Nachlass von Julius Frank

Kiste voller Schätze

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Ein Lebenskreis schließt sich: Das Bremer Focke-Museum hat den Nachlass von Julius Frank als Geschenk bekommen – eine zwei Kubikmeter große Kiste mit Bildern, Dokumenten und Erinnerungen. Der jüdische Fotograf floh 1936 vor den Nationalsozialisten aus dem benachbarten Lilienthal und wanderte nach Amerika aus.


Julius Frank in einem Selbstporträt. Der jüdische Fotograf
floh 1936 vor den Nationalsozialisten aus Lilienthal bei
Bremen nach Amerika.

Das Haus der Fotografenfamile Frank in Lilienthal steht noch heute. Ein historisches Bild zeigt die Ladenfront – im rechten Schaufenster aufgereiht die aktuellen Kameramodelle der frühen Dreißigerjahre, im linken die Bilder, für die Julius Frank bekannt war, Landschaften und Menschen vor allem. Wer immer ein neues Passbild brauchte, ließ sich von ihm im Atelier ablichten. Das war schon beim Vater so und auch beim Großvater, der 1872 in den Ort gekommen war und ein Foto- und Malergeschäft eröffnet hatte. Die Franks: eine anerkannte Fotografen-Dynastie, ausgezeichnet durch ihr berufliches Können. Das änderte sich, als die Nationalsozialisten das Ruder übernahmen, als jüdische Mitbürger drangsaliert und ihrer Existenz beraubt wurden, als sich die spätere Verfolgung und Vernichtung schleichend und unheilvoll ankündigte. Kaum jemand be­trat noch den Laden – sei es aus Angst vor Repression oder aus eigener Voreingenommenheit. 1936 zog Julius Frank die Konsequenz und wanderte nach Amerika aus.

Thora, Turnhemd und Liebesbriefe
 


Menschen und Landschaften waren die Motive,
die Julius Frank immer wieder ablichtete. Seine
Bilder und viele persönliche Dokumente wurden
von seiner Familie jetzt dem Bremer Focke-
Museum überlassen.

Seit einigen Monaten befindet sich der fotografische Nachlass der Familie Frank im Bremer Focke-Museum, wird ausgewertet und für eine Ausstellung aufbereitet. „Als die Lieferung eintraf, sind uns die Augen übergegangen“, sagt Karin Walter, die sich jetzt um diese besondere Aufarbeitung kümmert. Eine Schatzkiste stand da vor ihr, zwei Kubikmeter Inhalt: Fotoabzüge, Alben, Negativstreifen. Aber auch Dokumente und persönliche Erinnerungsstücke. „Sogar die Thora der Familie Frank ist dabei. Als wir sie auspackten, war das ein sehr bewegender Moment.“ Ein altes Turnhemd von Julius Frank fand Karin Walter ebenso im Nachlass wie Liebesbriefe, die der frühere Lilienthaler 1944, gerade junger Familienvater geworden, als Soldat irgendwo in Frankreich geschrieben hat. „Dass uns die Nachkommen von Julius Frank all das zur Verfügung stellen, ist ein großer Vertrauensbeweis mit Symbolkraft weit über Bremen und Lilienthal hinaus“, sagt Karin Walter.

Dass jetzt das Lebenswerk von Julius Frank einen Platz im Focke-Museum finden wird, ist vor allem auch dem Lilienthaler Harald Kühn vom Heimatverein zu verdanken. Der war schon vor Jahren Hinweisen auf den Fotografen nachgegangen. Die allerdings waren eher spärlich, denn noch lebende Zeitzeugen konnten oder wollten sich damals nicht an die näheren Umstände erinnern, warum Frank plötzlich seinen Laden geschlossen hatte. Erst nach und nach setzte Kühn die Lebensgeschichte wie ein Puzzle zusammen – und konnte Kontakt aufnehmen zur Familie in Amerika. Julius selbst war schon lange tot, gestorben 1959. Aber seine Frau Hilde und die Kinder lebten, nahmen sogar eine Einladung an und besuchten 2006 Lilienthal. „Ich habe sie durch das frühere Fotogeschäft geführt und gemeinsam sind wir ins Focke-Museum gefahren, wo Hilde eine Erinnerung an ihren Mann entdeckte: eine Balgenkamera, die schon vor vielen Jahren durch Zufall in die Ausstellung gekommen ist“, berichtet Kühn.

Ein echter Meister auch im Labor
 


Noch einmal zurück zum Fotonachlass von Julius Frank, der jetzt von Karin Walter aufgearbeitet wird: „Unabhängig von der persönlichen Geschichte, die eindeutig im Mittelpunkt steht, ist es schon faszinierend, wie gut erhalten die Bilder sind, die Frank aus Lilienthal nach Amerika retten konnte. Er hat sie ja nach seiner Auswanderung quer durchs Land transportiert, als er mit seiner Hilde im Wohnmobil von Detroit über Michigan nach Los Angeles unterwegs war.“ Er hatte offensichtlich nicht nur ein hervorragendes fotografisches Auge, sondern war wohl auch ein Meister im Labor – das lassen die Reaktionen der ersten amerikanischen Ausstellungsbesucher vermuten, die angesichts der Qualität der Bilderabzüge in Begeisterung ausbrachen.

Jetzt sind also nicht nur viele hundert Fotos nach Norddeutschland zurückgekehrt, die Julius Frank in und um Lilien­thal vor fast hundert Jahren gemacht hat – eindrucksvolle Porträts einfacher Menschen, knorrige Gesichter aus dem Moor, Bauern bei der Feldarbeit. „Auf manchen Abzügen haben Lilienthaler sogar ihre Großeltern wiedererkannt“, erzählt Harald Kühn. Und wenn er die Landschaftsaufnahmen zur Hand nimmt, ist er überzeugt: „Solche Aufnahmen würde man heute machen können.“

Nach und nach wird Karin Walter jetzt den Fotoschatz heben und für die Nachwelt dokumentieren – damit Julius Frank im Focke-Museum den Platz bekommt, der ihm zusteht, wie sie sagt. Aber auch, um daran zu erinnern, warum Menschen wie er plötzlich nicht mehr da waren.

Stefan Branahl