Streit zwischen Missbrauchsbetroffenen und Aufarbeitungskommission

Klärungsbedarf bei Anerkennungszahlungen

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Schwierige Aufgabe: Die Juristin Margarete Reske leitet die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen. 

Foto: kna/Julia Steinbrecht
Margarete Reske, ehemalige Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Köln, leitet die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen. Foto: kna/Julia Steinbrecht


Ausgerechnet einen der ungemütlichsten Spitzenposten der katholischen Kirche in Deutschland bekleidet eine Frau. Margarete Reske, ehemalige Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Köln, leitet die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen UKA. Das aus elf Expertinnen und Experten bestehende Gremium legt seit 1. Januar 2021 die Höhe der Zahlungen fest, die Betroffene von sexuellem Missbrauch in Anerkennung des Leids erhalten, das ihnen von meist männlichen Tätern in der katholischen Kirche zugefügt wurde.

Jetzt stellte die UKA ihren ersten Jahresbericht vor. Nicht zuletzt aus der Reaktion von Betroffenen auf die darin präsentierte Zwischenbilanz lässt sich ablesen, wie schwierig die Aufarbeitung von teils jahrzehntelang zurückliegenden Verbrechen und den daraus resultierenden Verwundungen ist. Zugleich zeigt sich: Die Kritik weist zumindest in Teilen über die Arbeit der UKA hinaus.

Der Reihe nach: Die Kommission ist unabhängig insofern, als sie die Höhe der jeweiligen Leistungen selbstständig festlegt und auch deren Auszahlung anweist. Bei Summen von mehr als 50.000 Euro sind zwar die betreffenden Bistümer oder kirchlichen Institutionen zu informieren. "Aber da gab es bislang nie Widerstände", sagt Reske.

 

Vorwurf der Intransparenz von Missbrauchsbetroffenen

Eingesetzt wurde die Kommission von der Deutschen Bischofskonferenz. Die Regeln, nach denen Reske und ihre Kolleginnen und Kollegen ihre Entscheidungen fällen, finden sich in der Verfahrensordnung, einem aus 14 Ziffern bestehenden Dokument, das die Bischöfe Ende November 2020 beschlossen und im April 2021 noch einmal leicht überarbeitet haben.

Mit Blick auf diese Verfahrensordnung gibt es aus Sicht von Betroffenen aber erheblichen Klärungsbedarf: Das Gremium bleibe auch nach einem Jahr seines Bestehens eine Black Box. Nach welchen Kriterien die UKA ihre Entscheidungen treffe, sei nicht nachvollziehbar; Antragsteller könnten zudem keinen Widerspruch gegen eine Entscheidung einlegen.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Höhe der Zahlungen. In 268 der 606 bis Ende 2021 entschiedenen Fällen hätten die Antragsteller weniger als 10.000 Euro erhalten. Der UKA-Bericht belege, dass die große Zahl der Leistungsbescheide weit unter der oft genannten Summe von 50.000 Euro bleibe, moniert etwa der Betroffenenbeirat bei der Bischofskonferenz. "Das Anerkennungssystem wird seinem Anspruch und seiner Aufgabe nur in einem verschwindend kleinen Teil der Vorgänge gerecht", so die bittere Bilanz des Betroffenenbeirats.

In der Verfahrensordnung steht, dass sich der Zahlungsrahmen "am oberen Bereich der durch staatliche Gerichte in vergleichbaren Fällen zuerkannten Schmerzensgelder orientiert". Was spräche dagegen, den Referenzrahmen zu ändern und die Beträge generell anzuheben? "Das ist eine Debatte, die nicht auf der Ebene der Kommission geführt werden kann", antwortet Reske. "Allerdings: Wenn man jetzt das ganze System umkrempeln wollte, fände ich das gegenüber denjenigen schwer vermittelbar, über deren Anträge wir schon entschieden haben."

 

Auch Reske sieht Defizite

Aber auch die Juristin sieht noch Klärungsbedarf. Ein zentrales Element bei der Entscheidungsfindung ist die sogenannte Plausibilitätsprüfung. In der Verfahrensordnung heißt es dazu: "Die Plausibilität einer Tatschilderung, beispielsweise zu Beschuldigtem, Tatort, Tatzeit und Tathergang, als Voraussetzung für den Erhalt von materiellen Leistungen ist dann gegeben, wenn sie objektiven Tatsachen nicht widerspricht und im Übrigen bei Würdigung aller Umstände eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für ihre Richtigkeit spricht."

Hier sollen die Ansprechpersonen vor Ort in den Bistümern im Zusammenspiel mit der UKA zu einem Ergebnis kommen, auf dessen Basis der Antrag entweder abgelehnt oder in einem nächsten Schritt die Höhe der Anerkennungsleistung festgelegt wird. Das Problem: Wenn Ansprechpersonen und UKA sich an diesem entscheidenden Punkt nicht einigen, ist unklar, wessen Votum dann gilt.

Ein Defizit sieht Reske darüber hinaus beim Umgang mit ehemaligen Heimkindern. Diese hätten oft unter körperlicher und sexueller Gewalt zu leiden gehabt. "Es bleiben also immer wieder sehr unschöne Dinge übrig, über die wir nicht mitentscheiden können, weil unser Auftrag auf sexualisierte Gewalt beschränkt ist", beklagt die Juristin. "Vielleicht müsste man in diesem Bereich noch einmal nachbessern."

Der Ball liegt also im Feld der Bischöfe. Vielleicht nehmen sie ihn bei ihrer Frühjahrsvollversammlung vom 7. bis 10. März in Vierzehnheiligen auf. Ganz unabhängig steht da aber noch die Wahrnehmung im Raum, die sich in der Stellungnahme des Betroffenbeirats bei der Bischofskonferenz zum UKA-Jahresbericht so liest: "Auch wenn es im Anerkennungssystem natürlich um die Zahlung von materiellen Leistungen geht: Betroffenen geht es primär nicht um Geld, sie möchten anerkannt, gesehen, wahr- und ernst genommen werden."

Dieses Bedürfnis kann die Kommission für Anerkennungsleistungen gemäß ihrem klar begrenzten Auftrag schwerlich erfüllen. Noch ist es nicht gelungen, die an ein zivilrechtliches Schadensersatzverfahren erinnernde sachliche Abwicklung der Geldzahlungen mit Gesprächsangeboten zu verknüpfen. In einem solchen Rahmen müssten dann gegebenenfalls auch Bischöfe oder ehemalige Verantwortliche gegenüber den Betroffenen angemessene Schuldbekenntnisse aussprechen.

kna