Krone für Gottes Posaune

Die einzige erhaltene Nonnenkrone aus dem Mittelalter ist von Forschern identifiziert worden: Sie gehörte Hildegard von Bingen, einer der ungewöhnlichsten Frauen ihrer Zeit. Von Christiane Laudage.

Die heilige Hildegard von Bingen (1098–1179) zählt zu den einflussreichsten Frauen des Mittelalters. Selbstbewusst im Auftreten scheute sich die Äbtissin des Klosters Rupertsberg bei Bingen nicht, auch ungewohnte Wege zu gehen. Sie führte für die Schwestern Kronen ein, die sie an besonderen Festtagen trugen. Die für Hildegard selbst geschaffene Krone ist jetzt im Museum der schweizerischen Abegg-Stiftung in Riggisberg identifiziert worden.

Abenteuerliche Geschichte

War das Stück bislang nur als die einzig bekannte und erhaltene Nonnenkrone des Mittelalters bekannt, so weiß man jetzt mehr – dank der Forschungen der Kuratorin der Stiftung, Evelin Wetter, und des Kunsthistorikers Philippe Cordez. Sie stellen in einer gemeinsamen Publikation die Krone, ihre Bedeutung und ihre abenteuerliche Geschichte vor.

Wer den Begriff Krone hört, denkt an Gold und Edelsteine, einen festen Reif, den man auf den Kopf setzt. Damit hat die Nonnenkrone Hildegards so gar nichts gemeinsam, denn sie besteht aus einer textilen Goldborte, die mit verschiedenen bestickten Amuletten verziert ist. Jahrhunderte nach ihrer Entstehung wurde sie mit einem blauen Stoff unterfüttert, sodass sie weniger wie eine Krone als eine Mütze oder Kappe aussieht. Tatsächlich wurde die Nonnenkrone, als sie 1999 auf einer Auktion in Frankreich auftauchte, als bischöfliche oder päpstliche Kappe beschrieben.

Nach der Jahrtausendwende kam sie dann in den Besitz der Abegg-Stiftung, wo sie relativ schnell als Nonnenkrone identifiziert wurde. Die neuen Besitzer waren sehr stolz darauf, wie Wetter erzählt. Man war schon Hildegard auf der Spur, so Wetter, als Cordez dazu stieß: Der stellvertretende Direktor des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris hatte Hildegard aus anderen Gründen ebenfalls im Blick.

Cordez brachte die Visionen Hildegards in ihrem ersten Buch Scivias (Wisse die Wege) in Verbindung mit der in Riggisberg verwahrten Nonnenkrone. Und siehe da – die Beschreibung der Visionen entsprach dem Bildprogramm der Krone. Gemeinsam mit Wetter arbeitete der Wissenschaftler heraus, was die Kronen, die Hildegard damals unter großem Aufsehen und Kritik für die Schwestern einführte, eigentlich bedeuten sollten: Sie standen für die starke Rolle der Frauen in der christlichen Gesellschaft ihrer Zeit. Mehr noch, die Kronen der Rupertsberger Jungfrauen sollten auf einer Ebene mit den Insignien der Kleriker etabliert werden – ein ehrgeiziges kirchenpolitisches Programm der Nonne und Visionärin Hildegard. Nicht umsonst nannte man sie die „Posaune Gottes“.

Eigens für Hildegard geschaffen

Die erhaltene Nonnenkrone wurde eigens für Hildegard am Ende ihres Lebens geschaffen. Man wollte über ihren Tod die Erinnerung an eine heilige Frau wachhalten und hoffte auf eine Heiligsprechung. Das hat nicht ganz funktioniert; Hildegard wurde zwar verehrt, aber formal erst 2012 von Papst Benedikt XVI. zur Heiligen der Universalkirche und zur Kirchenlehrerin ernannt. Nach dem Tod Hildegards 1179 kamen ihre Krone, ihr Schleier und Haarreliquien in die Benediktinerabtei Sankt Matthias in Trier, wo sie verwahrt und immer wieder aus Anlass von Wallfahrten gezeigt wurden. 1802 wurde das Kloster aufgelöst und die Reliquien in zwölf Kisten gepackt – „bis zur späteren Disposition der kompetenten Autorität“. Auf unbekannten Wegen kam die Krone nach Frankreich, bis sie 1999 in Paris versteigert wurde.

Schwester Klara Antons, die Archivarin des Klosters Eibingen bei Rüdesheim, war begeistert und aufgeregt von der Entdeckung, erinnert sich Cordez, als er das Kloster besuchte. Die Abtei Sankt Hildegard in Eibingen steht in der Nachfolge der von der Hildegard gegründeten Klöster Rupertsberg und Eibingen.