Neues Papier zu Seelsorge in der Corona-Krise

"Lasst die Menschen nicht alleine"

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Während der ersten Corona-Welle wurde der Kirche oft vorgeworfen, nicht genug für die Menschen da gewesen zu sein. Hat sie daraus gelernt? Ein neues Papier der Bischofskonferenz soll nun zumindest zeigen, wie Seelsorger Infizierten und ihren Angehörigen zur Seite stehen können. 

Ein Seelsorger sitzt am Bett eines Covid19-Patienten.
Ein Seelsorger sitzt am Bett eines Covid19-Patienten. 

"Die Kirche hat in dieser Zeit Hunderttausende Menschen alleingelassen. Kranke, Einsame, Alte, Sterbende." Dieser Vorwurf der ehemaligen Ministerpräsidentin von Thüringen, Christine Lieberknecht (CDU), aus dem Mai hat die Kirchen im Innersten getroffen. Sie haben ihn zwar deutlich zurückgewiesen, doch der Stachel sitzt offenbar weiter tief.

Auch bei der Herbstvollversammlung der katholischen Bischofskonferenz in Fulda wurde darüber selbstkritisch diskutiert. Ein Ergebnis der sicher längst noch nicht abgeschlossenen Debatte liegt nun vor: Überlegungen unter dem Titel "Fürchtet euch nicht! - Diakonische Seelsorge bei Menschen mit Covid-19". Verfasser sind die Weihbischöfe Reinhard Hauke (Erfurt) und Weihbischof Herwig Gössl (Bamberg), die in der Bischofskonferenz das Themenfeld "Diakonische Pastoral" vertreten.

Die Kernbotschaft des Acht-Seiten-Papiers könnte man zusammenfassen mit "Lasst die Menschen nicht alleine!" Gemeint sind in erster Linie die Kranken und Infizierten, aber darüber hinaus auch Angehörige sowie alle, die an der Pandemie in irgendeiner Form leiden, auch ohne selbst infiziert zu sein: Einsame, Alte, Kranke, Solo-Selbstständige, Alleinerziehende, Ängstliche, Opfer häuslicher Gewalt, überforderte Eltern und Schüler und wen man auch immer noch dazuzählen mag.

Vor ihre konkreten Handlungsempfehlungen setzen die Bischöfe eine kritische Situationsbeschreibung, etwa zu den gravierenden Folgen der Pandemie, die das Leben vieler Menschen bedrohe. Dazu zählen sie ausdrücklich auch diejenigen, die etwa unter sozialer Isolation leiden oder unter den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie selbst oder der damit verbundenen Einschränkungen.

Sehr deutlich beschreiben die Bischöfe zudem das Dilemma, dass eine Konzentration auf den Infektionsschutz andere Gesundheitsrisiken zur Folge haben könne, etwa schwere psychische Belastungen: "Es liegt auf der Hand, dass die Vereinsamung der älteren Bevölkerung und das Ausbleiben der Sterbebegleitung besonders besorgniserregend waren und vielfach noch sind und in ein abwägendes Verhältnis zum allgemeinen Gesundheitsschutz gesetzt werden müssen."

Doch das muss nicht sein, betonen die Bischöfe. Beispielhaft und zur Nachahmung empfohlen beschreiben sie unter anderem verschiedene Konzepte, die deutsche Bistümer seit dem Frühjahr entwickelt haben, um Seelsorge auch in Corona-Zeiten zu ermöglichen. Bewährt habe sich etwa eine "bestmögliche Kooperation mit den staatlichen Behörden und den Trägern der jeweiligen Einrichtungen".

Eine "Einsatzgruppe Seelsorge" im Erzbistum München und Freising, aber auch jahrelange Erfahrungen in der Notfallseelsorge nennen die Bischöfe als Beispiele dafür, wie Seelsorge auch bei Kontaktbeschränkungen möglich sein kann. Hilfreich seien dabei unter anderem eine enge Zusammenarbeit mit Behörden und Krisenstäben sowie medizinische Grundkenntnisse und Schulungen im Umgang mit Infektionskrankheiten.

Grundsätzlich müsse man in dieser Extremsituation alle Spielräume prüfen, "in denen die geltenden Regeln zugunsten von neuen Kontaktmöglichkeiten umgesetzt werden können". Auch die Kirche müsse hier alle kreativen Möglichkeiten ausschöpfen, um Kranke, Sterbende, Angehörige und Mitarbeitende in den Gesundheitsberufen zu unterstützen. Dabei weisen die Bischöfe auch auf digitale und andere "alternative Seelsorgeformate" hin, die ohne körperliche Präsenz vor Ort möglich seien.

"Problem erkannt - Problem gebannt?" - so weit sind die katholischen Bischöfe sicher noch nicht. Denn natürlich können diese Überlegungen nicht alle Zweifel zerstreuen und alle Kritik verstummen lassen. Doch angesichts wieder steigender Infektionszahlen und lauter werdender Debatten über Sinn und Unsinn von Corona-Maßnahmen vermitteln sie auf alle Fälle eine klare Botschaft: "Die Glaubwürdigkeit der Kirche und insbesondere des christlichen Verständnisses des Menschen hängen wesentlich davon ab, wie wir als Kirche mit den Kranken, Alten und Schwachen umgehen." Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, wie es um diese Glaubwürdigkeit bestellt ist.

kna/Gottfried Bohl