz, und Michael Helwig, Regionalarchitekt im Bistum, berichten vom „Gebäudeanpassungsprozess“. Seit 2021/2022 hat sich diese Entwicklung im Zusammenhang mit dem Erneuerungsprozess Pastoraler Weg beschleunigt.

„Die Anzahl der Pfarrheime und Pfarrhäuser wird sich in den nächsten Jahren stärker reduzieren als die der Kirchengebäude“, prognostiziert Krämer. Kirchengebäude sollen zwar so weit wie möglich erhalten bleiben. Dennoch kommen auch sie auf den Prüfstand. „Der Aufwand für die Kirchengebäude muss um ein Drittel reduziert werden“, sagt Krämer. Dies soll außer durch Abgabe von Gebäuden zum großen Teil über verschiedene Gebäudekategorien erreicht werden.

Neben den Kategorien I und II, die dauerhaft eine Nutzung des Kirchengebäudes ermöglichen sollen, gibt es die Kategorie III, die zunächst nur den Erhalt unterstützt. Damit werde Zeit gewonnen und die Möglichkeit geschaffen, gemeinsam mit kirchlichen, kommunalen oder anderen Partnern den Erhalt und die Nutzung des Kirchengebäudes zu sichern.

Eine vierte Kategorie steht für die Abgabe des Gebäudes aus der wirtschaftlichen Belastung der Pfarrei. Gemeinden werden ihre Aktivitäten auf weniger Pfarrheime konzentrieren müssen, um diese wirtschaftlich vertretbar zu nutzen. Krämer und Helwig betonen, „dass es eine Diskussion über die erweiterte Nutzung von Kirchen geben wird“.

Die Bistumsmitarbeiter benennen einen weiteren Lösungsansatz: die „Kirchenbox“ (siehe Kasten). Diese Box, aufgebaut im Kirchenraum, bietet relativ kostengünstig und ohne Eingriff in die Bausubstanz des Kirchengebäudes Platz für vielfältige Aktivitäten. „Die Kosten für eine Box liegen schätzungsweise im mittleren fünfstelligen Bereich. Dies ist nur ein Bruchteil der Kosten für Räume, die fest in eine Kirche eingebaut werden“, sagt Krämer. Ein Prototyp ist für Herbst 2025 geplant.

Schon etwas länger als das Bistum Mainz beschäftigt sich das Bistum Limburg mit dem Gebäudeprozess. Seit zehn Jahren gibt es die Kirchliche Immobilien Strategie, kurz KIS. Anders als im Bistum Mainz ist dort die Neustrukturierung der Pfarreien bereits abgeschlossen. „Jede Pfarrei entwickelt ihr individuelles Gebäudenutzungskonzept“, sagt KIS-Projektleiterin Verena Schäfer und nennt Zahlen: „Eine Pfarrei hat circa 30 Gebäude. Insgesamt geht es um rund 1500 Immobilien im ganzen Bistum.“ Die Pfarreien müssten überlegen, welche Gebäude sie unter pastoralen, finanziellen, personellen und nicht zuletzt ökologischen Gesichtspunkten zukünftig noch brauchen. Das Bistum steht den Pfarreien bei diesem Prozess begleitend und moderierend zur Seite. Als gemäß den Leitplanken gesetzte Gebäude gelten unter anderem die Pfarrkirche, das zentrale Pfarrbüro und die Wohnung des Pfarrers.

„Wir können bei diesem Prozess Sakralgebäude nicht außen vor lassen“, betont Schäfer. Der Idee, dass ein Kirchengebäude sich durch Umnutzung finanziell selbst trägt, nimmt sie den Wind aus den Segeln. „Erlöse wie etwa Mieten oder Gebühren für Grabstätten durch eine Umnutzung als Kolumbarium sind meist ein Tropfen auf den heißen Stein im Vergleich zur Summe, die für den Gebäudeunterhalt nötig ist.“ Soll ein Gotteshaus in kirchlicher Hand bleiben, bieten sich vor allem Kooperationen mit anderen christlichen Konfessionen an.

„Prozesse dauern unfassbar lange“

Im Bistum Limburg nimmt das Thema aktuell deutlich an Fahrt auf. Schäfer nennt einige Beispiele: eine Kirche auf dem Land, die heute als Bürgerhaus dient, eine weitere wurde an den Deutschen Alpenverein abgegeben und eine Kapelle privat von einem Architekturbüro übernommen. Im Rheingau ist gerade eines der ersten größeren Projekte fertiggestellt (Seite 27). Aus Erfahrung weiß Schäfer: „Gerade bei sakralen Gebäuden dauern diese Prozesse unfassbar lange.“

Anja Weiffen