Woche für das Leben zum Thema Demenz

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Die ökumenische „Woche für das Leben“ kreist in diesem Jahr um das Thema Demenz. Die Theologin Verena Wetzstein sagt: Wir brauchen eine neue Kultur im Umgang mit Menschen, die an dieser Krankheit leiden. Und sie erklärt, was das konkret heißt.

Foto: Michael Hagedorn
Mittendrin statt nur dabei: Demenzkranke sollten besser in unsere Gesellschaft integriert werden. Foto: Michael Hagedorn

Von Kerstin Ostendorf

Vor einigen Wochen hat Verena Wetzstein sich mit einer evangelischen Pastorin unterhalten. Sie berichtete ihr von einem Gottesdienst. Während sie predigte, ging eine Frau nach vorne, die an Demenz erkrankt ist, und zündete sich an der Osterkerze eine Zigarette an. Wie sollte sie reagieren? „Die Pfarrerin hat die Frau an den Arm genommen und sie durch den Mittelgang nach draußen geführt, wo sie zu Ende rauchen konnte“, erzählt Wetzstein.

Die Theologin und Studienleiterin der Katholischen Akademie in Freiburg beschäftigt sich seit Jahren aus einer christlich-ethischen Perspektive mit dem Thema Demenz. Sie sagt: „Wir brauchen eine neue Kultur im Umgang mit Demenz.“ Wetzstein möchte, dass Menschen mit Demenz Teil der Gesellschaft sind. „Wir sollten keine Sonderwelten aufbauen und nur spezielle Aktionen für diese Menschen anbieten“, sagt sie. Menschen mit Demenz sollen jederzeit Museen oder den Gottesdienst besuchen können. „Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen nicht ausgrenzt, sondern am Leben teilhaben lässt: Demenz ist zuallererst ein Beziehungsgeschehen, keine Krankheit.“

Wut, Trauer und Sorgen lassen sich nicht kleinreden

Die Demenz kann eine Tragödie für die Betroffenen und ihre Familien sein, sagt sie: „Die Wut, die Trauer und die Sorgen will ich nicht klein- oder schönreden.“ Dennoch müsse der negative Blick auf die Krankheit ergänzt werden. Das christliche Menschenbild könne dabei helfen. „Ein Mensch mit Demenz verliert nicht seine Würde, seine Gott-Ebenbildlichkeit“, sagt Wetzstein. Er reagiere zwar anders, heftiger, ungewohnt für Nichtbetroffene: „Aber wir alle verändern uns in unserem Leben. Der Mensch mit Demenz tut das nur auf eine besonders dramatische Weise.“ Die Theologin hofft, dass es uns künftig häufiger gelingt, das Wertvolle darin zu sehen: die Unbefangenheit, mit der die Menschen auftreten, den Humor und die Gefühle, die vielleicht auf einmal gezeigt werden.

Natürlich sei ein Ereignis, wie es die evangelische Pastorin schilderte, eine massive Störung und nicht so leicht zu tolerieren, sagt Wetzstein: „Aber wenn wir in der Kirchenbank anfangen zu tuscheln, macht es die Situation auch für die Angehörigen nicht leichter.“ Die Pfarrerin hat das Problem gelöst, indem sie mit der Familie gesprochen hat: Künftig darf die Frau vor dem Gottesdienst eine Zigarette rauchen. „Es gibt keine Patentrezepte für solche Situationen. Wir müssen kreativ werden“, sagt Wetzstein.

Schon jetzt sieht sie, dass unsere Gesellschaft im Umgang mit Demenz Fortschritte macht. Früher, sagt Wetzstein, habe sie viel öfter in Medien von Demenz als „Tod im Leben“ oder als „lebendigem Begräbnis“ gelesen: „Und dennoch müssen wir mehr tun, um eine sorgende Gesellschaft zu werden.“ Die Kirchen, Caritas und Diakonie und die Bildungshäuser könnten dabei helfen. „Wir müssen Wissen über Demenz vermitteln. Impulse wie Museumsbesuche und Einladungen von Kirchengemeinden sind ein guter Anfang“, sagt Wetzstein. „Je mehr solcher Impulse es gibt, desto mehr verändert sich die Gesellschaft.“