Zum Stand der Missbrauchsdebatte
Klartext-Wochen bei den Kirchen
Nach der MHG-Studie im September: Wie ist der Stand in der Missbrauchsdebatte? Was will die Kirche ändern?
Matthias Katsch ist dieser Tage ein gefragter Mann. Am Donnerstag traf er sich mit dem Bischof von Hildesheim, Heiner Wilmer. Katsch, Sprecher der Initiative Eckiger Tisch gehört zu denen, die den Betroffenen von sexuellem Missbrauch eine Stimme verleihen. Wilmer hatte unmittelbar vor seinem Amtsantritt im September gesagt: "Ich ahne, der Umgang mit Missbrauch wird meine Nagelprobe. Daran werden mich die Leute messen."
Wie die Kirchen mit dem Thema umgehen, beobachtet Katsch sehr aufmerksam. In den 1970er-Jahren wurde er selbst Opfer von Missbrauch: am Berliner Canisius-Kolleg, einer Jesuitenschule. Dort machte der damalige Leiter Klaus Mertes 2010 die ersten Fälle publik. Dieser Schritt markiert den Beginn einer bis heute dauernden Debatte, die in den vergangenen Tagen, so scheint es zumindest, eine neue Qualität und Dynamik gewonnen hat.
Einige Schlaglichter: Am vergangenen Sonntag beging die katholische Kirche erstmals einen bundesweiten Gedenktag für Missbrauchsopfer. In der Woche davor beschloss die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ein Elf-Punkte-Programm gegen Missbrauch und die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle. Das Thema dominierte auch die am Samstag beendete Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) in Bonn.
Dort forderte ZdK-Präsident Thomas Sternberg eine unabhängige Kommission, die die Präventionsarbeit der 27 Bistümer kontrollieren und vereinheitlichen könne. In die ähnliche Richtung weist auch der Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig. Auf einer gemeinsam mit der Deutschen Bischofskonferenz und der Deutschen Ordensobernkonferenz in Köln organisierten Fachtagung plädierte er am Freitag für ein engeres Zusammengehen von Kirche und Staat.
"Wichtiger historischer Schritt"
"Es wäre ein wichtiger historischer Schritt, wenn jetzt Kriterien und Standards für eine umfassende Aufklärung und eine unabhängige Aufarbeitung gemeinsam entwickelt und deren Umsetzung vertraglich geregelt werden könnten", so Rörig. Triers Bischof Stephan Ackermann, Missbrauchsbeauftragter der Bischofskonferenz, begrüßte den Vorstoß und sagte, er hoffe auf konkrete Ergebnisse im kommenden Jahr.
Dabei herrschen in der Kirchenleitung, auch das wurde in diesen Tagen deutlich, immer noch beträchtliche Differenzen über den künftigen Kurs. Für Schlagzeilen sorgte Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Bischöfe, die Missbrauch vertuscht hätten, könnten innerkirchlich nicht durch Laien gerichtet werden, sagte der ehemalige Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation der kanadischen Internetseite LifeSite-News. Bei der Aufarbeitung von Missbrauch müsse sich die Kirche zudem mit der praktizierten Homosexualität in den Reihen des Klerus befassen.
Jesuit Mertes bezeichnete diese Einlassung gegenüber dem Internetportal katholisch.de als "zum Dogma geronnene klerikale Dünkel". In einer Rede vor der ZdK-Vollversammlung sagte Mertes, "monarchische Strukturen" verhinderten Selbstaufklärung und -korrektur. Der Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz formulierte es in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur so: "Wir haben ein Kleriker-Problem, ein Amtskirchen-Problem, nicht eigentlich ein Glaubensproblem und auch keines der Gläubigen."
Klartext-Wochen bei den Kirchen: Katholischerseits stehen Rufe nach Reformen im Raum, etwa nach mehr Beteiligung von Frauen und nach einer neuen Sexualmoral. Was wird daraus? Am Freitag gab Papst Franziskus Details des von ihm einberufenen "Missbrauchsgipfels" vom 21. bis 24. Februar bekannt. Keine Synode, aber ein Spitzentreffen - an dem auch Betroffene und externe Experten zu Wort kommen sollen.
Die Laien müssten jetzt die Dinge stärker in die Hand nehmen, meint unterdessen ZdK-Präsident Sternberg und fügt hinzu: Missbrauch gebe es zwar auch in anderen Bereichen. Aber Kirche habe bei der Aufarbeitung und Prävention eine besondere Verantwortung. "Wir müssen das anders machen, besser." Und Matthias Katsch? Er hofft auf eine neue "Etappe der Aufklärung und Aufarbeitung". Nach dem Gespräch mit Hildesheims Bischof Wilmer sei er "vorsichtig optimistisch".
kna